cover.jpg

 

Cover

Band 37 – Die Stardust-Verschwörung

Klappentext

Prolog

Teil 1: Jetzt

Teil 2: Neun Monate vorher

Teil 3: Jetzt

Teil 4: Knapp neun Monate vorher

Teil 5: Jetzt

Teil 6: Etwa acht Monate vorher

Teil 7: Jetzt

Epilog

Band 38 – Der Celista

Klappentext

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

23.

24.

25.

26.

27.

28.

Band 39 – Der König von Chittagong

Klappentext

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

Band 40 – Planet der Seelenfälscher

Klappentext

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

Band 41 – Zu den Sternen

Klappentext

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

23.

24.

25.

Band 42 – Welt aus Seide

Klappentext

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

Band 43 – Das Ende der Schläfer

Klappentext

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

Epilog

Band 44 – Countdown für Siron

Klappentext

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

Band 45 – Mutanten in Not

Klappentext

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

Band 46 – Am Rand des Abgrunds

Klappentext

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

Band 47 – Die Genesis-Krise

Klappentext

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

Band 48 – Der Glanz des Imperiums

Klappentext

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

img1.jpg

img2.jpg

 

Band 37

 

Die Stardust-Verschwörung

 

von Christian Montillon

 

 

 

Februar 2037: Nach gefährlichen Abenteuern zwischen den Sternen kehren Perry Rhodan und seine Gefährten zur Erde zurück. In ihrer Begleitung ist Atlan, ein geheimnisvoller Mann, der anscheinend zehntausend Jahre alt ist. Er weiß mehr, als er preisgeben möchte ...

Auf der Erde hat sich vieles zum Positiven entwickelt. Terrania wächst zur Hauptstadt einer geeinten Menschheit heran, es herrscht Aufbruchsstimmung.

Im Orbit um die Erde schwebt zudem eine riesige Raumstation, die buchstäblich aus der Vergangenheit kommt. Techniker und Ingenieure bringen das zehntausend Jahre alte Bauwerk »auf Vordermann«. Als Perry Rhodan und Atlan dort ankommen, attackiert sie plötzlich ein unheimliches Wesen. In Atlan erwacht die Erinnerung – an die Vergangenheit und an die Stardust-Verschwörung ...

Prolog

 

Und exakt neun Monate vorher machte sich ein Mann auf, die Zukunft zu verändern.

Teil 1: Jetzt

10. Februar 2037: Ein ferner Traum

 

Ein Monster, dachte Perry Rhodan. Drei Augen starrten ihn aus schwarzer Gesichtshaut an. Sie formten ein Dreieck, und sie schienen zu glühen. Der drei Meter große Koloss könnte ihn in einem einzigen Augenblick zerfetzen oder ihn unter sich zerquetschen. Noch vor neun Monaten hätte ich ihn für ein Monster gehalten und wäre schreiend davongerannt.

»Toreead«, sagte Rhodan stattdessen zu dem Naat, der soeben von seiner holografisch projizierten Arbeitsstation zu ihm gegangen – eher gestampft – war. Er kam nicht darauf, wonach der Außerirdische roch. Wie herbe Kräuter oder das dumpfe Aroma von Pilzen in feuchtem Unterholz. Es war ihm nie zuvor aufgefallen. »Wie kann ich dir helfen?«

Neben den einander so unterschiedlichen Wesen schwebte ein Hologramm aus flirrendem Licht. Es zeigte die Umgebung ihres Raumschiffs VEAST'ARK. Das arkonidische Schlachtschiff, das sie erst vor Stunden erobert hatten, flog mehr als 400 Lichtjahre von der Erde entfernt im All.

Das All war bei Weitem nicht so schwarz und leer, wie man es hätte erwarten können. Vier Schiffe begleiteten die VEAST'ARK, bemannt von Naats wie Toreead, die ein besseres Leben suchten.

»Ich habe das Schiff dem positronischen Autopiloten überlassen, weil ich kurz mit dir sprechen will.« Die Stimme des Naats klang dumpf und rau, aber so gar nicht wie die eines Monsters.

Wieso sollte sie auch? Er war alles andere als das. Perry Rhodan vertraute ihm, mehr, als er manchem Menschen der Erde hätte vertrauen können, weil es Wichtigeres gab als die Tatsache, auf welchem Planeten ein Wesen geboren worden war.

Toreead hob die mächtigen Arme vor den Brustkorb und zerteilte dabei den fernen Sternennebel am Rand des Hologramms, der wie ein ätherischer Dunst wallte und neben dem die winzigen Abbilder unendlich weit entfernter Sonnen im tiefen Schwarz des Alls glänzten.

Nun tanzten die unscheinbaren Lichtpunkte auf der dunklen Haut des Außerirdischen. Er bemerkte es noch nicht einmal. Rhodan hingegen glaubte die Sterne zu spüren wie lebendige Wesen, die ihre Gedanken zu ihm sandten.

»Wir werden in Kürze unser Ziel erreichen«, sagte Toreead. »Dein heimatliches Sonnensystem.«

Seine Beine erinnerten an dicke Säulen, groß genug, um gekauert dahinter Deckung zu finden. Es tat gut, ihn auf seiner Seite zu wissen. Kein Mensch könnte in einem Zweikampf gegen eine solche Kreatur bestehen. Die Naats sahen aus wie die geborenen Sieger, wie Wesen, die sich rein durch ihre Statur alles untertan machten – und doch traf genau das Gegenteil zu.

Im Kosmos, in dessen Wunder Perry Rhodan in den letzten Monaten einen winzigen Blick geworfen hatte, waren die Naats vor allem eins: Kanonenfutter. Sie dienten den Arkoniden als Soldaten und wurden für die Sache des Großen Imperiums reihenweise in den Tod geschickt. Der Schein trog, und im All galten andere Gesetze. Es war im wahrsten Sinn terra incognita, unentdecktes Land voller Abenteuer.

»Ich danke dir für die Erklärung.« Das konnte noch nicht alles sein. Um diese Information auszutauschen, hätte sich der Naat auch per Funk melden oder ihm die Worte quer durch die Zentrale zurufen können. Also wartete Rhodan ab und schaute Toreead auffordernd an.

»Ich weiß nicht, was geschehen soll, wenn wir dort sind«, sagte der Naat. »Wie andere Menschen auf mich reagieren werden.«

»Das kann ich dir leider nicht sagen. Ich bin mir nur in einem sicher, und das verspreche ich dir – die Zukunft wird besser als die Vergangenheit. Deine Zeiten als ...« Er stockte.

»Sprich es ruhig aus. Kanonenfutter.«

Rhodan nickte. »Diese Zeiten sind vorbei. Was immer die Arkoniden dachten, wie sie dich und dein gesamtes Volk auch behandelt haben ... du bist viel mehr wert als das.«

Toreead gab ein grollendes Geräusch von sich, das Rhodan als Zustimmung interpretierte, und ging zurück zu seinem Kommandantenplatz. Seine bullige Gestalt verschwand teilweise hinter den flirrenden Lichteffekten der holografischen, seiner Körpergröße angepassten Bedienpulte. Rhodan verblüffte die Routine des Naats. Toreead hatte den Befehl über die VEAST'ARK erst vor Stunden übernommen – und würde ihn abgeben, sobald der Kommandeur des Verbands, Novaal, wieder in der Lage war, diese Aufgabe auszuüben.

