Stefan Maiwald

Golf

Kleine Philosophie der Passionen

 

 

 

 

Originalausgabe 2004

© Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

 

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eBook ISBN 978 - 3 - 423 - 40486 - 0 (epub)

ISBN der gedruckten Ausgabe 978 - 3 - 423 - 34351 - 0

 

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Inhaltsübersicht

Was soll das alles?

18 Herzensbrecher

Golf und Klassenkampf

Lasst das Spiel beginnen

Golf und Sex

Momente des Glücks, Teil I: Eine Runde ganz früh

Momente des Glücks, Teil II: Eine Runde ganz spät

Momente des Glücks, Teil III: Eine Runde, wenn alle anderen arbeiten müssen

Momente des Glücks, Teil IV: Schlechtes Wetter

Momente des Glücks, Teil V: Ein Ein-Meter-Putt, der fällt

Momente des Glücks, Teil VI: Der Longest Drive

Das böse Wort

Die Streber nach Höherem

Traumjob Pro

Mythos Clubhaus

Sieger sehen anders aus

Das Golfgeschäft

Über die Schwierigkeit, Plätze zu bewerten

Keiner für nur eine Nacht

Bewusstseinsstörungen

Grüner sehen

Vertippt

Golf und Zocken

Ein Video-Spiel

Diagnose: Eisenmangel

Golf in der Großstadt

The Royal Care Force

Bleiben Sie dran!

Der härteste Kämpfer auf dem Platz

Wie man seinen Score verbessert

Zusammenfassung: Erreicht man irgendwann den Punkt, an dem man ein zufriedener Golfer ist, die Schläge genau so gelingen, wie man sich das vorgenommen hat und die Welt rundum paradiesisch dräut?

Glossar

Zum Schluss

Was soll das alles?

Golf ist, entgegen landläufiger Meinung, kein Sport. Der Golfplatzist auch kein hermetisch abgeschottetes Jagdrevier, in dem der Versicherungsmakler seine unschuldigen Opfer reißt und der Vermögensberater seine Spielpartner mit vermeintlich bombensicheren Tipps zur Geldanlage in den Strudel des Verderbens zieht (oder zumindest zu Tode langweilt). Golf ist auch kein Altherrenbiotop zum Austauschen schmutziger Witze und Ausgeben frühnachmittäglicher Weißbierrunden. Nein, Golf ist nichts weniger als eine Droge, ein ewig währender Trip, eine aberwitzige Achterbahnfahrt voll adrenalinbefeuerter Emotionen.

Golf ist keine weiche Droge, kein Koffein oder Nikotin, nicht einmal Hasch. Golf ist schlimmer als Crack. Wer bei seinem Schnupperkurs oder dem Firmen-Incentive auf der Driving Range den ersten perfekten Ball getroffen hat – welchen man daran erkennt, dass der Schläger sich beinahe widerstandslos um den eigenen Körper wickelt, der Ball dagegen mit dem Geräusch einer startenden Silvesterrakete gen Himmelsblau steigt und steigt und steigt und anscheinend erst wieder in einer anderen Welt landet – der ist angefixt. Und wird den Rest seines Lebens diesem unwiederbringlichen Gefühl des einzigartigen, die Zeit zerteilenden Schlages nachlaufen.

Interessant, dass Golf gewissermaßen das Methadon für echte Drogenabhängige ist. Alice Cooper, der einst zum Frühstück einen Sechserpack Budweiser und eine halbe Flasche Whisky leerte, auch sonst allerlei einwarf und sich an kein einziges Ereignis zwischen 1978 und 1983 entsinnen kann (er nennt die Zeit »meine schwarze Periode«), spielt inzwischen täglich zwei Runden Golf – so wurde er trocken. Und bekam auch eine erheblich gesündere Gesichtsfarbe. »Jeder Rocker, den ich in meinem Leben kennen gelernt habe, egal wie lange Haare und egal wie viele Tattoos, spielt inzwischen Golf«, erzählt der ehemalige Schock-Musiker und Staatsfeind Nummer Eins, der mittlerweile bei Prominenten-Turnieren neben erzkonservativen Ekelpaketen wie Rush Limbaugh spielt und mit seinen exzellenten Putts begeistert.

»Wenn ich mich zwischen Golf und meiner Frau entscheiden müsste – ich würde sie wirklich vermissen.« Dieser Stoßseufzer der in kariert gewandeten Männer zeigt, dass die Abhängigkeit von der grünen Glücksdroge durchaus soziopathische Formen annehmen und zur deformierten, mindestens jedoch schizophrenen Persönlichkeit führen kann. Von erwachsenen Menschen, Firmenlenkern und großen Denkern zumal, ist beispielsweise bekannt, dass sie mit ihrem Putter oder ihrem Driver zu Bett gehen, dass sie sich abstruse Talismane in die Golftasche stopfen, dass sie lieber einen wichtigen, möglicherweise überlebenswichtigen Geschäftstermin als eine lange vereinbarte Runde Golf
sausen lassen und dass sie – obwohl bekennende Atheisten – vor Turnieren die Liebe zu Gott wieder entdecken, eine Liebe, die in ihrer Intensität keinem Flagellanten nachsteht.

