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Nr. 8

 

Das Gelbe Universum

 

Gefangene des Einstern-Raums – sie treffen den lebenden Ozean

 

Ben Calvin Hary

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. VAMTHUS – Mitten im Einsatz

2. SOL – Vor gefühlt hundert Jahren

3. VAMTHUS

4. CALAMAR – Im Gelben Universum

5. Nygnard – In Gefangenschaft

6. Auf der Flucht

7. Welt aus Farben

8. Kampf in der Finsternis

9. Begegnung mit dem Bösen

10. Der lebende Ozean

11. Auf der Suche nach Zunder

12. Gegner und Verbündete

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

SOL – dieser Name hat einen ruhmvollen Klang in der 3000-jährigen Geschichte der terranischen Raumfahrt. Das Fernraumschiff spielt immer wieder eine entscheidende Rolle im schicksalhaften Konflikt zwischen den kosmischen Mächten der Ordnung und des Chaos.

Im Jahr 1552 Neuer Galaktischer Zeitrechnung ist Perry Rhodan in die ferne Galaxis Yahouna versetzt worden. Dort sollen er und die Besatzung der SOL herausfinden, ob die Superintelligenz BARIL auf der Seite der Ordnung oder des Chaos steht. Die SOL gerät schnell in Bedrängnis und wird zeitweilig in den Dienst einer Ritterin BARILS gezwungen.

Mit zurückgewonnener Handlungsfreiheit brechen Rhodans Sohn Roi Danton und ein speziell zusammengestelltes Einsatzteam auf. Sie wollen an einen Ort vordringen, an dem sich das größte Geheimnis der Chaotarchendiener verbirgt. Die Risikomission führt die Solaner in DAS GELBE UNIVERSUM ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

Roi Danton – Rhodans Sohn führt die CALAMAR ins Einstern-Universum.

Ennyas Anchi – Der junge Einsatzspezialist wächst über sich hinaus.

Zerbone – Der Mor'Daer wechselt die Seiten.

Pon-Tarna – Das Vogular erweist sich als unentbehrlich.

1.

VAMTHUS

Mitten im Einsatz

 

Ennyas Anchi war ein Blender. In Wahrheit konnte er nichts, und das wusste er auch. Es war nur eine Frage der Zeit, bis alle anderen es ebenfalls merkten.

Aktuell bestand diese Gefahr jedoch nicht. Es bestand nämlich gar keine Gefahr. Dies war der langweiligste Einsatz des Universums. Er hoffte, dass es so blieb.

Sie waren in Phase eins des Plans. Seit Stunden trottete Anchi neben Peet Matabiau und Minon Crompton her. Die Landschaft – wenn man es so nennen konnte – bot kaum Abwechslung. Das Einsatzteam durchstreifte gerade ein Areal, das nur aus halb demontierten Industrieanlagen bestand. Überreste von Hallen und Turmbauten säumten die Straßen, reckten sich als stählerne Gerippe dem Sternenmeer von Yahouna entgegen. Es waren die Ruinen einer endlosen Stadt, die VAMTHUS vollständig bedeckte. Der Konstrukteur dieser gigantischen Raumstation musste ein Wahnsinniger gewesen sein.

Roi Danton führte sie an, zusammen mit dem Mor'Daer Zerbone und dem Kuum. Wie viele Kilometer hatten sie schon zurückgelegt, seit sie nach einer halben Stunde Treiben durchs All die Station endlich betreten hatten? Zehn? Zwanzig?

Anchi setzte mechanisch einen Fuß vor den anderen, versuchte, die Beklemmung zu ignorieren. Nur ihre Raumanzüge vom Typ SERUN schützen ihn und seine Begleiter vor dem Vakuum. Die Prallschirme, die einst die künstliche Atmosphäre über den drei terrassenförmigen Siedlungsringen festgehalten hatten, existierten nicht mehr. TRAITOR brauchte Teile der ehemaligen Dienstburg für andere Zwecke. Es war ein Wunder, dass die ebenfalls künstliche Schwerkraft noch funktionierte!