Einige Menschen arbeiteten an weiteren Stationen in der Zentrale der VEAST'ARK und kümmerten sich um tausend Details, als hätten sie ihr Leben lang nichts anderes getan. Vor Kurzem noch waren sie Besatzungsmitglieder der TOSOMA gewesen. Wie schnell sich die Dinge verändern konnten! Der Aufbruch Richtung Arkon ... das Gespinst ... die Mehandor ... die Schlacht im Tatlira-System ...

Man schrieb inzwischen den 10. Februar 2037. Vor etwas weniger als acht Monaten hatte Perry Rhodan die altertümliche Rakete STARDUST bestiegen. Sein Ziel war der Mond gewesen. Dort, auf der Rückseite des Trabanten, glaubte man, ein außerirdisches Raumschiff gesichtet zu haben. Er rechnete es kurz nach – 236 Tage, die nicht nur sein Leben völlig verändert hatten, sondern auch das jedes einzelnen Bewohners der Erde.

Perry Rhodan wischte die Erinnerungen fort, als diese ihn gefangen zu nehmen drohten.

»Ist der Rest von dir auch angekommen, ja?«, wollte Reginald Bull mit knarriger Stimme wissen.

Rhodan hatte seinen alten Freund gar nicht zu ihm treten sehen. »Was meinst du damit?«, fragte er verwirrt.

»Na, dein Körper steht hier schon seit einer Minute in der Gegend herum, aber deine Gedanken waren sichtlich woanders, Herr Sofortumschalter.«

»Ich bin wieder da. Es läuft doch alles bestens, oder?«

»Klar. Wir haben alles im Griff.« Bull verzog das Gesicht. Er wusste so gut wie Rhodan, dass es eigentlich gar nicht ihre Aufgabe war, alles im Griff zu haben. Schließlich waren nicht sie die Kommandanten dieses Schiffes, sondern der Naat Toreead, dessen dicke Arme sich jetzt wieder erstaunlich elegant über die Schalt- und Sensorflächen bewegten. Teilweise schwebten die sehr materiell aussehenden Eingabedisplays der Steueranlage in der Luft und gaben den Blick auf die stämmigen Beine frei.

Ein wenig wirkte Toreead wie der Dirigent eines unsichtbaren Orchesters, nur dass sich dieses aus den Maschinen und der Technologie des Raumschiffs VEAST'ARK zusammensetzte. Vor dem Kopf des Naats – Rhodan kam es viel zu dicht vor – schwebte ein Holofeld, auf dem Reihen von Zahlen abliefen, wohl Messwerte, Berechnungen und Ortungsergebnisse.

»Toreead hat angekündigt, dass die Regenerationsphase der Strukturfeldkonverter in Kürze abgeschlossen sein wird. Das heißt, wir können bald den zweiten und letzten Transitionssprung wagen.« Dabei legte die VEAST'ARK in einem einzigen Augenblick eine unbegreiflich weite Strecke in einer anderen Ebene der physikalischen Realität zurück.

Der erste Sprung hatte sie vor wenigen Stunden über 700 Lichtjahre versetzt; noch vor Kurzem wäre es ein unvorstellbarer, ja lächerlicher Traum gewesen, an solche Entfernungen auch nur zu denken. Nun lagen das Tatlira-System und die Raumschlacht, die sie dort hatten miterleben müssen, eine unbegreiflich weite Strecke im Raum von ihnen entfernt.

»Der zweite Sprung wird uns«, fuhr Reg fort, »bis direkt in unser Sonnensystem bringen, in die Nähe der Marsbahn, wenn alles klappt.«

»Natürlich wird das gut gehen«, sagte Rhodan gelassen. »Hast du denn kein Vertrauen?«

Bull verzog das Gesicht und wies die Positroniksteuerung der VEAST'ARK an, den Bildausschnitt des Hologramms zu verändern, sodass es nicht nur ihre aktuelle Situation, sondern auch ihr Ziel – die Heimat – anzeigte. Es war, als rase die Kamera unendlich schnell davon. Das dreidimensionale Abbild zeigte nun keine einzelnen Sterne mehr, sondern nur noch winzige, zusammengeballte Punkte, die unbegreiflich blieben.

Zwei leuchtend rote Symbole markierten 400 Lichtjahre auseinander liegende Positionen. Der Maßstab schien willkürlich, weil es nichts mehr gab, was man damit vergleichen konnte. Es sprengte jede Vorstellungskraft.

»Wir springen über einen ewigen Abgrund, Perry. Wenn die Naats sich irgendwo ein klein bisschen verrechnet haben, werden wir ...«

»Das werden sie nicht«, unterbrach Rhodan. »Sie haben Erfahrung. Eine Menge davon.«

Bull winkte ab. »Wie geht es dir, wenn du an die Erde denkst? Wir waren lange weg. Einen Monat.«

»Sie war in dieser ganzen Zeit nur ein ferner Traum«, meinte Rhodan nachdenklich. »Aber zugleich bildete sie immer mein wahres Ziel. Ich wusste, dass wir zurückkehren werden, ganz egal, was passiert.«

»Was, glaubst du, erwartet uns zu Hause?«

Wenn ich das nur wüsste! Sie waren vor einem Monat aufgebrochen, um nach Arkon vorzustoßen, der Heimat von Crest und Thora und dem geheimnisvollen Mann namens Atlan da Gonozal, der offenbar seit Jahrtausenden – seit dem Untergang des nach ihm benannten Atlantis – auf der Erde lebte. Dieser Plan war kläglich gescheitert; sie waren nicht einmal in die Nähe von Arkon gelangt, dem Machtzentrum eines gigantischen Sternenreiches.

Einen Monat lang waren sie unterwegs gewesen. In dieser Zeit hatte Rhodan überdeutlich erlebt, wie grausam der Krieg zwischen den Sternen war und über welche verheerenden Möglichkeiten technisch hochstehende Kulturen verfügten. Und die Erde war schutzlos geblieben. Alles konnte dort inzwischen geschehen sein ...

»Keine Antwort, Perry?« Reg grinste. »Was sollst du auch sagen? Ich weiß nur eins – wenn wir zurück sind, warten eine Menge Entscheidungen auf uns. Was tun wir mit diesem Atlan? Zum Beispiel ... Wie bauen wir die neuen Kontakte ins All aus? Und verdammt noch mal, wie schützen wir uns vor dem Krieg dort draußen?«

Das war eine gute Liste. Rhodan hätte ihr noch einige Punkte hinzufügen können, doch Toreead begann mit einem Countdown.

Irritierenderweise startete er bei »sieben«, und dies widersprach menschlichen Gewohnheiten völlig. Die VEAST'ARK beschleunigte mit Höchstwerten, was Rhodan jedoch nur wusste. Er fühlte in der Zentrale nichts davon, der Andruck wurde von der Technologie neutralisiert.

»Sechs ... fünf ...«

Perry Rhodan schloss die Augen und wappnete sich auf den Sprung. Mit einer Transition ging bei der Wiederverkörperlichung ein starker Schmerz einher. Er atmete tief und ruhig. Trotzdem fühlten sich seine Handinnenflächen feucht an. Er schwitzte und schaute sich rasch um. Es gab keine Möglichkeit zum Sitzen. Er bezwang die leise aufsteigende Unruhe, ja Panik. Mit einem Mal überfiel ihn ein ungutes Gefühl. War er zu sorglos gewesen, einfach wegzugehen? Die Erde zurückzulassen?