Wie jede Droge verändert Golf den Menschen. Es macht Lügner aus Ehrlichen, Schummler aus Altruisten, Feiglinge aus Mutigen und Idioten aus allen. In Deutschland gibt es mittlerweile fast 500 000 Golfer. Laut Statistiken des Deutschen Golf Verbandes (halten wir uns mit so unbedeutenden Dingen wie dem Verlangen nach objektiven Quellen nicht groß auf) haben zwei Millionen Deutsche ein chili-heißes Interesse daran, sich vom Strudel der Schönheit und Verzweiflung mitreißen zu lassen. Zu einer dieser Gruppen gehören Sie offenbar. Entweder zu denen, die schon offiziell dabei sind, oder zu denen, die es einmal ausprobieren wollen. Lassen Sie sich, wenn Sie vor Ihrem ersten Mal stehen, eines gesagt sein: Sie werden vom ersten Schlag an ein bisschen verrückt werden.

18 Herzensbrecher

Golf ist wie das Verliebtsein: Wenn man es nicht ernst nimmt, macht es keinen Spaß, und wenn man es ernst nimmt, bricht es einem das Herz. Und wer sind wir denn, dass wir die Liebe nicht ernst nehmen würden? Nein, Golf krallt sich ins Gemüt, lässt einen nicht mehr – nie mehr!– los, was immer man auch dagegen tut. Menschen, die aus anderen als gesundheitlichen Gründen (Tod) das Golfen aufgegeben haben, sind mir noch nicht begegnet. Nein zum Golfen zu sagen heißt, nein zum Leben zu sagen.

Größte Geister haben sich bemüht, dem Phänomen auf die Spur zu kommen; gelungen ist es keinem so richtig. Der Schriftsteller John Updike versuchte es so: »Sicher tragen die gewaltigen räumlichen Dimensionen, die selbst Baseball und Polo im Vergleich als Hinterhofsportarten erscheinen lassen, dazu bei: Zu sehen, wie der Ball, den man geschlagen hat, zweihundert oder noch mehr Meter weit über den Fairway galoppiert oder von der Schlagfläche eines Eisen 8 aufsteigt und ein ganzes Ahornwäldchen in voller herbstlicher Pracht überfliegt, bedeutet Versöhnung mit einer Weite, die uns sonst, unter anderem Blickwinkel betrachtet, einschüchternd erscheint und uns klein macht.« Harvey Penick, einer der bekanntesten Golflehrer Amerikas, der sich noch als Greis im Rollstuhl auf die Driving Range fahren ließ, um den Leuten beim Üben zuzusehen und ein paar Tipps aus dem wackelnden Gebiss zu murmeln, befand: »Alles in allem habe ich immer versucht, meinen Schülern beizubringen, dass sich Golf und Leben sehr ähnlich sind. Weder im Golf noch im Leben bekommt man eine Garantie für Fairness. Und sowohl im Golf als auch im Leben muss man sich genau damit abfinden. Man muss lernen, Enttäuschungen hinzunehmen und Erfolge zu verkraften.«

Nein, es ist möglicherweise noch etwas anderes. Vielleicht das hier: Kein Sport, keine andere Tätigkeit kombiniert ein Höchstmaß an Ästhetik mit einem Höchstmaß an Athletik. Ein schöner, weicher, runder, scheinbar unangestrengter Schwung transformiert sich in einen explosiven, funkensprühenden Kontakt, der den Golfball mit einer Initialgeschwindigkeit von gut 300 Stundenkilometern auf seine parabolische Reise schickt, die erst 250 Meter weiter vorne endet. In keiner anderen Sportart kreiert so viel Schönheit so viel Dynamik. Golf ist die totale Versöhnung von Eleganzund Kraft, von Yin und Yang, von femininem und maskulinem Wesen.

Sportwissenschaftler merken an, dass auch beim Eiskunstlauf beides geboten wird. Doch beim Eiskunstlauf wird den Frauen ein Grinsen ins Gesicht geschminkt, und die Männer tragen Strumpfhosen, unter denen sich ihr Gemächt abzeichnet. Sehr elegant (oder gar sehr maskulin) kommt mir das nicht vor.

Noch etwas anderes ist es, das Golfen zu dem faszinierendsten Zeitvertreib macht, den man angezogen unternehmen kann: Der kurze, orgiastische Moment des Glücks, der irgendwo zwischen Loch 1 und Loch 18 lauert und der Feuerströme der Euphorie durch die Adern jagt. Auf diesen einen Moment kann man sich verlassen, denn jedem, auch dem untalentiertesten Golfer des Clubs, gelingt pro Runde ein Schlag, den auch ein Tiger Woods nicht besser gemacht hätte – ein Putt, der aus fünfzehn Metern Entfernung die Lochmitte findet, ein Pitch, der aus 80 Metern direkt an der Fahne liegen bleibt, ein Bunkerschlag, der gegen den Baum hinterm Grün prallt und von dort zurück aufs Grün springt und an der Lochkante liegen bleibt. Egal was vorher war und was danach noch kommt, egal wie schlimm wir den nächsten Schlag toppen, slicen, hooken, egal ob wir ihn in einen Bunker schlagen, ins Wasser oder gar ins Aus: Für einen Moment haben wir gespürt, welches Potenzial in uns schlummert. Wir haben auf der Zungenspitze den süßen Geschmack der Unsterblichkeit gespürt.