Sie erreichten eine Art Schlucht, die den unteren Siedlungsring in zwei Hälften schnitt. Vor Anchis Füßen fiel der Boden senkrecht ab. Nur ein schmaler Steg spannte sich über den Abgrund. Der jenseitige Kluftrand lag in etwa zweihundert Metern Entfernung. Dahinter ragte eine Hochhaussilhouette ins All.

Plötzlich blieb der Kuum stehen, kniff die roten Augen zusammen und hob die Hände zum Helm, als hätte er Kopfschmerzen. Anchi hatte sich noch nicht daran gewöhnt, das blasse Gesicht des Manns sehen zu können, das normalerweise von der Kapuze seiner dunklen Kutte verhüllt war.

Mit einer Handgeste gebot Danton auch Anchi und den anderen, haltzumachen.

Was ist los? Anchi verkniff sich die Frage im letzten Moment. Der Helmfunk war tabu.

Dantons Befehl war klar gewesen: »Niemand darf unsere Anwesenheit bemerken. Obwohl VAMTHUS verlassen zu sein scheint, könnten wir uns ohne Funkstille den Demontagekommandos von TRAITOR verraten.«

Stattdessen blendete Anchi den holografischen Orientierungsplan der Raumstation auf die Innenseite seiner Helmscheibe ein. Eine gelbe Linie gab die Route vor. Sie führte über den Steg auf die andere Seite der Schlucht, wo es einen Wartungszugang zu den Aggregaten im Untergrund des Stadtrings gab.

Das Ziel des Einsatzteams war mit einem roten Punkt markiert: der »Transversal-Umsetzer«, ein riesenhaftes Gerät tief in einem der Maschinensäle. Eine Ziffernfolge zeigte an, dass nur noch wenige Kilometer sie von dort trennten.

Vor dem Einsatz waren Anchi, Matabiau und Crompton mit Informationen förmlich bombardiert worden. Das meiste hatte er sich nicht gemerkt. Wichtig war nur: Sie mussten den Transversal-Umsetzer einschalten, um der CALAMAR den Durchgang in ein anderes Universum zu ermöglichen.

Einfach nur einen Schalter umlegen, sinnierte er. Rein, Knopf drücken, raus. Worauf warteten sie also noch? Darauf, dass der Kuum seinen Migräneanfall überwand?

Anchis Blick heftete sich auf den Rücken des Mutanten. Dessen Schultern hoben und senkten sich nun heftig, offenbar rang er nach Atem. Oder »witterte« er in der Nähe ein Demontagekommando? Irgendwie spürte der Kuum die Anwesenheit von Intelligenzwesen. Aus diesem Grund hatte Danton ihn mitgeschleppt.

Anchi ging es trotzdem nicht in den Kopf. Der Kuum und Zerbone waren Schurken: der eine ein Kriegsverbrecher, der andere ein ehemaliger Diktator. Ihnen zu trauen, war Irrsinn. Ob Danton wusste, was er tat? Die beiden machten Anchi nervös.

Der Moment dehnte sich. Danton, Zerbone, Matabiau und Crompton warteten. Der Lichtkegel von Anchis Helmscheinwerfer tanzte über Fassaden aus anthrazitfarbenem Material, das sich dem Blick entzog. Wann immer er hinsah, löste es sich zu Spiralmustern auf. Der Effekt machte ihn kribbelig.

Schließlich wandte sich der Kuum ihnen zu, gestikulierte in Richtung der Brücke. Durch die Helmscheibe erkannte Anchi die Aufregung in seinem Gesicht. Was auch immer der Kuum gespürt oder vorausgesehen hatte: Anscheinend näherten sich die Unbekannten von dort.

Wieder erteilte Danton wortlose Befehle. Sie verließen die Hauptstraße und zogen sich hinter eine Lagerhalle zurück, welche die Demontage bislang überstanden hatte. Die Fassade schützte das Einsatzteam vor möglichen Blicken.

Anchi lehnte sich aus der Deckung und spähte in Richtung der Schlucht. Er wollte sehen, was da auf sie zukam!

Nach wie vor lag die Brücke verlassen da. Die Stadt war wie ausgestorben. Hatte sich der Kuum geirrt?

