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Inhalt

Vorwort

Geleitwort

1. Im Schatten des Lunesiels

2. Umzug in den Neuen Hafen

3. Geschäfte mit dem Feind

4. Kuhr entdeckt die Spaßgesellschaft

5. Der nächste Coup: Fischkutter aus Kunststoff

6. Auf der Lunewerft gehen die Lichter aus

Quellenverzeichnis

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Vorwort

image Die Geschichte der Bremerhavener Lunewerft deckt sich in weiten Teilen mit der Biographie ihres Besitzers, Gustav Kuhr (1914 – 2000). Der Schiffbauingenieur aus dem ostpreußischen Steinort gründete nicht nur das Unternehmen kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs, sondern prägte es auch durch seine Ideen und Visionen.

Kuhr verstand es wie kaum ein anderer seiner Zeit, die im Kunststoff steckenden Möglichkeiten für den Schiffbau der Zukunft zu erkennen und technisch umzusetzen. Mehr noch, er nutzte seine im Krieg gesammelten Erfahrungen als U-Boot-Bauer, um diese später für die Fortentwicklung besserer, sicherer Rettungsboote einzusetzen. Gustav Kuhr betrieb damit das, was heute „Konversion“ – die Verwendung militärischen Know-hows für zivile Zwecke – genannt und als Errungenschaft der vergangenen Jahre gefeiert wird.

Der Unternehmer Kuhr war damit seiner Zeit um Jahrzehnte voraus und musste insofern zwangsläufig scheitern. Seine Ideen waren zu weitreichend, als dass man sie in den 50er, 60er oder 70er Jahren hätte verstehen können. Hinzu kam, dass es dem mittelständischen Geschäftsmann an Unterstützung und einer entsprechenden politischen Lobby fehlte. Wie anders ist es sonst zu erklären, dass er nachweislich die zu seiner Zeit sichersten Rettungsboote entwickelte und baute, sie aber von keiner westdeutschen Reederei angenommen wurden.

Der als schwerfällig belächelte „Klassenfeind“ im Osten – die Sowjetunion – war da gedanklich einen Schritt weiter, erkannte frühzeitig das in Kuhrs Entwicklung steckende Potenzial und nutzte es ungeachtet irgendwelcher politischer Ideologien für eigene Zwecke. Insofern dürfte es Gustav Kuhr nicht zuletzt den Chefeinkäufern in Moskau zu verdanken gehabt haben, dass er sich über Jahrzehnte auf dem hart umkämpften Markt europäischer Werften behaupten konnte. Die K-Rettungsboote sind nicht nur zum Markenzeichen des Gustav Kuhr geworden, sie können auch als Symbol seines Charakters angesehen werden: robust, unsinkbar und selbstaufrichtend.

Die Entwicklungsgeschichte der Lunewerft und des Unternehmers Gustav Kuhr machen deutlich, welche immensen Hindernisse national und international überwunden werden mussten, um die Sicherheit menschlichen Lebens auf See seit Christoph-Columbus-Zeiten zu verbessern. Vermutlich würde Kuhr heute eine gewisse Genugtuung spüren, wenn er sähe, dass heute weltweit die meisten Schiffsneubauten nur noch mit geschlossenen Rettungsbooten ausgerüstet werden. 1982 hatte er schon prophezeit: „Vielleicht wird mich ja meine Idee überleben. Am Ende wird man bei den Neukonstruktionen dahinter kommen, wo ich vor 24 Jahren schon war.“ image

Lars Schmitz-Eggen

Osterholz-Scharmbeck, Januar 2012

Geleitwort

image Dieses Buch schildert die Lebensgeschichte eines Mannes, der ausschließlich für die Menschen auf See gelebt hat: Gustav Kuhr, der schon als junger Mann Kurenkähne am Kurischen Haff baute, später selbst zum Fischfang hinausfuhr und schließlich zu einer international anerkannten Kapazität des Schiffbaus wurde.

Gustav Kuhr musste wie viele nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bei null anfangen. Er gründete eine kleine Schiffsund Bootswerft in Bremerhaven und profitierte davon, dass die deutsche Hochseefischerei in den ersten Nachkriegsjahren ein rasantes Wachstum verzeichnete. Doch der Boom hatte auch seine Schattenseiten. Unfälle und Schiffsuntergänge blieben nicht aus.