»... vier ... drei ...«

Noch immer schwebte neben ihm das Hologramm. Es zeigte wieder das ursprüngliche Bild – den Weltraum rund um die VEAST'ARK, ein ewiges Nichts, in dem in der Ferne Sonnen wie winzige Punkte in dunklem Samt glitzerten. Am Rand der Wiedergabe strahlte der violette Sternennebel.

In diesem Hologramm würde er hoffentlich bald den Mars sehen. Und die Erde.

Rhodan fühlte sich hin und her gerissen. Es war ein gutes Gefühl, heimzukehren, aber ...

»... zwei ... eins ... Sprung.«

Übelkeit drehte ihm den Magen um. Ein Feuer lief durch seine Organe, und sein Blut rauschte überlaut in den Ohren.

Doch es traf ihn inzwischen nicht mehr unvorbereitet. Der Schmerz währte nur einen Augenblick lang. Man gewöhnt sich an alles, dachte er halb sarkastisch und fühlte sich zum ersten Mal wie ein echter Raumfahrer. Wie jemand, für den es ... normal war, fremde Sonnensysteme zu bereisen.

Dann sah er das holografische Bild des herrlichen blauweißen Balls im All. Die Erde sah wundervoll aus, wie sie im ewigen Schwarz hing. Ein Feuerarm schob sich aus dem gigantischen Glutball der Sonne; die Protuberanz schien aus Rhodans Blickwinkel den Heimatplaneten fast zu berühren.

Der Anblick vertrieb die Reste der Schmerzen; er vergaß sie einfach. Es war so leicht gewesen. So schnell gegangen. Und obwohl er es im Vorfeld gewusst hatte, überwältigte es ihn. Sie hatten einen kosmischen Abgrund übersprungen, vorbei an Millionen Sonnen und wohl ungezählt vielen bewohnten Planeten.

Mehr als 400 Lichtjahre, ging es ihm noch durch den Sinn, ehe er das ... das riesige Ding sah, das über der Erde hing, und eiskaltes Entsetzen ihm die Kehle zuschnürte.

»Was zum Teufel ist das?«, rief Bull.

Einen Monat ohne Schutz, dachte Rhodan noch und wollte Alarm auslösen, doch Toreead war schneller.

Teil 2: Neun Monate vorher

10. Mai 2036: Der Arkonide und der Astronaut

 

»Work is the best antidote to sorrow«, lese ich – »Arbeit ist das beste Mittel gegen Trauer.«

Wenn dieser – wie heißt er doch gleich? –, dieser Sir Arthur Ignatius Conan Doyle wüsste, welche Trauer ich seit einer Ewigkeit durchlebe, wäre ihm auch klar, wie leer und hohl dieser Ratschlag ist. Dabei hat er seine Romanfigur Sherlock Holmes so manchen klugen Spruch sagen lassen.

Vielleicht sollte ich ihn einmal besuchen. Er lebt nicht gerade in der Nähe, aber inzwischen kann man die Welt bereisen, wenn man Zeit hat. Und ehrlich, wenn ich etwas habe, ist es Zeit. Ein paar Tage später mache ich mich auf, und ich treffe Doyle tatsächlich in ...

... in ...

Die Bilder meiner Träume vermischen sich, wie sie das so gerne tun im schier endlosen, im jahrelangen Schlaf. Ich kann es fühlen, kann es sehen. Wahrscheinlich wache ich bald auf. Ich spüre es: Die Maschinen arbeiten nicht mehr.

Das Jahrhundert verschwimmt. Eine andere Erinnerung steigt aus dem diffusen Nichts in meine Träume. Sie ist viel lebendiger, glühender, und sie kitzelt mich näher ans Erwachen heran.

»Atlan«, haucht sie. »Was für ein seltsamer Name.« Sie kichert, und ich frage mich, warum ich mich dazu habe hinreißen lassen, meinen echten Namen zu nennen.

Sie macht mich ganz verrückt. Es ist, als würde sie mir den Verstand aussaugen. Mein Gedankenbruder setzt zu einem spöttischen Kommentar an, aber ich unterdrücke ihn schon im Ansatz – ich habe weitaus Besseres zu tun.

»Lisa del Giocondo ist ebenfalls recht klangvoll, meine Verehrteste«, schmeichle ich. Sie kommt näher, und ich weiß nicht, was reizvoller ist: ihr nackter Körper oder ihr geheimnisvolles Lächeln. Ihre Haut fühlt sich warm an, warm wie das Blut des Soldaten, das aus seinem zerfetzten Kehlkopf direkt in mein Gesicht spritzt. Das Schwert durchbohrt seinen Leib von schräg oben, und die Klinge reißt auch mir noch eine kleine Wunde, ehe ...

Ich fühle den Schmerz sogar im Traum, die Assoziationen vermengen sich und wirbeln die Bilder der Erinnerungen durcheinander. Lisa del Giocondo und die bestialische Schlacht gegen das römische Heer liegen jahrhundertelang auseinander. Vielleicht ist der Verstand eines Arkoniden nicht dafür geschaffen, solche Zeiträume zu durchleben, genauso wenig wie der eines Menschen dieser Welt, auf der ich seit Tausenden von Jahren festsitze.

Mit diesen Gedanken wache ich auf, und die Erinnerung an die nackte, geheimnisvolle Frau verweht ebenso wie die an den Tod und die Schreie der Verwundeten auf dem Schlachtfeld.

Stattdessen schaut mich ein Gesicht an, das allzu vertraut ist. »Du bist wach«, sagt Rico, mein treuer Begleiter. Er ist getarnt, sieht aus wie ein Mensch der Erde, aber ich erkenne ihn sofort. Seine Augen sind braun. Haselnussbraun. Er lächelt. »Das ist gut.«

Ich höre die Worte nur diffus und verschwommen, als wären sie ein halber Traum. »Wie lange?«, versuche ich zu sagen, doch meine Lippen sind so trocken, und es sticht in meinem Hals. Ich gebe nur einen krächzenden Laut von mir.

Rico versteht mich trotzdem, weil er mich kennt. Seit Jahrtausenden. »Du hast vierundsiebzig Jahre geschlafen«, sagt er. Irgendetwas stimmt daran nicht, und das ...

 

... riss mich endgültig aus dem Schlaf. Ich setzte mich auf, zu schnell nach der langen inaktiven Phase. Mein Kreislauf revoltierte, dunkle Flecken tanzten mir vor den Augen. Mir wurde übel, ich musste würgen, und bittere Magensäure brannte mir in der Kehle. Hastig schluckte ich, und ich hatte viel zu wenig Speichel, um das Brennen loszuwerden.

Ruhig, alter Narr!, verlangte mein Gedankenbruder. Mach langsam! Bist du nicht oft genug hier in deiner Schlafkammer erwacht, um zu wissen, dass sich dein Körper erst an das Erwachen anpassen muss?

Doch, das war ich. Ungezählte Male. Aber an manches gewöhnte man sich eben nie, wenn man kein Roboter war. Wie Rico, der zugleich viel mehr als das war. Das Rätsel, das ihn umgab, hatte ich auch in Jahrtausenden nicht lösen können. Aber eins wusste ich: Er war mir ein wertvoller Begleiter.

Rico war tatsächlich perfekt getarnt, sah aus, als wolle er sofort aufbrechen, um sich unter die Menschen zu mischen.

Oder als wäre er schon dort gewesen.

