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LERNEN VOR ORT – EINE GEMEINSAME INITIATIVE
DES BUNDESMINISTERIUMS FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG UND DEUTSCHER STIFTUNGEN

DIE GESCHÄFTSSTELLE DES STIFTUNGSVERBUNDES LERNEN VOR ORT WIRD IN DER TRÄGERSCHAFT DES BUNDESVERBANDES DEUTSCHER STIFTUNGEN GEFÜHRT.

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Das Programm Lernen vor Ort wurde aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und aus dem Europäischen Sozialfonds der Europäischen Union gefördert.

LERNEN
ERFAHRUNGSBERICHTE UND ERFOLGSGESCHICHTEN
VOR ORT

BILDUNG IST GEMEINSCHAFTSAUFGABE
STIFTUNGEN UND IHR BEITRAG ZU EINEM KOMMUNALEN BILDUNGSMANAGEMENT

IMPRESSUM

BILDUNG IST GEMEINSCHAFTSAUFGABE — STIFTUNGEN UND IHR BEITRAG ZU EINEM KOMMUNALEN BILDUNGSMANAGEMENT LERNEN VOR ORT: ERFAHRUNGSBERICHTE UND ERFOLGSGESCHICHTEN

HERAUSGEBERIN

REDAKTION

LEKTORAT UND WISSENSCHAFTLICHE RECHERCHE

GESTALTUNG, SCHRIFTSATZ, FOTOGRAFIE

DRUCK UND WEITERVERARBEITUNG

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten im Internet unter: http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-941368-68-2 (gedruckte Ausgabe), ISBN 978-3-941368-71-2 (EPUP)

INHALTSVERZEICHNIS

Worüber wir wie sprechen — Begriffsdefinitionen

VOR(W)ORT

Und mittendrin Lernen vor Ort

ENTWICKLUNG EINER AUSSERGEWÖHNLICHEN IDEE

Ziemlich beste Freunde?! — Ein Gespräch

STIFTUNGEN VOR ORT

Lokales Handeln hat viele Gesichter

Das Labor. Erkenntnisse und Erfahrungsberichte

LERNORTE

Ein Spaziergang durch den urbanen Raum

LERNEN VOR ORT

Übersichtskarte der beteiligten Kommunen

Kommunen, Stiftungspatenschaften und -verbünde

Sprecherkreis und Geschäftsstelle

Engagierte Stiftungen

ENGAGEMENT VOR ORT

Stiftungen als gesellschaftspolitische Kraft. Eine Verortung

Nachhaltige Entwicklung. Stiftungen im Lernprozess

BILDUNG VOR ORT

Ausgewählte Projekte und Programme

Ausgewählte Initiativen

Ausgewählte Angebote

Ausgewählte Publikationen

WORÜBER
WIR
WIE
SPRECHEN

ÜBER DAS THEMA BILDUNG WIRD VIEL DISKUTIERT.

Die nachstehenden Begriffe werden dabei in verschiedenen Kontexten unterschiedlich gebraucht. Im Rahmen des Programms Lernen vor Ort und in der vorliegenden Publikation werden die Begriffe so verwendet wie im Folgenden erläutert.

BILDUNG

in einem erweiterten Verständnis ist ein umfassender Prozess der Entwicklung und Entfaltung menschlicher Fähigkeiten, der nicht nur in der Schule, sondern an vielen Bildungsorten stattfindet (»Bildung ist mehr als Schule«).1

»Unter FORMELLER BILDUNG wird das gesamte hierarchisch strukturierte und zeitlich aufeinander aufbauende Schul-, Ausbildungs- und Hochschulsystem gefasst, mit weitgehend verpflichtendem Charakter und unvermeidlichen Leistungszertifikaten. Unter NICHT FORMELLER BILDUNG ist jede Form organisierter Bildung und Erziehung zu verstehen, die generell freiwilliger Natur ist und Angebotscharakter hat. Unter INFORMELLER BILDUNG werden ungeplante und nicht intendierte Bildungsprozesse verstanden, die sich im Alltag von Familie, Nachbarschaft, Arbeit und Freizeit ergeben, aber auch fehlen können. Sie sind zugleich unverzichtbare Voraussetzungen und ›Grundton‹, auf dem formelle und nicht formelle Bildungsprozesse aufbauen.«2

BILDUNGSBÜRO

»Das Regionale Bildungsbüro ist eine Informations- und Anlaufstelle für die einzelnen Bildungsinstitutionen, eine Vermittlungs- und Koordinierungsstelle zwischen den verschiedenen Bildungswelten und Bildungsangeboten sowie Initiator und Moderator von Abstimmungs- und Vernetzungsprozessen und schließlich ist es die Einheit, um die Beschlüsse der Steuergruppe umzusetzen.«3