Kuhr nahm sich des Problems an. Aufgrund seiner Erfahrungen im U-Boot-Bau entwickelte er 1951 den Prototyp eines geschlossenen Rettungsboots. Das damals revolutionäre Boot bestand noch aus Stahl und wurde 1953/54 erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Er bewarb das später als K-Boot bekannte Rettungsmittel mit dem Slogan: „Seit Christoph-Columbus- Zeiten haben sich die Schiffe weltweit weiterentwikkelt, die Rettungsboote aber nicht!“ Heute gelten geschlossene Rettungsboote weltweit als Standard.

Darüber hinaus sorgte Gustav Kuhr auch in der Fischerei für Furore. Er baute auf seiner Lunewerft nicht nur den ersten Kunststoffkutter in Deutschland, sondern auch den größten europäischen Hochseekutter aus diesem Werkstoff. Die von Gustav Kuhr entwickelten Fischereischiffe sind zum Teil noch heute in Fahrt und werden weiterhin im europäischen Ausland gebaut, neuerdings sogar in der Volksrepublik China.

Dieses Buch schildert detailgenau den Werdegang des Unternehmers Gustav Kuhr. Als Gustav Kuhrs Sohn kann ich bestätigen, dass das Buch wahrheitsgemäß das Geschehen widerspiegelt und akribisch recherchiert wurde. Ich freue mich, dass Herrn Lars Schmitz-Eggen den hohen Aufwand nicht scheute, dieses Buch zu verfassen, um das Lebenswerk Gustav Kuhrs und die Geschichte der Bremerhavener Lunewerft erstmalig einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. image

Gert Kuhr

Sohn von Gustav Kuhr

Im Schatten des Lunesiels

image Deutschland im Herbst 1945. Der Zweite Weltkrieg war zu Ende; die Menschen begannen, die Trümmer wegzuräumen und das verbliebene Hab und Gut zu sichten. Viele hatten in den Wirren der letzten Kriegstage ihre Heimat verlassen müssen. Jetzt ging es für sie darum, aus dem Nichts eine neue Existenz aufzubauen.

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Schiffbau-Ingenieur Gustav Kuhr, Gründer der Bremerhavener Lunewerft.

Einer von ihnen war der 31-jährige Gustav Kuhr, gelernter Bootsbaumeister und Schiffbauingenieur aus Steinort, einem kleinen Ort im Kreis Königsberg am Kurischen Haff. Hier in Ostpreußen wurde Kuhr am 17. Januar 1914 geboren. Die Nähe zur See war für ihn immer schon wichtig. Seit seinem 14. Lebensjahr verdiente er seinen Lebensunterhalt mit und auf dem Meer.

1922 heuerte Kuhr auf einem Fischerboot an. Sechs Jahre arbeitete er anschließend an Bord eines Keitelkahns, um das Kurische Haff zu befischen. Anschließend widmete sich Gustav Kuhr dem Boots- und Schiffbau. Sechs Jahre lernte er zunächst als Geselle auf einer Bootswerft in Königsberg. 1934 begann er dann eine Lehre als Bootsbauer in Laibau. Kuhr absolvierte die Ausbildung, legte tagsüber Schiffe auf Kiel und drückte abends die Schulbank, um das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg zu erlangen. 1937 schaffte er die Meisterprüfung im Boots- und Schiffbauhandwerk. In Abendkursen bildete sich der junge Mann zum Schiffbautechniker weiter. Das sei eine harte Zeit gewesen, verriet Mitte der 90er Jahre der mittlerweile 78-Jährige einem Journalisten im Interview. „Zwei Stunden habe ich damals nur pro Tag schlafen können.“ Zweieinhalb Jahre sei das so gegangen.

Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs beendete Kuhr das Studium erfolgreich. Er fand eine Anstellung als Ingenieur auf der Schichauwerft in Elbing. Doch das Deutsche Reich benötigte für seine Rüstungsindustrie dringend Ingenieure. So wurde Kuhr 1943 nach Schröttersburg in Polen geschickt, wo er auf der Weichselwerft arbeitete. Das Vorschiff des neuen UBoot- Typs XXI wurde hier mit seinen sechs Torpedorohren gebaut und – aufgrund der zu geringen Tiefe der Weichsel – nach Danzig verschifft, wo dann die Endmontage stattfand. 136 Exemplare ließen die Nationalsozialisten von diesem U-Boot-Typ fertigen, aber nur zwei gingen auf Feindfahrt. Eines davon – die „Wilhelm Bauer“ – ist heute als Museumsschiff in Bremerhaven zu besichtigen.