Er trug eine alt und verwaschen aussehende Hose aus dunkelblauem Stoff, die eng an seinen Beinen lag. Im Gegensatz dazu schlackerte ein dunkelrotes, ärmelloses Shirt um den Oberkörper.

Der Roboter stand zwischen mir und der zweiten Kälteschlafliege in dem engen Nebenraum, der zu meiner Geheimkammer in der unterseeischen Kuppel vor den Azoren gehörte. Die Kälte meines langen Schlafes wich nur langsam aus meinen Gliedern. Stumm hielt er mir einen Becher hin. Ich nahm ihn und trank vorsichtig von dem klaren, köstlichen Wasser. Es belebte die Zunge und spülte die saure Wunde in meinem Hals davon. Am liebsten hätte ich alles gierig ausgetrunken, aber ich riss mich zusammen. Ein Tropfen perlte auf meiner Lippe.

Es kitzelte, und es kam mir vor, als hätte ich etwas so Wundervolles seit Jahren nicht mehr empfunden. Genau so war es auch. Die Luft roch frisch und nach einem Hauch von vergangenen Abenteuern. Ich bewegte die Finger. Die Muskeln schmerzten, es knackte leise. Die Vielzahl der Sinneseindrücke überwältigte mich schier. Kein Wunder, denn ich hatte seit 74 Jahren nichts mehr empfunden.

»Warum hast du mich jetzt schon geweckt?«, fragte ich, denn es war exakt ein Jahr zu früh; normalerweise weckte mich Rico nach einer Schlafepoche von 75 Jahren.

»Es gibt einen guten Grund«, sagte Rico. »Die Menschheit hat Fortschritte gemacht, seitdem du zum letzten Mal die Kuppel verlassen hast, Atlan.«

»So? Haben sie noch bessere Waffen entwickelt, um sich gegenseitig umzubringen?« Ich wollte trocken lachen, doch es war wohl im wahrsten Sinn des Wortes etwas zu trocken, und ich musste husten. Als es vorüber war, trank ich vorsichtig noch ein paar Schlucke. Ich spürte die Kühle des Wassers die Speiseröhre hinunterrinnen und bis in den Magen hinein.

»Das haben sie in der Tat. Auf diesem Gebiet sind sie erstaunlich erfinderisch.«

Ich fragte mich, ob Rico diese Worte spöttisch aussprach oder voll echter Bewunderung. »Aber?«

»Aber deshalb habe ich dich selbstverständlich nicht geweckt. Eine Notsituation erfordert dein Eingreifen.«

»Und zwar?« Ich stand auf. Der ganze Boden schwankte. Die schlichten Metallwände drehten sich, als meine Knie nachgaben; die beiden Kälteschlafliegen krochen die Wände hinauf.

Natürlich bildete ich mir das nur ein. Ich war es, der kippte. Ricos Arm schoss vor, er stützte mich. »Es ist so weit«, sagte er.

Die Worte brachten augenblicklich meine Augen zum Tränen. »W... was?« Sollte das etwa bedeuten, dass ...

»Die Menschheit stößt ins All vor.« Rico klang völlig emotionslos, als würde er mir mitteilen, welches Wetter weit oben über der Meeresoberfläche herrschte.

»Sie haben ein Raumschiff gebaut?«

»Eine Rakete«, schränkte er ein. »Ein zerbrechliches Ding, von dem sie hoffen, dass es ihren Mond erreicht.«

Ich schüttelte seinen Arm ab. Die Nachricht gab mir Kraft. Von diesem Punkt der Entwicklung aus trennten die Menschen im wahrsten Sinn des Wortes noch Welten von echten interstellaren Reisen – aber es war ein Anfang, auf den ich bereits lange wartete. Zwar hatte Präsident Kennedy im Mai 1961 die Absicht verkündet, zum Mond zu fliegen – das war während meiner letzten Wachphase gewesen. Aber wegen all der politischen Wirren hatte ich es nicht für möglich gehalten, dass er das tatsächlich in die Tat umsetzen könnte.

Seit rund 10.000 Jahren.

»Genauer gesagt«, fuhr Rico fort, »ist ihnen das vor einigen Jahrzehnten sogar schon gelungen. Sie waren damals auf dem Mond.«

»Warum hast du mich zu diesem Zeitpunkt nicht geweckt?«, begehrte ich auf. »Ich hätte ...«

»Was macht es für einen Unterschied? Gewiss, du träumst davon, eines Tages nach Arkon zurückkehren zu können. Aber eine Rakete, mit der sie mit viel Glück und Wagemut ihren Trabanten erreicht haben, hilft dir dabei nicht weiter.«

»Gut. Und warum hast du mich jetzt geweckt?«

»Es geht nicht um die Rakete, sondern um etwas anderes. Um jemand anderen.«

»Wenn ich Kraft hätte«, sagte ich zu Rico, »würde ich dich packen und durchschütteln, um dir nicht jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen zu müssen! Sei froh, dass mein Körper noch halb im Tiefschlaf steckt ...«

Dieses Mal streckte der Roboter die linke Hand aus. Darin hielt er ein flaches Metallplättchen, auf dem ein winziger Speicherkristall lag. Rico fuhr über ein Sensorfeld auf dem Plättchen, und vor seiner Hand formte sich eine frei in der Luft schwebende Holografie.

Zuerst tanzten nur einige sprühende Funken in der Luft wie umherwirbelnder Staub, der in einem grellen Sonnenstrahl glänzte. Einen Augenblick später bildeten sich Konturen heraus, eine abenteuerliche, bleistiftförmige Rakete in einem gewaltigen Trägergestell. Die Rakete startete ...

... und explodierte.

Trümmerteile rasten umher und zerschmetterten den Asphalt des Startfelds. Metallteile bohrten sich tief in die Erde, schnitten metertiefe Krater. Ein gezacktes Stück der Außenhülle mit mehreren Metern Durchmesser schmetterte in ein Gebäude, zerfetzte das Dach, rasierte ein ganzes Stockwerk ab. Brände loderten auf, das Trägergestell knickte ein, brach ab und donnerte auf.

Alles geschah in der Wiedergabe völlig lautlos, geradezu gespenstisch.

»Was ist das?«, fragte ich.

Rico schaute mich an, mit ausdruckslosem Gesicht. Er ist ein Roboter, rief ich mir in Erinnerung, und wenn er noch so lebendig wirkt.

»Was das ist?«, wiederholte er. »Das, Atlan, ist dein Ziel ...«

 

Eine Stunde später wusste ich mehr und verließ endlich die Tiefschlafkammer. Draußen, in der weitaus größeren Kammer, atmete ich auf. Es tat gut, sie wiederzusehen. Mein Portal in die Welt.

Ich schaute zum Becken am anderen Ende des Raums, fast dreißig Meter entfernt. Das Tauchboot lag darin und wartete auf uns. Ricos Erklärungen hatten mich überzeugt. In der Tat, ich musste eingreifen. Die Dinge spitzten sich zu, nach all den Jahrtausenden, in denen ich die Entwicklung dieser Art beobachtet und in meinem Sinn beeinflusst hatte.

Der Mond ... Für die Menschheit mochte es ein gewaltiger Schritt sein, für mich nur ein winziges Tapsen in Richtung Arkon. So durfte es nicht weitergehen! Ich rief mir die Bilder der explodierenden Rakete in Erinnerung. Mein Ziel, hatte Rico es genannt.