KOMMUNALES BILDUNGSMANAGEMENT

»Ein Erfolg versprechendes Bildungsmanagement hat die Aufgabe, die vielfältigen Bildungs- und Beratungsangebote sowie die zahlreichen Initiativen aufeinander abzustimmen und zu koordinieren. Durch geeignete Organisationsformen sind die Prozesse zielgerichtet zu steuern. Dabei muss ein kohärentes kommunales Bildungsmanagement die unterschiedlichen Zuständigkeits- und Handlungsebenen integrieren. (…) Dieser Managementansatz steht über den Interessen einzelner Bildungsinstitutionen. Er dient vor allem dazu, die unterschiedlichen Zuständigkeiten für die Bildung in der Region zusammenzuführen. Damit wird die Qualität der Bildungsangebote vor Ort gestärkt, das Erreichen von Zielgruppen verbessert und das Zusammenwirken der Akteure erleichtert.«5

KOMMUNALES BILDUNGSMONITORING

Kommunales »Bildungsmonitoring wird (…) als ein kontinuierlicher, überwiegend datengestützter Beobachtungs- und Analyseprozess des Bildungssystems insgesamt sowie einzelner seiner Bereiche bzw. Teile zum Zweck der Information von Bildungspolitik und Öffentlichkeit über Rahmenbedingungen, Verlaufsmerkmale, Ergebnisse und Erträge von Bildungsprozessen verstanden.«4

KOMMUNE

»bezeichnet die unterste staatliche Verwaltungseinheit, die als Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltungsaufgaben betraut ist.« Im Kontext von Lernen vor Ort können mit Kommune sowohl Landkreise als auch kreisfreie Städte gemeint sein.6

LEBENSLANGES LERNEN

»umfasst alles formale, nicht-formale und informelle Lernen an verschiedenen Lernorten von der frühen Kindheit bis einschließlich der Phase des Ruhestands. Dabei wird ›Lernen‹ verstanden als konstruktives Verarbeiten von Informationen und Erfahrungen zu Kenntnissen, Einsichten und Kompetenzen.«7

LOKALE BILDUNGSLANDSCHAFTEN

sind »langfristige, professionell gestaltete, auf gemeinsames, planvolles Handeln abzielende, kommunalpolitisch gewollte Netzwerke zum Thema Bildung, die — ausgehend von der Perspektive des lernenden Subjekts — formale Bildungsorte und informelle Lernwelten umfassen und sich auf einen definierten lokalen Raum beziehen.«8

ZIVILGESELLSCHAFT

ist eine gesellschaftliche Organisationsform jenseits von Markt, Staat und Privatsphäre. »›Zivilgesellschaft‹ ist ein Bereich, in dem freiwillige Vereinigungen (Vereine), Stiftungen, Initiativen, ›Nicht-Regierungsorganisationen‹ bzw. Non-gouvernemental [sic!] Organizations (NGOs), Nonprofit-Organisationen (NPOs) tätig sind. (…) Ziele und Zwecke zivilgesellschaftlicher Akteure können auf allgemeingesellschaftliche Probleme wie auch auf Anliegen und Bedürfnisse spezieller Gruppen gerichtet und lokaler, regionaler oder internationaler Natur sein. Zivilgesellschaft bildet den Rahmen, innerhalb dessen sich bürgerschaftliches Engagement entfalten kann.«9

»Als politisches Programm bezieht sich Zivilgesellschaft auf die permanente Kritik und damit Dauervision des demokratischen Status quo. Zivilgesellschaft umfasst daher ganz maßgeblich das kritische Selbstverständnis einer politischen Gesellschaft (…). Mit Zivilgesellschaft als normativem Konzept wird somit die Hoffnung in Verbindung gebracht, ein Mehr an Demokratie und sozialer Gerechtigkeit wie auch an gesellschaftlicher Rückkoppelung politischer Entscheidungsfindungsprozesse zu garantieren.«10

1Bundesjugendkuratorium/Sachverständigenkommission des Elften Kinder- und Jugendberichts/Arbeitsgemeinschaft zur Jugendhilfe: Bildung ist mehr als Schule. Leipziger Thesen zur aktuellen bildungspolitischen Debatte, Bonn/Berlin/Leipzig 2002

2Bundesjugendkuratorium: Zukunftsfähigkeit sichern! — Für ein neues Verhältnis von Bildung und Jugendhilfe. Eine Streitschrift des Bundesjugendkuratoriums, in: Richard Münchmeier/Hans-Uwe Otto/Ursula Rabe-Kleberg (Hrsg.): Bildung und Lebenskompetenz. Kinder- und Jugendhilfe vor neuen Aufgaben, Opladen 2002, S. 5