Nach einer so genannten Baubelehrung auf der AG „Weser“ im Jahre 1943 übernahm Gustav Kuhr auf der Weichselwerft die Aufgabe, die 14 Meter lange und 125 Tonnen schwere Sektion 8 des Vorschiffes fertigen zu lassen. Außerdem wurden unter Kuhrs Aufsicht die Außenschalen für die Sektion 7 hergestellt. Gustav Kuhrs Problem war hierbei, dass ihm zwar 2000 Arbeiter unterstanden, sich unter diesen aber nur eine Handvoll Schiffbauer befanden. Genau genommen waren es 100 Binnenschiffsbauer, die ein U-Boot bis dato noch nie mit eigenen Augen gesehen hatten.

Kuhr gab sein Bestes, improvisierte und wurde Ende 1944 von seinem Posten abberufen, weil die Sowjet-Armee unaufhaltsam von Osten herandrängte. Bald schon würde die Weichselwerft in die Hände des Feindes fallen. Deshalb beorderte man Gustav Kuhr nach Hamburg, um dort als Betriebsleiter bei Blohm & Voss die ersten montierten U-Boote des neuen Typs einzufahren. Da es keinen Prototyp gegeben hatte, tauchten bei den neuen Booten zahlreiche „Kinderkrankheiten“ auf. Kuhr berichtete viele Jahre später in einem Zeitungsinterview von Innenspanten, die sich ab 140 Meter Tauchtiefe verbogen, und implodierenden Schlauchbootbehältern auf dem Oberdeck. Dass er all diese im Krieg beim U-Boot-Bau gesammelten Erfahrungen wenige Jahre später noch einmal würde verwenden können, dürfte er zu jener Zeit nicht geahnt haben.

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In den Anfangsjahren widmete sich die Lunewerft der Reparatur und dem Bau von Holzbooten. Links: Zur Belegschaft gehörten damals auch die Lehrlinge Willy Perhuhn und Schafranik.

So fuhr Gustav Kuhr bis Mai 1945 die neuen U-Boote ein. Dann übernahmen die Briten das Kommando bei Blohm & Voss, schlossen die Werft und entließen alle Mitarbeiter. Kuhr stand ohne Existenz da. Zu Fuß machte er sich auf den Weg nach Königsberg, um hier nach seiner Frau Frida zu suchen. In den Kriegswirren waren sie getrennt worden. Gustav Kuhr fand sie, und gemeinsam wollten sie von Polen aus durch den russisch kontrollierten Teil Deutschlands zurück in den Westen. Doch dieser Weg war lang, beschwerlich und sehr gefährlich.

Nur eine Decke hatte das Ehepaar Kuhr bei sich. Mehr war ihnen an persönlichen Gegenständen nicht geblieben. Als sie bei Dürschau die Brücke über die Weichsel passieren wollten, mussten sie feststellen, dass das Bauwerk zwischenzeitlich gesprengt worden war. Nur ein Einheimischer mit einem Kahn bot sich an, das Paar über den Fluss ans westliche Ufer zu bringen. Als Bezahlung wollte er die Decke. Damit waren die Kuhrs vollkommen mittellos. Das aber war ein nichtiger Verlust im Gegensatz zu den beiden Kindern Roswitha und Sigrid, die die Flucht nicht überlebten. Die drei und fünf Jahre alten Mädchen verkrafteten die Strapazen nicht und verhungerten, ohne dass ihre Eltern etwas dagegen hätten unternehmen können.

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1946 wurde eine Slipanlage gebaut. Die Verlegung der Schienen war Schwerstarbeit. Rechts: 1947 wurden hier unter anderem der Kutter „Wellingerhoff“ und das Boot „Puhlmann“ instandgesetzt.

Auf dem Weg nach Westen kam es Gustav Kuhr entgegen, dass er durch seine Tätigkeit in Polen die Landessprache etwas gelernt hatte. So konnte er sich verständlich machen und sich und seine Frau durchschlagen. An der Grenze hielten sie die sowjetischen Soldaten schließlich für Polen und ließen das Ehepaar passieren.

Im Juli 1945 kamen beide in Hamburg an. Doch hier gab es keine Arbeit. Weil Gustav Kuhr in Bremerhaven Verwandte hatte und in Kriegstagen Verbindung zur Seebeck-Werft bestanden hatte, hoffte er, in der Seestadt an der Wesermündung eine Stelle zu finden. Doch auch die alten Verbindungen halfen nicht weiter. Die Seebeck-Werft entließ in dieser Zeit Personal, statt neue Mitarbeiter einzustellen. Was also tun?