»Also los!«, forderte ich meinen Begleiter auf, den einzigen, der seit Ewigkeiten treu an meiner Seite stand.

»Bald!«, herrschte mich der Roboter an, viel schärfer, als ich es von ihm gewohnt war. »Oh«, sagte er dann und murmelte eine Entschuldigung. »Ich war abgelenkt. Ehe wir aufbrechen, will ich dir noch einige Eindrücke aus dem Leben auf diesem Planeten vermitteln. Alles hat sich verändert, seit du zum letzten Mal draußen warst. Aber zuerst sollte ich dich warnen.« Seite an Seite durchquerten wir die Halle. Unsere Schritte hallten in dem weiten Raum. »Das Tauchboot hat gelitten seit der Zeit, als du es zuletzt genutzt hast.«

»Wie das?«

Er winkte ab. »Nicht der Rede wert. Ich musste die Kuppel verlassen und noch einige Dinge regeln, die nach deiner ... Intervention offengeblieben sind.«

»Du warst allein unterwegs?«

Rico nickte. »Wie gesagt, nicht der Rede wert. Ich konnte die anfallenden Nacharbeiten selbst erledigen und musste dich nicht stören. Du erinnerst dich doch an deine letzte Mission?«

Selbstverständlich tat ich das. Es war das Jahr 1962 gewesen, im Oktober. Die Medien hatten das weltpolitische Problem Kubakrise genannt, und die Menschen hätten sich damit fast in den Untergang gerissen. Ich hatte einige unschöne Dinge tun müssen, um den Dritten Weltkrieg zu verhindern. Es war noch schwerer als sonst gewesen, hinter den Kulissen lenkend und beschwichtigend einzugreifen. Ich mochte sie ja, die Menschen, aber die meisten waren erbärmliche Dickköpfe, von einem umfassenden Egoismus angetrieben.

Und damit unterscheiden sie sich ja so sehr von uns Arkoniden, lästerte mein Gedankenbruder. Ein Einwurf, dem ich nicht widersprechen konnte.

»Seitdem hat es eine rasante technologische Entwicklung in allen Alltagsgebieten gegeben«, erläuterte Rico. »Hin und wieder gewinne ich den Eindruck, die Menschen wären in vielerlei Hinsicht von ihren technischen Errungenschaften abhängig.«

Er schaute mich mit undeutbarer Mimik an – oder einfach ausdruckslos, wie man es bei einem Roboter auch erwarten könnte. Nur dass mein Begleiter ein ganz besonderer Roboter war; einer, dessen Geheimnisse ich in 10.000 Jahren nicht hatte enträtseln können.

Eine ausladende Bewegung mit den Armen folgte. »Sieh her!«

Hologramme ploppten rund um uns auf, fünf, zehn, zwanzig, immer mehr; es war, als würde ich mitten in einem Kommunikationszentrum stehen und durch Kameras in Dutzende Winkel der Welt hineinblicken.

Ich schaute die Holos an, nacheinander, viel zu schnell, die Bilder rauschten durch meinen Verstand. Langsam, alter Narr!, herrschte mich der Logiksektor an, meine innere Stimme, die nach dem langen Schlaf offenbar keine Schwierigkeiten hatte, zur gewohnten Form zurückzufinden.

Eine Kolonne aus schwitzenden Männern mit stoppelkurzen Haaren wuselte um gigantische Metallteile und das Skelett eines riesigen Meeresschiffes; sie erinnerten mich an einen Insektenstaat inmitten einer gewölbten Halle mit Blick durch ein weites Tor auf einen überfüllten Hafen. Graue Dämpfe wallten in der Luft, und metallene Robotarme bewegten schwere Lasten.

Im Bild daneben erstreckte sich eine Wüste unter tiefblauem, wolkenlosem Himmel. Nein, keine herkömmliche Wüste, dies war ein Meer aus verdorrten Büschen und abgeholzten Bäumen; dem Durchmesser der Stümpfe nach mussten es wahre Urwaldriesen gewesen sein. Irgendwo weit hinten wälzten sich Maschinen am Rand der Ödnis.

Ein Strand, sonnenhell und mit Horden von nackten Menschen bevölkert, die schwammen, lachten, rannten oder auf Liegen lagen. Ich sah ein wenig genauer hin. Sie waren nur fast nackt. Dennoch wäre das bei meiner letzten Wachphase undenkbar gewesen. So änderten sich die Zeiten. Etwas Gutes musste Fortschritt ja haben.

Das nächste Bild: Menschen in einer Stadt, überfüllte Gehwege, Autokolonnen. Dann eine weite, einsame Ebene mit wenigen Häusern; ein Wirbelsturm am Horizont. Und ein Gebäude, das sich wie eine organisch gewachsene Riesenschnecke ins Wasser eines Naturhafens schmiegte. Ein Hubschrauber landete darauf. Ein Zug raste am Fuß eines Berges entlang, hinein in einen gewaltigen Tunnel. Eine Frau blickte mich an, mit asiatisch schmalen Augen und unwirklich vollen Lippen. Dann ein Kind, nackt bis auf ein Stück Stoff zwischen den Beinen und dürr wie ein Skelett.

Ich schloss die Augen. Es waren zu viele Eindrücke, ich glaubte Lachen zu hören und Weinen. Das ist das Leben, dachte ich, anders als damals und doch genauso wie schon immer.

»Gehen wir weiter!«, forderte ich, und diesmal widersprach Rico nicht. Vielleicht erahnte er meine Gedanken.

Kurz darauf staunte ich darüber, in welch schlechtem Zustand das Tauchboot im Wasserbecken tatsächlich war. Trotz der Ankündigung meines Begleiters hatte ich damit nicht gerechnet. Aber es war noch fahrtüchtig, immerhin das. Wir verließen die Kuppel und rasten in den Tiefen des Meeres unserem Ziel entgegen.

Amerika.

Ich war gespannt, wie sich das Land in den letzten 74 Jahren verändert hatte. Ich gierte darauf, es nicht nur in Hologrammen anzuschauen, sondern es selbst zu erleben.

 

Es stank nach Schweiß – das war mein erster Eindruck von der Bar, die ich elf Tage später betrat. Ansonsten gefiel sie mir. Die Stühle wirkten bequem, und die Frauen trugen erfreulich kurze und dünne Kleidung. Dazu das eine oder andere Gläschen Wein – was wollte man mehr.

Falls es Wein war, was die Leute rundum tranken; die Gläser sahen zum Teil mehr als seltsam aus. In den letzten Tagen auf dem Weg der Nachforschungen und Recherchen, die mich schließlich hierher geführt hatten, waren mir allerdings so viele merkwürdige Dinge begegnet, dass ich längst nichts mehr hinterfragte, sondern es schlichtweg hinnahm. Im Verhältnis zu früheren Wach- und Schlafphasen hatte sich dieses Mal alles rasant verändert. Mir schwirrte noch immer der Kopf von der Hektik dort draußen. So etwas war ich seit 10.000 Jahren nicht mehr gewohnt.

Es war nicht einfach gewesen, den Mann zu finden, den ich nun vor mir hatte. Auf den ersten Blick wirkte er fast ein wenig unscheinbar, doch ich musste ihm nur ins Gesicht sehen, um zu erkennen, dass er etwas Besonderes war. Auch wenn er dieses Gesicht dem Barkeeper zuwandte, »Noch einen!« rief und auf sein leeres Glas deutete.