3Jürgen Ripplinger: Regionales Bildungsbüro als organisatorischer Kern der regionalen Bildungslandschaften in Baden-Württemberg, in: Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (Hrsg.): Wie geht’s zur Bildungslandschaft? Die wichtigsten Schritte und Tipps. Ein Praxishandbuch, Seelze 2012, S. 54

4Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF), Zugriff über URL www.dipf.de/de/forschung/projekte/kommunales-bildungsmonitoring am 21.10.2014

5Bundesministerium für Bildung und Forschung, Zugriff über URL www.lernen-vor-ort.info/de/270.php am 16.09.2014

6Klaus Schubert/Martina Klein: Das Politiklexikon. 5., aktualisierte Auflage, Bonn 2011, Zugriff über URL www.bpb.de/nachschlagen/lexika/politiklexikon/17725/kommune am 16.09.2014

7Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK): Strategie für Lebenslanges Lernen in der Bundesrepublik Deutschland, Heft 115, Bonn 2004, S. 13f.

8Peter Bleckmann/Anja Durdel: Einführung: Lokale Bildungslandschaften — die zweifache Öffnung, in: dies. (Hrsg.): Lokale Bildungslandschaften. Perspektiven für Ganztagsschulen und Kommunen, Wiesbaden 2009, S. 12

9Annette Zimmer: Die verschiedenen Dimensionen der Zivilgesellschaft, Bundeszentrale für politische Bildung online, 2012, Zugriff über URL www.bpb.de/politik/grundfragen/deutsche-verhaeltnisse-eine-sozialkunde/138713/dimensionen am 01.10.2014

10 Annette Zimmer: Vereine — Zivilgesellschaft konkret. 2. Auflage, Wiesbaden 2007, S. 204

VORWORT

» Das Postulat von der Bildung als gemeinsamer Aufgabe lässt sich vor Ort konkret umsetzen. In den gemeinsamen Bemühungen von Städten und Gemeinden und regionalen Bildungsakteuren spielen Stiftungen als Ideengeber, Berater und Förderer eine bedeutende Rolle bei der Verbesserung der Bildungssituation in den Städten und Gemeinden. Die Zusammenarbeit bedarf der gegenseitigen Offenheit für die jeweiligen Bedingungen und Voraussetzungen. Dies ist ein mitunter anstrengender Prozess, aber aller Mühen wert.«

KLAUS HEBBORN, BEIGEORDNETER FÜR BILDUNG, KULTUR, SPORT UND GLEICHSTELLUNG, DEUTSCHER STÄDTETAG

UND
MITTENDRIN
LERNEN
VOR
ORT

ANSGAR WIMMER,

VORSTANDSVORSITZENDER DER ALFRED TOEPFER STIFTUNG F.V.S.

UND SPRECHER DES SPRECHERKREISES DES STIFTUNGSVERBUNDES LERNEN VOR ORT

Das Thema mahnt zu Bescheidenheit. Wie lange und intensiv schon wird in Deutschland über Bildung gestritten, wie viele Bücher mögen schon mit Verbesserungsvorschlägen, Reformaufrufen, Projektdokumentationen oder Erfolgsberichten veröffentlicht worden sein. Nicht nur Bildungspolitiker aus Bund und Ländern, Fachwissenschaftler, selbst ernannte Experten und erleuchtete Wirtschaftsvertreter, sondern auch gemeinnützige Stiftungen sind seit geraumer Zeit Teil und Akteure in der Debatte.

Längst träumt dabei niemand mehr von dem großen bildungspolitischen Wurf, wird kaum noch über das diskutiert, was eigentlich zu tun ist. Stattdessen zeigt sich vielerorts das Bemühen, die lange schon publizierten und wissenschaftlich wie politisch verdauten Erkenntnisse endlich flächendeckend Zugkraft gewinnen zu lassen, ihnen eine belastbare Realität zu geben. Nicht nur als prämierte Modellprojekte, STROHFEUER EINES LÄNGST ÜBERLEBTEN BEST-PRACTICEGLAUBENS, sondern im Regelbetrieb der Bildungsrepublik Deutschland, dem Alltag von Schule, frühkindlicher Bildung und Weiterbildung.