Nachdem er wochenlang vergeblich nach einer Anstellung gesucht hatte, entschloss sich Gustav Kuhr dazu, aus der Not eine Tugend zu machen und auf eigene Kappe zu arbeiten. Er beabsichtigte, einen kleinen Bootsbaubetrieb mit Reparaturwerft zu gründen, und wurde am Ufer der Lune schließlich fündig. Zwischen der ehemaligen Badeanstalt und dem Lunesiel – rund 800 Meter von der Schleuse „Neues Lunesiel“ entfernt – pachtete Kuhr am 10. November 1945 mehrere Räume. Während des Krieges waren hier Flaksoldaten untergebracht. Jetzt sollte hier der Firmensitz der neu gegründeten Lunewerft entstehen.

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Der erste Mietvertrag, der für Gustav Kuhr im November 1945 den Beginn seiner Werft bedeutete.

Der Mietvertrag, den Gustav Kuhr im November 1945 mit der Marinevermögensverwaltung abschloss, trug noch den Stempel der ehemaligen nationalsozialistischen Kriegsmarine. Nur das Hakenkreuz im Siegel war entfernt worden. Kuhr wurden laut Vertrag zwölf Räume einer Massivbaracke am Lunesiel vermietet. Die Räume waren zwischen fünf und 25 Quadratmeter groß, wobei Gustav Kuhr insgesamt 260 Quadratmeter für sein junges Unternehmen zur Verfügung standen. Das Gebäude war in einem katastrophalen Zustand. Weder Türen noch Fußböden waren vorhanden. Falls diese gewünscht würden, war im Mietvertrag nachzulesen, müsste der Mieter diese selbst einbringen. Als Miete wurden 780 Reichsmark jährlich vereinbart, zahlbar in vier Raten jeweils zum Quartalsanfang. Der Vertrag war auf ein Jahr befristet und verlängerte sich danach automatisch um je ein weiteres Jahr. Die Militärregierung behielt sich aber vor, den Vertrag ohne Frist jederzeit kündigen zu können. Planungssicherheit für ein junges Unternehmen sieht anders aus.

Gustav Kuhr ließ sich davon nicht beirren. 1946 errichteten die beiden Lehrlinge Perkuhn und Schafranik auf seinen Wunsch hin eine Slip-Bahn am Ufer der Lune, damit die Werft künftig mehr Möglichkeiten hatte, Dienstleistungen im Zusammenhang mit Boots-, Binnenschiff- und Maschinenbau anzubieten.

Sechs Arbeiter stellte Gustav Kuhr innerhalb der ersten zwei Jahre seit Gründung der Lunewerft ein. Allesamt Flüchtlinge aus Ostpreußen. Einige waren zuvor Schiffbaulehrlinge der Werft Adolf Groß in Labiau gewesen. Auf derselben Werft hatte auch Kuhr seine Lehre zum Bootsbauer absolviert. Das gemeinsame Schicksal verband, machte stark und dürfte ein Grund dafür gewesen sein, dass sich die kleine Werft über erste Erfolge freuen konnte.

In erster Linie wurden zunächst Fischkutter repariert und Holzboote gebaut. In Anzeigen, die in lokalen Zeitungen erschienen, warb die Lunewerft mit dem Hinweis, man führe „Boots-, Binnenschiff- und Maschinenbau“ für Holz- sowie Stahlkonstruktionen durch. Die neue Slipanlage war hierbei von unschätzbarem Wert. Sie war für Schiffe von bis zu 40 Meter Länge ausgelegt. So war es 1947 beispielsweise möglich, unter anderem den Kutter „Wellingerhoff“ und das Boot „Puhlmann“ auf der Slipanlage zu überholen. Für ein so kleines Unternehmen wie die Lunewerft waren das bedeutende Aufträge, die sogar fotografisch dokumentiert wurden.

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Kutter „Siloff“ 1950 auf der Lunewerft.

Einen besonders guten Ruf machte sich Gustav Kuhr mit Ruderbooten aus Holz. Im Bremerhaven der Nachkriegszeit herrschte hierfür eine rege Nachfrage, und Kuhrs Lunewerft wusste sie zu befriedigen. Das Geschäft lief so gut, dass schon nach relativ kurzer Zeit genügend Geld zusammengekommen war, um 1951 ein kleines Schwimmdock zu kaufen. In den nächsten Jahren wurde die Reparatur von Fischereifahrzeugen die wichtigste Einnahmequelle der Lunewerft.