Er war drahtig, hatte graublaue Augen und dunkelblonde Haare. Geboren in Connecticut, wie ich wusste. Absolvent der University of Berkeley, erst Testpilot der Air Force, dann Astronaut bei der NASA.

Das also war er.

Der Mann, der als der beste Astronaut der NASA galt. Ich war neugierig auf ihn.

Das war Perry Rhodan.

Er stand am Tresen, und ich stellte mich zu ihm. Er sah nicht her, sondern blickte ins Leere. Wahrscheinlich in die Zukunft. Oder ins All ...

Ich schloss die Augen und sah die Bilder der Simulation vor mir, die Rico mir gezeigt hatte. Die STARDUST explodierte. Feuerflammen rissen das halbe Startgelände Nevada Fields in den Untergang. Trümmerteile flogen Hunderte Meter weit, bohrten sich in die Gebäude und zerschmetterten Fahrzeuge.

Meine Augen tränten. Ich wischte darüber. »Trockene Luft«, sagte ich, wie um meine Handlung zu entschuldigen. Würde ich ihm erklären, dass ich ein durch Verkleidung und diverse kosmetische Tricks getarntes Wesen von einem fremden Planeten war, dem bei innerer Erregung das Wasser aus den Augen drang, hätte er mich wohl für irrsinnig gehalten.

Rhodan reagierte mit einem abwesenden Nicken und trank einen Schluck.

»Schmeckt das Bier hier in diesem Laden?«, fragte ich.

»Ist alkoholfrei.« Seine Stimme klang eher unauffällig. Und leise. Wie die eines Mannes, der nicht gestört werden und schon gar keine belanglose Konversation mit einem Fremden führen wollte. »Wahrscheinlich nicht das, was Ihnen vorschwebt, wenn Sie ...«

»Doch, doch«, unterbrach ich. »Ich muss mir das Zeug auch reinwürgen. Sechzig Tage, und Sie?« Natürlich wusste ich, dass Rhodan kein trockener Alkoholiker war, dass er nicht mühsam die Tage zählte, in denen er nicht rückfällig wurde, und sich auch nicht jede Woche eine Plakette bei seinen anonymen Treffen abholte. Aber irgendwie musste ich mit ihm ins Gespräch kommen.

»Muss mich gerade fit halten«, erwiderte er. »Für ... Ach, ich arbeite an einem wichtigen Projekt, da gilt es, mich zu konzentrieren, sagen wir es so. Wenig Freizeit, und Alkohol ist völlig tabu.«

Er war ehrlich. So ehrlich, wie er einem Fremden in der Bar gegenüber sein konnte. Und er zappelte bereits an meiner Leine, wenngleich er es nicht ahnte. Immerhin hatte ich ihm einiges an Lebenserfahrung voraus. Ich hatte schon mit griechischen und römischen Philosophen diskutiert und an meiner Kunst der Redeführung gefeilt, als seine hoch geschätzten Vereinigten Staaten von Amerika noch nicht einmal eine Fiktion gewesen waren.

Trotzdem beeindruckte er mich, wenngleich ich nicht wusste, wieso. Also beschloss ich, ebenso ehrlich zu sein wie er. So ehrlich, wie man seinem Opfer gegenüber sein konnte, das man auszutricksen gedachte. Ich lachte. »Ich habe Sie angelogen! War nie Alkoholiker, also zähle ich auch nicht die Tage. Ich wollte mich ein bisschen einschmeicheln und Sie nicht in Versuchung führen, Mister ...« Ich hob meine Stimme beim letzen Wort, wie man es tat, wenn man den Namen seines Gegenübers herauszufinden versuchte.

Rhodan reagierte nicht darauf. »Aha«, sagte er stattdessen und klang weder erfreut noch erbost, sondern gleichgültig. Das war gar nicht gut.

»Aber eins stimmt«, fuhr ich fort. »Bier mag ich tatsächlich nicht. Dabei ist es mir völlig egal, ob es alkoholfrei ist oder nicht. Ich bevorzuge Wein. Roten, wenn's geht, und echten. Kein synthetisch hergestelltes Kunstzeug.« Von dieser Unsitte hatte ich in den letzten Tagen gehört – eine Schande!

»Hören Sie«, sagte Perry Rhodan. »Tut mir leid, wenn Sie ein Gespräch suchen, ich ... ich kann nicht.«

Das ist deine Chance, wies mich der Logiksektor unnötigerweise auf das Offensichtliche hin. Nutz deinen Vorteil! Mehr musste er nicht sagen, mir war klar, worauf der Gedankenbruder hinauswollte. Ich wusste, warum Rhodan nicht konnte, wie er es nannte, und was ihn beschäftigte. Der bevorstehende Flug ins All. Vielleicht wog er im Augenblick ab, ob seine Begleiter tatsächlich die richtigen waren – Reginald Bull, Dr. Eric Manoli und Clark G. Flipper. Vier gegen den Rest der Welt.

Ich schaute mich im Raum um.

Und stockte.

Du hast sie ebenfalls bemerkt, nicht wahr?, schickte mir mein Gedankenbruder einen Gedankenimpuls. Aber als Logiksektor hatte er mehr Details aus meinem scheinbar flüchtigen Eindruck gefischt. Etwa, dass diese Frau – zwischen zwanzig und fünfundzwanzig Jahren, tiefschwarzes Haar, mindestens zu einem Viertel europäische Wurzeln, etwa einen Meter siebzig groß, schlank – eine schmale Waffe in einem winzigen Holster unter der dunkelblauen Weste trug. Die Ausbeulung war eindeutig. Mir hingegen waren nur andere »Ausbeulungen« aufgefallen – ihre Figur war einen zweiten Blick wert.

Ich beschloss, sie im Auge zu behalten, und das nicht nur wegen ihrer Figur. Sie schaute nämlich rüber. Zu Rhodan. Und das konnte kein Zufall sein.

Über einen kleinen Empfänger im Ohr hörte ich Ricos Stimme. »Du hast sie ebenfalls bemerkt, nicht wahr?«, fragte er vom anderen Ende der Bar aus. Wie verrückt, dass er genau dieselben Worte benutzte wie mein Gedankenbruder vor wenigen Augenblicken. »Ich habe ihr Äußeres bereits mit einer Datenbank abgeglichen. Sie ist einer der bestbezahlten Profikiller der westlichen Welt. Die Waffe trägt sie nur für den Notfall bei sich. Sie nutzt präzisere Methoden. Bessere. Sie ist eine geniale Chemikerin und versteht sich außerdem auf perfekt inszenierte Hightech-Unfälle. Perry Rhodan ist schon so gut wie tot.«

Nicht, wenn ich es zu verhindern wusste. »Sie können nicht?«, sagte ich zu Rhodan. »Dann tut es mir leid, dass ich Sie gestört habe.«

»In Ordnung«, sagte er und schaute mich nicht einmal richtig an.

Welch ein enttäuschendes Ende für ein Treffen, auf das ich tagelang hingearbeitet hatte. Ich würde das Gespräch nachholen. Zunächst gab es Wichtigeres. Zum Beispiel diesem mir völlig fremden Mann, der vielleicht das Schicksal der Welt in den Händen hielt, das Leben zu retten.

Ich wandte mich ab, ging zum Tisch der Killerin und setzte mich unaufgefordert zu ihr. Mit schönen Frauen umzugehen, darin hatte ich nicht erst seit 10.000 Jahren Erfahrung. Eine Profikillerin war zwar noch nie darunter gewesen, aber einmal war immer das erste Mal. Ich schaute sie an und lächelte.