Etwas erschöpft und abgegriffen liegen dabei WORTHÜLSEN VON LEBENSLANGEM LERNEN, REGIONALEN BILDUNGSLANDSCHAFTEN und SELBSTSTÄNDIGER SCHULE auf den Schreibtischen der Bildungspolitiker. In den Mühen der Ebene kämpft die Bildungsadministration unter den Augen einer immer vokaleren bürgerlichen Elternschaft mit der Umsetzung von flächendeckender Ganztagsschule, Inklusion, mal längerer, mal kürzerer gewünschter Schulzeit, Sprachförderung, Integration, gelingender Bildungsübergänge oder auch nur der Aufrechterhaltung des Regelbetriebs. Selten geht es dabei übrigens um das eigentliche Thema, der Qualität von Unterricht oder der vermittelten Bildungserfahrung.

In einem reformunfähigen Bildungsföderalismus, bei dem der Wettbewerb der Systeme unbewiesene Behauptung bleibt, ist die Gestaltung der Bildungssysteme ein mühsames Tagesgeschäft, das kaum noch jemanden von Format zur Verantwortungsübernahme drängt. Die Verselbstständigung der Einzelschule, lange Zeit auch von Stiftungen als eine präferierte Voraussetzung für Schulentwicklung gefeiert, zeigt ihre dunkle Seite: Oberhalb der Ebene der einzelnen Schule sind kaum flächendeckende Veränderungen und strategische Kooperationen implementierbar, die oft willkürlich hektischen bildungspolitischen Reformfestivals der vergangenen Jahrzehnte haben zudem tiefe Schleifspuren in der Motivation ganzer Lehrergenerationen hinterlassen.

Und mittendrin Lernen vor Ort. Eine Bundesinitiative, auch aus europäischen Mitteln finanziert, die unversehens eine neue Allianz versammelt. Da lädt das Bundesbildungsministerium Kommunen und Stiftungen in eine VERANTWORTUNGSGEMEINSCHAFT DER UNZUSTÄNDIGEN ein, Bildung vor Ort zu betrachten und neu zu organisieren. Sehr wach und richtig beobachtet erkennt der Bund, dass längst die Kommunen, obgleich formal nur für Schulhausmeister, marode Gebäude und Computerausstattung zuständig, DAS THEMA BILDUNG ALS IHR MEGATHEMA identifiziert haben. Und dass andere Akteure helfen können, mit Know-how, Ressourcen und manchmal auch ihrem bloßen Hinzutreten. Stiftungen werden erstmalig Partner in einem großen Bundesprogramm, an nahezu vierzig Orten entstehen Partnerschaften zwischen Kommunen und Stiftungen, Themen- und Grundpatenschaften werden übernommen, um das Thema Bildung strategisch und datenbasiert vor Ort anzugehen. Stiftungen wie auch andere zivilgesellschaftliche Akteure finden erstmals lokal wie überregional zusammen.

Was ist das Besondere von Lernen vor Ort? Vielleicht, dass es eher um Prozesse als um Produkte, eher um Kooperationskultur als um Zuständigkeitsgerangel geht? Dass sich unter dem Dach dieses Programms erstmalig die GRÖSSTE THEMENBEZOGENE ALLIANZ VON STIFTUNGEN IN DEUTSCHLAND ZU BILDUNGSFRAGEN konstituiert? Dass die Bundesländer nach anfänglicher Zurückhaltung mit Nachdruck die kommunalen Bemühungen, sich zu Bildungsfragen nachhaltig und planvoll einzubringen, befürworten?

Wahrscheinlich dieses: Dass durch das Programm quer durch Deutschland, in kleinen Gemeinden und eher ländlich geprägten Flächenkreisen, in Mittelzentren und Großstädten erkennbar wird: BILDUNG IST GEMEINSCHAFTSAUFGABE. Erst dort, wo Bund, Länder und Gemeinden, öffentliche Hand, Wirtschaftsbetriebe und Zivilgesellschaft, Schule, Elternhäuser und Jugendhilfe, frühkindliche Bildung, Schule und Weiterbildung professionell und selbstverständlich Hand in Hand vor Ort kooperieren, und wo eine solche Kooperation auch von der Leitung her gelebt und ermutigt wird, entstehen effektive und zeitgemäße Rahmenbedingungen für Bildung. Dort, nur dort, wo bildungspolitische Prioritäten nach Bildungs- und Sozialmonitoring faktenbasiert, partizipativ und gemeinschaftlich gesetzt werden, haben sie eine Chance auf Realisierung.