Ein Schatten zog über sie hinweg.

Anchi zuckte zusammen. Seine Lethargie verflog. Er legte den Kopf in den Nacken. In der geisterhaften Stille des Vakuums schob sich ein deltaförmiges Raumschiff zwischen VAMTHUS und den einsamen Stern, um den die Station kreiste. Der Umriss blockierte das schwache Sonnenlicht.

Das Deltaschiff landete jenseits der Stahlschlucht. Anchi beobachtete, wie etwa ein Dutzend humanoider Gestalten in Raumanzügen aus der Bodenschleuse kletterte und nach kurzer Unterhaltung in einem mehrstöckigen schmucklosen Metallbau verschwand. Weitere Raumfahrer folgten nach und schleppten Geräte und Material aus dem Schiff.

Kurze Zeit später glitt ein Konvoi aus unförmigen Baufahrzeugen um eine Häuserecke. Kranarme streckten sich nach dem Dach der Halle. Die Humanoiden hängten abmontierte Gebäudeteile daran.

Anchi ließ zu, dass Matabiau ihn am Rückentornister in die Deckung zurückzerrte. Die gelbe Linie in der Holokarte erlosch. Auch die Anzugpositronik erkannte, dass dieser Weg nun blockiert war. Die Demonteure würden sicher eine ganze Weile beschäftigt sein.

Dantons linke Handfläche wies nach oben, während die rechte eine Zickzackbewegung vollführte. »Wir brauchen eine alternative Strecke!«, hieß das. Dabei sah er Zerbone an.

Ennyas Anchi beneidete die Fähigkeit des Einsatzleiters, sich ohne Worte verständigen zu können. Wie lange hatte der Unsterbliche daran wohl gefeilt? Spätestens seit dem ersten gemeinsamen Abenteuer im Mauritiussystem verehrte Anchi Danton als Vorbild.

Zerbone legte den Kopf schräg. Dann malte er mit dem Fuß unsichtbare Linien auf den Boden. Die Positronik von Anchis SERUN erfasste diese Bewegungen und projizierte sie über den holografischen Stadtplan im Helmvisier.

Eine neue Route entstand vor Anchis Augen: die Alternative, um die Danton gebeten hatte. Zwar führte sie weg vom Demontagekommando und der Brücke – allerdings in die entgegengesetzte Richtung. Die Anzeige des verbliebenen Restwegs schnellte in die Höhe. Wo eben noch knapp zweitausend Meter gestanden hatten, hieß es nun sechseinhalb Kilometer. Mehr als das Dreifache!

Anchi stöhnte. So dicht vor dem Ziel sollten sie eine Ehrenrunde drehen? Er hob ein Knie, wollte sich durch den Anzugstiefel den Knöchel massieren. Natürlich blieb der Versuch erfolglos, das Material war zu steif. Er spürte nicht einmal den Druck seiner Finger am Fuß.

Danton nickte Zerbone zu und machte eine ausladende Handbewegung, dorthin, wo die neue Routenmarkierung zwischen den Häuserfronten verschwand. »Führ uns hin«, interpretierte Anchi.

Der Mor'Daer ging voraus. Zögernd blickte Anchi hinterher. Er misstraute dem Fremdwesen mit seinem schlangenähnlichen Kopf. Er verabscheute es, sich einem ehemaligen Diener TRAITORS anzuvertrauen. War er der Einzige, der sich über so etwas Gedanken machte?

Zerbone leitete sie durch ein Gewirr aus Gängen und Unterführungen. Sie erreichten einen Platz, um den niedrige Balustraden eine Galerie bildeten. In seiner Mitte gähnte ein Loch – eindeutig ein Antigravschacht. Der Mor'Daer trat an den Rand und wies in die Tiefe. Offenbar kannte er sich aus.

Anchi blickte hinab. Ihm schwindelte. Die Leuchtkörper, die in regelmäßigen Abständen aus der Schachtwandung ragten, spendeten kein Licht. Sein Blick verlor sich in der Schwärze. Auf der gegenüberliegenden Seite führte ein Rohr senkrecht abwärts – eine Energie- oder Datenleitung, wie Anchi vermutete.