Golf und Klassenkampf

Mein Studium, eine rundum sinnfreie Kombination von Politologie und Pädagogik, habe ich im vierten Semester abgebrochen. Danach fing ich an zu jobben und nahm meine ersten McJobs bei Zeitschriften an, und, genau betrachtet, ist es dabei bis heute geblieben. Ich bin nicht wohlhabend, aber ich komme über die Runden. Vor allem, weil meine Bankberaterin, wenn es um meinen Dispo geht, fest an meine Zukunft glaubt. Ich lebe in einer 79-Quadratmeter-Wohnung in München und weiß, wie man Risotto kocht – meine Spezialität, falls es jemanden interessiert, ist Risotto mit Krabben, Knoblauch und Cashewkernen –, aber nicht, wie man einen Knopf annäht. Wie jeder junge Familienvater fahre ich einen alten Volvo. Ich will damit sagen: Ich bin ein normaler 32-jähriger Großstädter aus der Mittelschicht, mit mittlerem Einkommen, mittlerem sozialen Status, und bis vor kurzem trug ich sogar noch einen Mittelscheitel. Ich bin kein ennuyierter Adliger, kein Industriellenerbe, kein Porschefahrer. In Derrick-Drehbüchern ist für Menschen wie mich keine Rolle vorgesehen. Doch auch Menschen wie ich spielen leidenschaftlich Golf. Und es kommt noch besser. Einer meiner besten Golffreundeist Landwirt, und er spielt mit einer Schirmmütze, die ihm einer seiner Geschäftspartner geschenkt hat. Darauf steht »Samen-Müller«.

Dennoch hat Golf immer noch den Flair des Elitären. Der Golfhandschuh beziehungsweise dessen Negativ, die weiß gebliebene Haut, die sich scharf zum gebräunten Arm abzeichnet, ist ein Statussymbol. Vorbei ist natürlich die Zeit, als Düsseldorfer Millionärswitwen vor Verzückung nach Luft gejapst haben, wenn ihnen in Marbella ein Herr mit heller Hand ebenjene zum Tanz gereicht hat. Aber immerhin: Manchmal kommen Gerüchte auf, dass manche Manager sich mit Golfhandschuh ins Solarium legen, um am Arbeitsplatzoder bei Terminen mit ihrer hellen Hand zu beeindrucken. Amerikanische Journalisten haben sich einmal die Mühe gemacht, die Handicaps der Chefs großer US-Unternehmen mit der Börsenperformance der jeweiligen Aktien zu vergleichen. Heraus kam: Die Geschäftsführer der erfolgreichsten Firmen hatten ein Durchschnittshandicap von 12,4, die Manager noch halbwegs erfolgreicher Firmen erreichten einen Schnitt von 14,6. Und jene Bosse, die eher unterdurchschnittliche Profite erwirtschaftet hatten, kamen auf ein mittleres Handicap von 17,2 Prozent. Purer Zufall? Von wegen: Die Wahrscheinlichkeit einer mathematischen Laune liegt bei unter einem Prozent. Einschränkend sei erwähnt, dass die Studie aus dem Jahr 1999 stammt, aus einer Zeit also, in der Aktienpakete noch ewiges Glück versprachen. Nach neueren Erhebungen nutzen 93 Prozent aller US-Manager den Sport für Geschäftsbeziehungen, und 35 Prozent sagen, dass sie schon bedeutendeAbschlüsse auf dem Golfplatz errungen hätten. All das kann natürlich nur eine Ausrede sein, um vor den Shareholdern die Präsenzauf dem Platzzu rechtfertigen. Ich vermute genau das.

Skeptiker sagen: Für Golf als Massensport ist dieses Land – im Gegensatzzu den USA oder Kanada, wo beinahe jeder Fünfte spielt – ganzeinfach zu klein und die Fläche damit zu teuer. Sollten Millionen Deutsche golfen wollen, wären die Plätze hoffnungslos überfüllt. Zivilisierte Menschen würden sich um Startzeiten balgen, die Preise zögen an, Krise, Chaos, Weltuntergang.

Dennoch ist es wichtig, alles etwas zurechtzurücken. Auch Skipisten und Tauchreviere sind nur begrenzt vorhanden. Und zumindest Skifahren, allemal teurer als Golf, darf durchaus als Massenphänomen bezeichnet werden, dazu reicht ja ein Blick nach Ischgl. Golf kann beides sein. Wer will, kann dank zahlreicher Sonderangebote für rund 50 Euro im Monat golfen. Aber: Wer will, kann auch einen Kommanditanteil von 40 000 Euro kaufen sowie eine Jahresspielgebühr von 8000 Euro zahlen. Den Schwung macht das nicht besser.