Und auch das wird deutlich: Kommunales Engagement für Bildung ist keine Modeerscheinung einiger weniger Städte und Kreise, sondern eine breite bundesweite Bewegung, die es zu gestalten gilt. Nicht nur die kommunalen Spitzenverbände und die Länder, sondern mit dem Programm Lernen vor Ort auch der Bund haben die Aufgabe angenommen, diese Bewegung zu stimulieren, zu unterstützen und einen bundesweiten Austausch hierzu zu fördern. Mit Lernen vor Ort und der Bewegung, die dieses Programm erzeugt hat, ist BILDUNG ENDGÜLTIG AUF DER AGENDA ALLER DEUTSCHEN KOMMUNEN ANGEKOMMEN. Die als Folgeaktivität vom Bundesministerium für Bildung und Forschung initiierten Transferagenturen werden, wenn der Plan gelingt, Anreize und Infrastruktur auch für diejenigen Kommunen bieten, die bislang noch nicht von Lernen vor Ort profitieren konnten und sich erst jetzt auf den Weg machen.

Last, but not least: Nach vielen Einzelinitiativen, bemerkenswerten Impulsen und stifterischen Alleingängen hat Lernen vor Ort für Stiftungen eine wertvolle Plattform etabliert, gemeinsam über ihr konkretes Engagement im Bildungsbereich, ob lokal oder bundesweit, im Gespräch zu sein, sich zusammenzufinden, gemeinsame strategische Schwerpunkte zu definieren und die Partnerschaft mit den kommunal verantwortlichen Akteuren neu zu erproben. Diese NEUE KOOPERATIONSQUALITÄT UND DAMIT EINHERGEHENDE TRANSPARENZ für den Sektor unter dem Dach des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen und mit breiter Unterstützung vieler Bildungsstiftungen weiterzuentwickeln, wird die Herausforderung im Nachgang zum Bundesprogramm Lernen vor Ort sein.

Das vorliegende Buch hält nicht nur Rückschau auf die Erfahrungen von fünf Jahren Lernen vor Ort aus Sicht des beteiligten Stiftungsverbundes und zeichnet die wesentlichen Impulse nach, die nach Auffassung der beteiligten Stiftungen von diesem Programm ausgehen. Es will zugleich eine Schärfung des Bewusstseins dazu herbeiführen, was Stiftungen im Bereich Bildung beitragen können und warum Kooperationsfähigkeit gerade auf lokaler Ebene und vor Ort ein besonderer Stellenwert zukommt. Die in diesem Buch wiedergegebenen Praxiserfahrungen sind aus ihrem lokalen konkreten Kontext und in ihrer Zeitgebundenheit zu verstehen, gleichwohl mögen sie als ERMUTIGUNG UND ORIENTIERUNGSHILFE für diejenigen dienen, die erst jetzt oder noch immer an gleichen Fragen arbeiten.

ENTWICKLUNG
EINER
AUSSERGEWÖHNLICHEN
IDEE

» Wenn ein guter Freund zu Besuch ist, dann nehmen Debatten oft einen neuen Verlauf, frische Argumente kommen ins Spiel, alle trauen sich mehr Selbstkritik zu, und es wird häufiger gelacht. Außerdem hat der Freund immer einen guten Literaturtipp parat. Stiftungen können solch ein guter Freund für Kommunen sein — dazu brauchen sie natürlich auch Freunde in der Kommune. Das hat Lernen vor Ort gezeigt.«

DR. LUTZ LIFFERS, LEITER TRANSFERAGENTUR ADAPTER HAMBURG/BREMEN

ZIEMLICH
BESTE
FREUNDE?!

An einem Berliner Hochsommertag haben sich vier Verbündete, die im Rahmen des Bundesprogramms Lernen vor Ort in den vergangenen fünf Jahren viel Zeit miteinander verbracht haben, zu einem Gespräch im Bundesverband Deutscher Stiftungen verabredet, um sich gemeinsam an die Anfänge und den Werdegang des Programms zu erinnern und nach dieser Zeit eine Einschätzung ihres gemeinsamen Tuns vorzunehmen.

Die Gesprächsteilnehmenden waren

FÜR DAS BUNDESMINISTERIUM FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG

KORNELIA HAUGG, ABTEILUNGSLEITERIN FÜR BERUFLICHE BILDUNG UND LEBENSLANGES LERNEN,

FÜR DIE STIFTUNGEN

RENATE MENKEN, VORSTANDSVORSITZENDE DER LÜBECKER POSSEHL-STIFTUNG,

FÜR DIE KOMMUNALE EBENE

DR. MICHAEL LÜBBERSMANN, LANDRAT DES LANDKREISES OSNABRÜCK, UND

FÜR DEN STIFTUNGSVERBUND LERNEN VOR ORT UND ALS GESPRÄCHSLEITER

ANSGAR WIMMER, VORSTANDSVORSITZENDER DER ALFRED TOEPFER STIFTUNG F.V.S.