 

Sie erwiderte meinen Blick völlig ungeniert, sah mir in die Augen und ...

... zwinkerte. »Was wollen Sie?«, fragte sie in waschechtem Amerikanisch, das ihre augenscheinlich asiatische Herkunft nicht erahnen ließ. »Und überlegen Sie sich Ihre Antwort gut. Ich bin es gewohnt, Männer anzulocken. Die meisten scheitern.« Ihr Lächeln hätte die Herzen all dieser Gescheiterten schmelzen lassen und verschwand sofort wieder. »Also, warum sollte ich ausgerechnet Ihnen mehr als eine halbe Minute widmen?«

Ich beobachtete sie genau. Ihr Blick wanderte kein einziges Mal hinüber zu Perry Rhodan; sie war sich ihres Opfers völlig sicher. Es würde ganz gewiss nicht gerade in diesem Augenblick die Bar verlassen.

Statt einer Antwort lehnte ich mich im Stuhl zurück. Die Lehne knarrte ein wenig. Ich winkte die Bedienung heran; die junge Frau trug einen unvorteilhaften blauen Dress samt strahlend weißer, unweiblicher Krawatte. Wer diese Kleidung entworfen hatte, gehörte bestraft. »Wein«, sagte ich zu der Serviererin. »Den besten, den Sie haben. Ich vertraue Ihrem Urteil. Zwei Gläser dazu.« Sie nickte mir zu.

Die Killerin zeigte die Andeutung eines Lächelns. »So«, sagte sie, dehnte dabei den Vokal in die Länge. »Das also ist Ihre Show?«

Gleichzeitig meldete sich erneut Rico über den kleinen Empfänger in meinem Ohr zu Wort. »Ihr wahrer Name ist nicht bekannt. Man vermutet, dass sie als Yoshimi Zhang geboren wurde.«

Ein Name, so unverbindlich wie kaum ein anderer im asiatischen Raum, kommentierte mein Gedankenbruder nüchtern.

»Ihre Herkunft verliert sich im Dunkeln«, fuhr Rico fort. »Eltern und Geburtsort: unbekannt. Sie hat es ausgezeichnet verstanden, alle Spuren zu verwischen. Gewissermaßen ist sie ein Phantom, für die Behörden nicht weniger unwirklich als ein Arkonide, der seit Jahrtausenden immer wieder auf der Erde auftaucht. Nur dass es von ihr ein Foto gibt.«

Das sollte wohl witzig sein. Mir blieb keine Zeit, mich darüber zu amüsieren. Stattdessen antwortete ich meinem ebenso attraktiven wie tödlichen Gegenüber. »Als Show würde ich es nicht bezeichnen.« Ich legte meine Hand auf den Tisch, ein Stückchen näher an ihrer Rechten, als es nötig gewesen wäre. »Dafür ist es bei Weitem nicht spektakulär genug. Ich nenne es eher Offenheit. Oder Interesse. An Ihnen. Sie verdienen das Beste, es kommt mir nicht auf Geld an, und ich möchte mich nicht mit unwesentlichen Dingen beschäftigen. Also ... wie heißen Sie?«

»Ich wüsste keinen Grund, es Ihnen zu sagen.« Sie kaute auf der Innenseite ihrer Oberlippe. Eine verspielte Geste.

Eine weitaus bessere Antwort, als irgendeinen Namen zu erfinden, dachte ich. »Dann lassen Sie mich raten. Häufig und weit verbreitet in Ihrem Kulturkreis wäre so etwas wie Reika. Aber nein, nein ...« Ich winkte ab. »Es passt nicht zu Ihnen.«

»So? Und was passt zu mir?«

Ich legte den Kopf leicht schief. »Yumiko. Fast.«

»Sie enttäuschen mich.«

»Tatsächlich?«

»Yumiko bedeutet, wie Sie zweifellos genau wissen, Kind der Schönheit. Ein simples Kompliment, allzu leicht durchschaubar. Ich hätte mehr erwartet.« Nun wanderte ihr Blick doch kurz an die Bar, zu Perry Rhodan; nur einen Lidschlag lang. Einem weniger aufmerksamen Beobachter wäre es entgangen.

»Was halten Sie von ...« Ich tat, als müsste ich überlegen. »Yoshimi?«

Sie zeigte keine Reaktion, obwohl es sie bis ins Mark treffen musste. Ich hatte ihr klargemacht, dass ich nicht irgendjemand war, der sie zufällig ansprach.

»So gut wie jeder andere Name«, behauptete sie scheinbar gelangweilt.

Lass dich nicht täuschen! Du hast ihr ein klares Signal gesandt! Selbst wenn sie nicht so heißen sollte, weiß sie doch genau, dass die Behörden es vermuten.

Die Show war eröffnet, aber so leicht ließ sich jemand wie sie nicht aus der Reserve locken. »Sie mögen ein interessanter Mann sein, Mister ...?« Sie hob die Stimme.

Ich lächelte nur. »Raten Sie.«

Sie ignorierte es. »Ich habe etwas Besseres zu tun. Ein Termin, den ich wahrnehmen muss ... vielleicht.«

Die Serviererin kam zurück und stellte zwei Gläser und eine Karaffe ab, in der es dunkelrot schimmerte.

Die Killerin stand auf. »Ihren Wein müssen Sie leider allein trinken.« Ohne ein weiteres Wort zog sie einen Geldbeutel.

»Nicht doch«, sagte ich. »Ihre Rechnung übernehme ich.«

Yoshimi sah mir kurz in die Augen. »Fast beeindrucken Sie mich doch.« Sie verließ den Raum. Jeder ihrer Schritte war dank des Rocks, der ihr kaum bis zu den Oberschenkeln reichte, eine Offenbarung.

Die junge Serviererin stand noch immer etwas unschlüssig neben mir. »Sie ... also, Sie wollen sicher nicht mehr ...«

Ich nippte an einem Glas. »Eine ausgezeichnete Wahl. Ich danke Ihnen. Trinken Sie es auf mein Wohl.« Ich legte einige Geldscheine auf den Tisch. »Das dürfte genügen.« Rico hatte in den letzten Tagen einen mehr als ausreichenden Betrag organisiert. Geld zählte ganz sicher nicht zu unseren Problemen.

»Das ist zu viel«, erwiderte sie. »Sie bekommen ...«

»Trinkgeld«, erläuterte ich und ging los, der Killerin hinterher. Ich durfte sie nicht aus den Augen verlieren. Hinter mir blieb Perry Rhodan zurück, der offenbar keine Ahnung hatte, in welch eminenter Lebensgefahr er schwebte.

 

Perry Rhodan schaute dem Fremden nach, der mit raschen Schritten aus der Bar eilte.

Ein seltsamer Mensch. Niemals hatte er sich nur zufällig ausgerechnet zu ihm gesellt – das mochte glauben, wer wollte, Rhodan nicht. Ohne jeden Zweifel hatte der Fremde ihn erkannt; es gab immerhin noch einige, die sich für die bemannte Raumfahrt interessierten – diese Leute wussten sein Gesicht einzuordnen. Er galt als einer der besten Astronauten der NASA. Wobei wegen diverser Schwierigkeiten momentan nicht an einen Flug ins All zu denken war. Früher oder später musste die Besatzung der Armstrong Base auf dem Mond ausgetauscht werden – aber nicht, solange Raketenstarts katastrophal scheiterten.