Rund um die Öffnung lagen Bauteile verstreut: Fassadenplatten, Metallträger, Schaftbolzen. Ein weiteres Demontagekommando musste sie zurückgelassen haben. Matabiau nahm eins der Teile vom Boden – ein handspannenlanger Zylinder aus gelblich schimmerndem, gummiartigem Material – und warf ihn in den Schacht. Ungebremst stürzte er in die Tiefe.

Kein Antigravfeld! Anchi hatte es sich gedacht. Er bewegte den rechten Zeigefinger zu dem Mehrzweckarmband an seinem linken Handgelenk, um das Flugaggregat des SERUNS zu aktivieren. Dann schweben wir eben aus eigener Kraft nach unten!

Kurz bevor er den Sensor berührte, schloss sich eine Hand um seinen Unterarm. Sie gehörte Roi Danton, er schüttelte den Kopf. »Ortungsgefahr!«, formten die Lippen hinter seinem Helmvisier. »Die Antigravs bleiben aus!«

Anchi fluchte lautlos. Natürlich! Schon die Emissionen der Lebenserhaltungssysteme und der Anzugpositroniken erhöhten das Entdeckungsrisiko. Die Flugaggregate wären erst recht anmessbar gewesen.

Ich kann wirklich gar nichts! Mit einem entschuldigenden Nicken machte er sich von Danton los. Bisher lief einfach alles viel zu glatt. An die Gefahr dachte er schon nicht mehr.

Die Schachtwände bestanden aus demselben Stoff mit dem verwirrenden Oberflächeneffekt, der überall auf der Station verbaut war. Sie waren zu Rippen gegliedert, die beim Hinsehen in Fraktale zu schmelzen schienen. Keine war breit genug, sich daran festzuhalten. Klettern schied somit aus. Wie sollten sie also hinunterkommen?

Zerbone lieferte die Antwort. Der Mor'Daer umrundete das Loch. Dort, wo das rätselhafte Rohr in die Tiefe stieß, setzte er sich, umfasste das Rohr und schwang sich in den Schacht. Dann ließ er sich hinabgleiten.

Anchi sah zu, wie Zerbone vor seinen Augen schrumpfte und im Dunkel verschwand. Nach wenigen Sekunden erreichte der Schlangenköpfige eine bemerkenswerte Geschwindigkeit. Anchi wurde bang. So sollten sie da runterkommen? Vor der Höhe fürchtete er sich nicht, wohl aber vor einem Sturz. Was erwartete sie am Grund des Schachts überhaupt?

Die anderen ließen ihm keine Zeit, darüber nachzudenken. Danton, Matabiau und Crompton klammerten sich nacheinander an das Rohr und stürzten sich todesmutig in die Tiefe. Sie waren Einsatzprofis und für derartige Situationen geschult. Anchi indes wurden die Finger feucht. Ihm stand ein weiter Weg bevor, wollte er ebenso kaltblütig werden wie sie.

Als sogar der Kuum nach der Rutschstange griff und den anderen folgte, fühlte sich Anchi bei der Ehre gepackt. »Du schaffst das!«, sagte er zu sich selbst. Seine Stimme klang seltsam dumpf im Helm.

Er schob sich mit den Füßen voran auf die Kante zu. Ängstlich schlang er Arme und Beine um das Rohr, als wolle er einen Baum hinabklettern. Dann zählte er bis zehn und stieß sich ab.

Ein flaues Gefühl füllte seinen Magen. Schneller und schneller raste die Schachtwand an ihm vorüber. Der Helmscheinwerfer beleuchtete die Spiralmuster, die sich vor ihm wanden, als schämten sie sich vor seinem Blick. Doch sie verschwammen rasch. Bald hatte er nur noch ein hell-dunkelgraues Wabern vor sich.

Ihm wurde übel. Da war das Gefühl, zu fallen, aber nichts mehr, was seinen Augen denselben Eindruck vermittelte. Er wünschte sich Fahrtwind auf der Haut und in seinen Haaren oder irgendwas, das ihm gegen die Desorientierung half. Doch der SERUN hätte den Luftstrom ohnehin abgehalten. Über ihm schrumpfte die Schachtöffnung zu einem winzigen Punkt zusammen.