ANSGAR WIMMER Ich heiße Sie herzlich willkommen. In unserem Gespräch soll es schwerpunktmäßig um Kooperationen gehen, die Entwicklung einer außergewöhnlichen Idee, Bildung im Kreuzverhör. Hier sind vier ziemlich beste Freunde versammelt, die gemeinsam überlegen wollen, wie das mit Bildung als Gemeinschaftsaufgabe ist.

RENATE MENKEN Die nonformale Bildung und die Gewichtung des Elternhauses sind so prägend und wichtig, dass wir mit Lernen vor Ort in diese Lücke, die bei vielen durch das Elternhaus entsteht, eingreifen wollen.

DAS ERNSTHAFTE NACHDENKEN BEGINNT.

ANSGAR WIMMER Ich steige jetzt in das Gespräch mit der ersten Frage an Frau Haugg ein, um ein bisschen der Entstehung von Lernen vor Ort nachzuspüren. Sie sind ja dabei gewesen, present at creation, wie man so schön sagt. Mögen Sie erzählen, wie aus Ihrer Sicht das Programm entstanden ist?

KORNELIA HAUGG Ausgangspunkt waren die Diskussionen im damaligen Innovationskreis für Weiterbildung unter der Leitung von Bundesministerin Schavan. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hatte zwei Innovationskreise ins Leben gerufen, einen zum Thema Berufliche Bildung und einen zu Weiterbildung und lebenslangem Lernen. Wir hatten diesen Kreis sehr bunt zusammengesetzt: Wissenschaftler, Experten aus der Praxis und eben auch Stiftungsvertreter. Einer davon war Dr. Kaehlbrandt. Es gab Workshops, Tagungen, Veranstaltungen, intensive Diskussionen. Wir haben versucht einzuordnen, wo wir beim Thema Weiterbildung stehen und welche Entwicklungslinien notwendig sind, um bestimmte Themen im Einflussbereich des Bundes weiterzuentwickeln. Wir hatten auch den Willen, etwas zu erreichen, nicht nur Leute zusammenzubringen und zu moderieren, sondern für das Bundesbildungsministerium auch etwas zu identifizieren, was wir entsprechend umsetzen können. Lange war für uns nicht das Richtige dabei und nur ein Forschungsprogramm wollten wir auch nicht machen. Und dann kam Dr. Kaehlbrandt auf die Idee, dass wir uns des VERNETZUNGSGEDANKENS stärker annehmen sollten, weil er aufgrund seiner praktischen Erfahrungen aus dem Frankfurter Raum wusste, wie notwendig es ist, die einzelnen Akteure zu vernetzen, und dass nicht jeder darauf loswurschtelt. Das war eine Idee, die uns als Ministerium von vornherein liegt. Es ist eine wesentliche Rolle gerade des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, unterschiedliche Player, unterschiedliche Zuständigkeitsbereiche zusammenzubringen. Von daher fanden wir diesen Grundgedanken sehr interessant. Das zweite, was von Dr. Kaehlbrandt eingebracht wurde, war die Idee, das GANZE MIT DER BEGLEITUNG VON STIFTUNGEN zu verbinden. Auf diese Idee wären wir selbst definitiv nicht gekommen. Uns liegt der Schwerpunkt Kommunen und Vernetzung der Akteure auf der kommunalen Ebene. Die Begleitung durch die Stiftungen im nationalen Stiftungsverbund wäre im Programm ohne den Sprecherkreis und die Geschäftsstelle des Stiftungsverbundes nur unter Betreuung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung im Laufe der Jahre sicher abgebröckelt.

ANSGAR WIMMER Das heißt, es war ein Setting von Bund, kommunalen Zuschussempfängern und Stiftungen. In dieser Konstellation ist das aber eine Innovation gewesen.

KORNELIA HAUGG In dieser Konstellation war es ein Novum. Wir haben im ganzen Haus natürlich immer wieder Kontakt mit Stiftungen, wir fördern auch das eine oder andere Projekt mit Stiftungen, aber in dieser Treiberrolle und in dieser Vielschichtigkeit auch der Kooperation, ist es definitiv etwas Neues.

ANSGAR WIMMER Ich komme gleich noch mal darauf zurück und frage nach der Reaktion der Länder. Ich will aber erst Frau Menken, die mit der Possehl-Stiftung schon sehr früh bei Lernen vor Ort mit an Bord war, fragen: Wie ist diese Anfrage bei Ihnen gelandet, und was waren die ersten Ideen und Impulse dazu?