Aber nicht nur geschäftlich entwickeln sich die Dinge positiv für Gustav Kuhr. Auch privat gab es Grund zur Freude: 1946 brachte Frida Kuhr Sohn Gert zur Welt. Drei Jahre später folgte Manfred Kuhr, der heute stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Bremen Logistik Group (BLG) ist. image

Umzug in den Neuen Hafen

image 1952 siedelte Kuhr an die Westseite des Neuen Hafens über. Hier ließ er sich auf der schmalen Landzunge am ehemaligen Trockendock des Norddeutschen Lloyds nieder. Das Firmengelände gehörte der Familie Gustav W. Rogge. Mit dem Umzug in den Neuen Hafen musste Gustav Kuhr wieder ganz von vorne anfangen. Ein Kredit stand ihm nicht zur Verfügung; Kuhr musste also ein großes Risiko eingehen. Doch der Mann aus Ostpreußen verließ sich ganz auf sein handwerkliches Können und war sich für keine Arbeit zu schade. Direktor, Dockmeister und Schiffbaumeister – Gustav Kuhr war alles in einem.

Die Übersiedlung der Werft erfolgte aus verschiedenen Gründen. Zum einen wies der erste Standort der Werft an der Lune ungünstige Wasserverhältnisse auf. Nur bei Wassergleichstand konnten die Boote die Schleuse passieren. Aufgrund der geringen Wassertiefe war die Lunewerft für größere Schiffe außerdem gar nicht erreichbar. Zum anderen waren die Platzverhältnisse am Lunesiel nicht zuletzt dank der guten Auftragslage beengt. Am neuen Standort war hingegen ausreichend Platz vorhanden, um das kleine Schwimmdock zu betreiben und eine Schlosserei einzurichten. Zwar dominierte Mitte der 50er Jahre bei Gustav Kuhr noch der Bau mit Holz. Eine eigene Tischlerei und Zimmerei waren deshalb für ihn unentbehrlich. Aber an einer Schlosserei führte auch kein Weg vorbei, da Metall im Schiffbau eine entscheidende Rolle spielte.

Das kleine Dock wurde in erster Linie für Kutter und andere kleine Schiffseinheiten genutzt. 1954 wurden so zum Beispiel auch Schnellboote eingedockt. Kunden kamen nicht nur aus Bremerhaven bzw. von der Unterweser. Auch in Wilhelmshaven hatte es sich herumgesprochen, dass die Lunewerft ihre Vorteile gegenüber anderen Anbietern hatte. Unter anderem durchliefen die von der Fischdampfertreuhand verwalteten Staatskutter das Schwimmdock. Die Schiffe wurden hier geschätzt und danach in private Hände abgegeben.

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1952 siedelte die Lunewerft in den Neuen Hafen über. Hier entstand wenig später der Prototyp eines geschlossenen Rettungsbootes – zunächst noch aus Stahl (unten li.). Der Umbau der „Narwal“ 1954 (oben li.) war ein besonderer Auftrag für die damals noch junge Werft.

Neben Reparaturen erwarb sich die Lunewerft im Laufe der Zeit einen guten Name bei Neu- und Umbauten. Für die Verkehrsgesellschaft Bremerhaven wurden Ausflugsschiffe gefertigt, mit denen Touristen Weser- und Hafenrundfahrten unternahmen. Ein eigener 20-Tonnen-Kran leistete bei all diesen Aufträgen wertvolle Dienste.

Mitte der 50er Jahre war die Lunewerft im Vergleich zu den anderen Werften in Bremerhaven ein Kleinstunternehmen. Die Firma wies gerade mal zehn Angestellt auf. Gustav Kuhr strebte aber schon damals 40 bis 60 Angestellte an. „Dann erst kann ich so rentabel arbeiten, wie es mir vorschwebt“, zitiert ihn die „Nordsee-Zeitung“. Als bescheidenes „Wohlstandssymbol“ leistete sich der Werftbesitzer einen Opel Record, der viele Jahre treue Dienste leistete. Um diese Ziele zu erreichen, musste die Lunewerft wachsen. Eine der ersten Maßnahmen war 1953/54 die Erweiterung von Schlosserei, Tischlerei und Büros. 1954 erfolgte dann der Umbau des bestehenden Schwimmdocks bei der Schichau-Werft.

Ein außergewöhnlicher Auftrag stellte im selben Jahr der Umbau der Motoryacht „Narwal“ dar. Er wurde im April 1954 abgeschlossen. Die 24 Meter lange Yacht gehörte der Stella Reederei und sollte fortan sowohl auf Flüssen wie dem Rhein als auch in den Küstengewässern unterwegs sein. Der Düsseldorfer Industrielle Billmeyer hatte den Plan, die „Narwal“ in diesen Gewässern als Ausflugsschiff für Belegschaftsangehörige einzusetzen.

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