Als er sich endlich dem Schachtboden näherte, schlang Anchi die Arme enger, bremste seinen Fall. Die Hände der Kameraden streckten sich nach ihm und fingen ihn auf. Dennoch landete Anchi hart, der Aufprall schmerzte in den Knöcheln.

Kurz darauf stand er mit zitternden Knien vor den anderen. Danton gewährte ihm einige Sekunden, um zu Atem zu kommen. Anchi nutzte die Gelegenheit.

Vom Schachtboden zweigten sternförmig sieben Gänge ab. Zerbone führte sie zielsicher zu einem davon, der in einer leichten Kurve scheinbar endlos ins Nichts führte. Schweigend marschierten sie hinein.

Ohne die Zielmarkierung im Helmholo hätte Anchi die Lust verloren. Seine Knöchel pochten, die Müdigkeit machte seine Beine schwer. Aber der niedrige Längenwert der restlichen Wegstrecke gab ihm Mut. Nur noch eintausend Meter bis zum Ziel! Der Ritt im Schacht hatte wohl einen Großteil der zusätzlichen Strecke überwunden, die der Umweg ihnen eingebrockt hatte.

Torbögen auf beiden Seiten des Korridors öffneten sich zu riesigen Maschinensälen. Achtzig Meter vor dem Zielpunkt führte Zerbone sie durch eine dieser Wandöffnungen, und endlich standen sie vor dem Transversal-Umsetzer.

Ehrfürchtig starrte Anchi an dem Gerät empor. Es war ein schlanker, fugenloser Zylinder aus dunkelblauem Metall, das von innen heraus zu leuchten schien. Anchi wusste aus SENECAS Datenbanken, wie die Apparatur aussah, und kannte die technischen Eckdaten, doch die Realität war beeindruckender.

Die auf der Helminnenseite eingeblendeten Anzeigen der Anzugpositronik gaben die Höhe der Halle mit knapp hundert Metern an. Der Transversal-Umsetzer durchstieß die Decke und ragte in eine ringförmige Öffnung hinauf, die so breit war, dass Anchi ein Stück weit in die darüberliegenden Stockwerke sehen konnte. Die ursprüngliche Route, vermutete er, hätte sie wohl auf einer dieser Etagen an das Monstrum herangeführt. Das erklärte zumindest die Diskrepanzen in den Entfernungsangaben.

Am Fuß des Zylinders war eine umlaufende Reihe aus Bedienpulten installiert. Zerbone trat auf eins davon zu und legte den Handschuh auf den Kontrollmechanismus. Indirekt beleuchtete Tasten verrieten, dass das Bedienfeld auf Eingaben wartete.

Das Einsatzteam ging an die Arbeit. Danton und der Kuum assistierten Zerbone, während Peet Matabiau und Minon Crompton den Saal mit Kombistrahlern sicherten. Bislang hatte es genügt, den Demontagekommandos aus dem Weg zu gehen. Nun mussten sie diese Stellung halten, bis der Transversal-Umsetzer in Betrieb war.

Anchi nahm eine Position zur Linken ein. Von dort aus überblickte er nicht nur den Eingang, sondern auch Dantons und Zerbones Bemühungen.

Der Mor'Daer tippte eine Aktivierungssequenz ins Kontrollpult, die er aus dem Gedächtnis kannte. Nun machte es sich bezahlt, dass sie zwei ehemalige ranghohe Offiziere der Terminalen Kolonne TRAITOR in ihrer Gruppe hatten. Die Inbetriebnahme erforderte die Autorisierung durch mindestens zwei Duale Kapitäne. Zerbone verfügte über das Wissen von Zerberoff, Danton über das von Dantyren.

Zu sehen war nichts. Anchi spürte jedoch durch die Sohlen seiner Stiefel, dass plötzlich der Boden zitterte. Die Vibration übertrug sich auf den Anzug, brachte seinen Helm zum Dröhnen.