RENATE MENKEN Die erste Anfrage an die Possehl-Stiftung kam in einem Brief vom Koordinierungsbüro Wirtschaft Lübeck, darin stand, sie würden uns jederzeit informieren, was dort passieren würde, wir seien ideeller Partner. Ich wusste über meinen Sohn schon ein halbes Jahr vorher, dass es Lernen vor Ort geben wird, und habe ihn angerufen. Er sagte: »Die haben gar nichts verstanden, stimmt alles überhaupt nicht, so wie es beschrieben ist.« Dann habe ich mir erlaubt, im Koordinierungsbüro anzurufen und traf auf Frau Ellwart. Die wusste gut Bescheid und war ganz glücklich: »Mensch, endlich einer, der es vielleicht annähernd kapiert hat.« Ich sage: »Habe ich auch nicht, aber wir wollen mitmachen.«

Wir sind mit der Kommune nun seit fast 100 Jahren in der Zusammenarbeit trainiert. Wir haben eine Ausgabenpflicht nur in Lübeck, weil Lübeck noch eigener Stadtstaat war, als die Stiftung 1919 vom Staate Lübeck angenommen wurde. Damit beschränkt sich unser Tun aufs Gebiet der Hansestadt Lübeck, was für uns super ist und für die kleine Stadt eigentlich heute auch ein Glücksfall. Insofern haben wir dort schon immer sehr eng zusammengearbeitet, aber durch Lernen vor Ort hat diese Arbeit eine GROSSE VERDICHTUNG erfahren und eine ANDERE OFFENHEIT, weil wir zusammen eine Arbeitsgruppe gebildet haben. Alles, was wir mit Kindertagesstätten sonst machen — außerhalb der Programme, die wir durch Lernen vor Ort fördern —, alles, was mit Bildung im weitesten Sinne zu tun hat, Schulsanierung, Sportplätze, wird in dieser Arbeitsgruppe besprochen. Alle Probleme, die wir miteinander haben, werden dort auf den Tisch gebracht. Das gab es vorher nicht. Es gab zwar projektbezogen einzelne Treffen mit dem zuständigen Dezernat, aber heute ist es sehr viel offener und transparenter geworden, da sitzen wir wirklich in einem Boot. Das haben wir vorher zwar auch schon, aber wir haben nicht immer in die gleiche Richtung gerudert. Jetzt rudern wir in diesem Punkt wirklich in die gleiche Richtung, und das ist ein Gewinn — für mich der Hauptgewinn aus Lernen vor Ort.

ANSGAR WIMMER Wir heißt ja in Lübeck auch nicht nur die Possehl-Stiftung. Sicher mit Abstand der größte Player, aber …

RENATE MENKEN Im lokalen Stiftungsverbund sind wir acht Stiftungen bezüglich der Abmachung für den Bildungsfonds. Wir haben letztes Jahr eine große Werbeveranstaltung durchgeführt und mittlerweile auch Unternehmen und Einzelpersonen dabei. Und das ist sehr erfreulich. Wir kennen uns ja alle, und dann sagt man zu jemandem, der eine Riesenspedition hat: »Du könntest auch 5.000 Euro im Jahr abdrücken. Du beschwerst dich immer über die Qualität bei den Auszubildenden, da hast du selbst mit Schuld. Gib was mit rein, damit der Bildungsfonds vernünftig läuft.«

ANSGAR WIMMER Es hat ja sicher auch schon vorher die eine oder andere Kooperation unter Lübecker Stiftungen gegeben, aber das ist vermutlich das erste Mal, dass man so gleichgerichtet und lange kooperiert.

RENATE MENKEN Ja, und das haben wir auch schriftlich vereinbart. Beim Bildungsfonds kann uns niemand von der Fahne gehen, das geht nicht. Wir sagen nicht, wie viel jeder dazugibt, denn im Moment wächst der Bedarf. Zurzeit liegt er bei 4 Millionen Euro pro Jahr. Im Bildungsfonds sind die Bildungs- und Teilhabepaketmittel mit drin, dann Land, Kommune und die Stiftungen und andere Zuspender. Und das muss funktionieren. Wir setzen uns zusammen und klären Jahr für Jahr unter uns Stiftungen — ohne die Stadt —, wie wir die Mittel aufteilen. Die Stadt sagt: »So und so viel brauchen wir von euch Stiftungen.« Für dieses Jahr sind es 1,7 Millionen. Wir verteilen das untereinander und überlegen, wie wir das hinkriegen. Da kann jede Stiftung sagen, ich kann dieses Jahr nicht 20.000 Euro geben, sondern nur 10.000 Euro, weil ich weniger Erträgnisse habe. Bei den kapitalgebundenen ist das doch ein Problem, und so funktioniert es eigentlich gut. Im Rahmen des Bildungsfonds waren wir zu Anfang nur drei oder vier Stiftungen, und als ich dann anfing, jetzt kommt noch Lernen vor Ort, meinte einer unserer Stifter: »Also wenn du damit anfängst, gehe ich raus.« Ich sagte: »Du setzt dich jetzt hin, du hast nichts verstanden.« Nur weil er es nicht versteht, muss es ja nicht falsch sein. Mittlerweile ist er voll dabei.