Rhodan lächelte matt. Er fragte sich, ob er je wieder eines der STARDUST-Trägershuttles betreten und angetrieben von der NOVA-Trägerrakete ins All fliegen würde. Die letzten Testversuche waren alles andere als Erfolg versprechend. Im Gegenteil. Mehrere Flugkörper waren während der unbemannten Startversuche in den vergangenen Wochen explodiert.

Doch der Flight Director der NASA, Lesly Pounder, störte sich nicht daran, sondern trieb das STARDUST-Projekt unerbittlich voran. Er schien geradezu davon besessen zu sein und trotzte allen Widrigkeiten. Irgendetwas steckte dahinter, da war sich Perry Rhodan sicher, obwohl er nicht die geringste Ahnung hatte, was das sein konnte.

Ein letztes Mal dachte er an den Fremden. Er würde ihn nie wiedersehen. Einer von Millionen Menschen, die im selben Land lebten wie er, die aber für sein Leben bedeutungslos bleiben mussten.

Es gab so viel Wichtigeres in dieser Zeit, in der sich der Einzelne mehr und mehr verlor.

Perry Rhodan schloss die Augen und versuchte die düsteren Bilder von explodierenden Trägerraketen zu verscheuchen. Er träumte von den Sternen.

Sie war gut.

Verflixt gut.

»Lassen wir die Spielchen«, sagte sie plötzlich aus der Dunkelheit heraus.

Ich erstarrte, denn ich hatte sie in dem düsteren Winkel des lang gestreckten Flachbaus nicht gesehen. Sie stand halb hinter einer breiten Stützsäule aus brüchigem Holz. Ich hatte mich erst etwa eine Minute mit langsamen Schritten von der Bar entfernt, über den fast verlassenen Parkplatz, den eine Laterne nur schummrig erhellte.

»Und jetzt?«, fragte ich.

»Die Spielregeln haben sich geändert.« Die Killerin klang, als würde sie sich amüsieren. Sie sah noch genauso harmlos aus wie in der Bar, aber davon ließ ich mich nicht täuschen. Niemand mit auch nur ein wenig Gespür könnte übersehen, dass sie gefährlicher war als ein ganzes Terrarium voller haariger faustgroßer Giftspinnen. Sie brauchte dazu keine Waffe, weder eine Pistole noch eine Klinge.

In der Tat, ich hatte schon lange niemanden mehr getroffen, der so gefährlich und reizvoll gewesen wäre wie sie. »Und wie lauten diese Spielregeln nun Ihrer Meinung nach?«, fragte ich.

»Vorhin haben Sie versucht, mich zu beeindrucken. Nun müssen Sie versuchen zu überleben.« Sie blieb weiterhin völlig entspannt.

Ich musterte unauffällig meine Umgebung. Irgendwo lauerte eine Gefahr – ganz sicher. Nur wo? Es war dunkel ringsum, abgesehen von der flackernden Straßenlaterne auf der Mitte des großen Platzes, der die Bar von dem heruntergekommenen Supermarkt-Gebäude trennte, an dessen Rand wir nun standen. Kein Mensch war weit und breit zu sehen, und in der Bar würde niemand etwas mitbekommen, ganz gleich, was sich in den nächsten Minuten abspielen mochte.

»Ich muss versuchen zu überleben?«, fragte ich skeptisch. »Glauben Sie nicht viel eher, dass das für Sie gilt?«

»Wieso sollte ich etwas so Unsinniges denken?« Sie trat aus der Deckung der Säule hervor. Erneut fiel mir der schwarze Rock auf, der ihre Hüfte umschmeichelte; er war atemberaubend kurz. Zu jeder anderen Gelegenheit hätte ich zweimal hingesehen; nun achtete ich auf andere Dinge. Unser süffisanter Gesprächston täuschte mich nicht über die tödliche Gefahr hinweg.

Langsam hob ich die Arme, verschränkte sie locker vor dem Brustkorb. Binnen einer halben Sekunde könnte ich aus dieser Haltung heraus losschlagen. »Ich bin nicht so ungefährlich, wie es ausse...«

»Ach, kommen Sie. Kampfsport? Taekwondo, ja?«

Dagor, präzisierte ich in Gedanken. Präziser und tödlicher als alles, was sich Menschen jemals ausgedacht hatten. »So ähnlich.«

»Ich hingegen habe gleich zwei Möglichkeiten, Sie zu töten«, sagte sie im Plauderton. »Ein Kodewort ist die eine. Und sollten Sie glauben, schnell genug zu sein, um mich am Aussprechen zu hindern – es genügt ebenso ein kleiner Druck auf den Auslöser, den ich irgendwo an meinem Körper versteckt habe.«

Ich senkte den Blick zu ihren Oberschenkeln. »Viele Möglichkeiten bleiben nicht.« Wie?, schoss es mir durch den Sinn. Was hat sie gegen mich in der Hand?

Als hätte sie meine Gedanken gelesen, gab sie mir Antwort auf die unausgesprochene Frage. »Sie stehen auf vier audiosensiblen Sprengschnüren. Und Sie sollten sich nicht bewegen. Ein Schritt, und Sie sind tot. Ach, und denken Sie gar nicht darüber nach – ich bin weit genug entfernt. Ihnen jedoch werden die kleinen Explosionen die Beine und vielleicht auch noch edlere Körperteile in winzige blutige Fetzen zerreißen.«

Sie ist gut, verdammt noch mal, dachte ich.

»Ihre Überlebenschance liegt bei weniger als zwei Prozent«, fuhr sie fort. »Ich an Ihrer Stelle würde es nicht darauf ankommen lassen. Also unterhalten wir uns erst einmal in aller Ruhe. Und ja, ehe Sie fragen ... Sie stehen genau da, wo ich es vorausberechnet habe, als ich Sie ansprach. Wenn nicht, hätte ich meine Methoden gehabt, Sie dazu zu bringen, einen Schritt näher zu kommen. Sie sind ein Mann, nicht wahr?« Sie nahm die Schultern zurück, streckte die Brüste vor und gab einen kleinen, amüsierten Laut von sich.

»Ihre Argumente sind schlagkräftig«, sagte ich so gelassen wie möglich. Ich blinzelte, als meine Augen zu tränen begannen.

»Wer sind Sie, Mister?«, fragte sie. »Meinen Namen kennen Sie ja bereits oder doch zumindest das, was man für gewöhnlich dafür hält.«

»Man und für gewöhnlich. Sie legen sich wohl nicht gerne fest, oder wie soll ich ...«

»Genug!« Ihr Tonfall stellte unmissverständlich klar, dass sie nicht länger zu Späßen aufgelegt war. »Das süffisante Agentengequatsche zwischen gut aussehenden Männern und Frauen verschiedener Fronten können Sie sich ab sofort sparen. Ich habe dieselben Filme gesehen wie Sie. Es wird nicht funktionieren. Ich lasse Ihnen genau zehn Sekunden. Wer sind Sie, und warum mischen Sie sich in meinen Auftrag ein?«

»Vielleicht bin ich ein militanter Perry-Rhodan-Fan.«

Das verschlug ihr einen Moment lang die Sprache. Sie lachte trocken. »Unter anderen Umständen würde ich die Agentennummer gerne ...«

»... schieben?«, fragte ich.