Danton gab dem Kuum Handzeichen. Der nickte und legte den Kopf in den Nacken. Sein Blick ging ins Leere.

Diesmal wusste Anchi genau, was da geschah. Der Kuum benutzte seine Paragabe, um mit Kalfa Kontakt aufzunehmen. Die Kompantin kannte die Koordinaten des Zieluniversums und würde dem Transversal-Umsetzer ein »Justierungsleuchtfeuer« vorgaukeln – woraufhin der eigentliche Einsatz beginnen konnte.

Gleich geschafft! Die Vibration unter Anchis Stiefeln nahm zu. Irgendwo nahm ein Energieerzeuger die Arbeit auf. Nun mussten sie nur noch raus und zurück auf die CALAMAR.

Er freute sich zu früh. Über einem der Pulte flammte ein Hologramm auf. Darin entstand ein leuchtend roter Kreis, in dem ein eigentümliches Symbol leuchtete: zwei parallele Wellenlinien. Ein Alarm?

Roi Danton und Zerbone sahen einander betroffen an.

Der Blickwechsel entging Anchi nicht. Er bekam eine Gänsehaut. Etwas lief nicht so, wie es sollte. Offenbar war die Aktivierung der Apparatur entdeckt worden.

Zerbone hat uns verraten! Der Gedanke war unvermittelt da, und er ließ Anchi nicht mehr los. Wenn der Mor'Daer so gut mit diesem Gerät vertraut war, wie es den Anschein hatte – musste er dann nicht auch alle Sicherheitsfunktionen kennen? Warum hatte er sie nicht desaktiviert?

Der Kuum stand immer noch reglos da, den Kopf schräg gelegt, die Hand erhoben, wie um jemanden zu betasten. Wie lange noch, bis er Kalfa erreicht hatte?

Da brach die Hölle los. Die Passivortung des SERUNS zeigte Dutzende Energiequellen, die sich ihnen aus allen Richtungen näherten. Den Signaturen nach zu urteilen, stammten sie von aktivierten Waffen.

Ennyas Anchi stöhnte. Er hob den eigenen Strahler und wappnete sich für den Kampf. Er wünschte, er wäre wieder auf der SOL. Er schloss die Augen, dachte an die Einsatzbesprechung zurück.

Es kommt mir vor, als sei das schon hundert Jahre her.

2.

SOL

Vor gefühlt hundert Jahren

 

Ennyas Anchi war sicher, dass ein Irrtum vorlag. Sein Betrug war zu gut gewesen! Nun hielt Roi Danton ihn wirklich für einen fähigen Missionsspezialisten, und Anchi würde es ausbaden müssen.

Mutlos stieg er aus dem Antigravschacht, der die Mannschaftsunterkünfte mit dem Zentraldeck des SOL-Mittelteils verband. Anchi genoss die Sauberkeit in diesem Teil des Raumschiffs. Den Korridorwandungen und Deckplatten des Mittelteils fehlte der grüne Span, den er aus den beiden Kugelzellen kannte – Spuren des anderthalb Jahrhunderte währenden Exils auf Evolux. Die Wiedervereinigung der SOL lag noch nicht lange zurück, und den Wartungs- und Reinigungsrobotern war es noch nicht gelungen, den Hantelraumer überall in seinen Urzustand zurückzuversetzen.

Sein Ziel war ein Besprechungsraum in der Nähe der Zentrale, der die bürokratisch anmutende Bezeichnung »37/17-B« trug. Die Besatzung kannte ihn unter einem anderen Namen: »Sarkophag«.

Anchi folgte der Wegbeschreibung, die SENECA an sein Multifunktionsarmband übermittelte. Niemand hatte ihm sagen können, wo der Sarkophag im Ganggewirr der SOL überhaupt zu finden war. Die meisten kannten ihn nur aus Gerüchten. Die Schiffsführung traf sich dort, und zu deren Besprechungen wurden ehemalige Gestrandete wie Anchi natürlich nicht eingeladen.

Bisher. Was wohl auf ihn zukam?

Ein Stück hinter der Haupt-Mannschaftsmesse traf er mit Peet Matabiau zusammen, der gerade aus einem Seitengang trat.