ANSGAR WIMMER Da können wir schon etwas Gelerntes aus diesem Gespräch formulieren: KOOPERATION BEDARF DES NACHDRUCKS, und den haben Sie der Sache gegeben.

RENATE MENKEN Man muss ja an die Hand genommen werden. Wir mussten das auch erklärt bekommen und haben gefragt: Was soll das eigentlich? Das ist doch eine kommunale Angelegenheit, geht uns eigentlich nichts an. Mittlerweile geht uns alles etwas an, was in der Kommune passiert. Ich bin ja auch eine große Verfechterin der STARKEN ZIVILGESELLSCHAFT.

ANSGAR WIMMER Damit kommen wir zu denen, um die es dem Bundesministerium für Bildung und Forschung beim Start überhaupt ging, nämlich den Kommunen. Ich freue mich, dass wir mit dem Landrat Dr. Lübbersmann aus dem Landkreis Osnabrück einen schon immer vorzüglich geführten Kreis am Tisch vertreten haben. Wie ist Lernen vor Ort im Landkreis Osnabrück angekommen? Sie waren noch nicht Landrat, als es losging, aber es hat eine Vorgeschichte?

DR. MICHAEL LÜBBERSMANN Ja, das hat eine Vorgeschichte. Ich war zu der Zeit Bürgermeister einer vergleichsweise noch armen Gemeinde. Das Bildungsthema hat mich damals schon massiv bewegt. Bersenbrück ist eine Samtgemeinde mit gut 28.000 Einwohnern. Wir hatten eine extrem hohe Zuwanderung, vor allem aus den ehemaligen GUS-Staaten. In den Kindergärten lag die Migrationsrate zum Teil über 80 Prozent. Sie können sich lebhaft vorstellen, dass Tränen fließen, wenn die Erzieherinnen vor so einer Gruppe stehen, weil sie sich überhaupt nicht verständigen können. Ich hatte einen hochengagierten Leiter einer berufsbildenden Schule, der auch enorm innovativ und interessiert war, das Thema Bildung aus der berufsbildenden Schule heraus voranzutreiben.

Wir haben geschaut, wie man das als eine Gemeinde mit vergleichsweise beschränkten Mitteln am besten gestalten könnte. Die erste Idee war, mit allen Gemeinden im Nordkreis des Osnabrücker Landes einen Fonds zu gründen, in den alle einzahlen, um über diesen Fonds einen größeren Hebeleffekt bei Bildungsmaßnahmen zu erreichen. Der Gedanke der Stiftung (damit ist die Bildungsstiftung für Kinder und Jugendliche im Osnabrücker Nordkreis gemeint) als Finanzierungsquelle für Bildungsaktivitäten ist dann daraus erst gewachsen. Dies mit auf den Weg zu bringen, war mein letzter Akt in der Samtgemeinde Bersenbrück, ehe ich dann in den Landkreis Osnabrück gekommen bin und zum Thema Lernen vor Ort. Ich habe sehr viel mitgenommen aus der Gemeinde, wir haben damals aus der Gemeinde heraus extrem viel initiiert. Ich habe darin die Chance gewittert, mit deutlich mehr Mitteln ein leistungsfähiges Bildungssystem auf die Beine stellen zu können — dabei hatte ich immer im Kopf, es muss dafür auch kommunale Leistungen geben, die müssen wir dafür aufbringen.

Der erste Schritt ist natürlich besonders schwierig, weil man auch die Politik davon überzeugen muss, dass es sinnvoll und notwendig ist, sich in diesem Bereich zu engagieren. Letztendlich ist BILDUNG DER SCHLÜSSEL FÜR EIN FUNKTIONIERENDES GESELLSCHAFTSSYSTEM. Bildung greift überall hinein. Die Wirtschaft funktioniert nur mit einer guten Bildung, die Finanzen funktionieren nur mit einer guten Bildung. Am Ende macht die Zukunftsfähigkeit einer Region eine leistungsfähige, eine hochleistungsfähige Bildungslandschaft aus.

ANSGAR WIMMER Würden Sie sagen, da Sie ja nun schon eine Weile im Kommunalen tätig sind, dass ein BEWUSSTSEINSWANDEL