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Christina Kunz

Das Erbe von Grüenlant

Band 2:

Dunkle Wege

Fantasy-Serie

Die Serie „Das Erbe von Grüenlant“

Die junge Polizistin Natalie Berger arbeitet beim BKA. Mit ihren außergewöhnlichen Fähigkeiten, Menschen zum Reden zu bringen, und ihrer unglaublichen Treffsicherheit beim Schießen beeindruckt sie ihre Kollegen. Als ihr bei einem Verhör der geheimnisvolle Fremde Keiran Lasalle gegenübersitzt, weiß sie sofort, dass dieser ihr Leben für immer verändern wird.

Von ihrem verschollen geglaubten Vater Gerbin beauftragt, nimmt Lasalle sie mit auf eine Reise in die magische Parallelwelt Grüenlant. Diese wird bedroht von der dunkeln Magierin Magna aus Vârungen …

Band 2: „Dunkle Wege“

Kaum haben Natalie und Keiran sich ihre Liebe gestanden, muss dieser auf eine gefährliche Mission. Er soll sich der dunklen Magierin Magna von Vârungen stellen, die den König von Grüenlant, Natalies Onkel, in ihrer Gewalt hat.

Während Keiran immer weiter in Magnas Intrigen verstrickt wird, arbeitet Natalie in der Burg der Magier fieberhaft daran, ihre Fähigkeiten zu optimieren, um Keiran aus Magnas Fängen zu befreien. Mehr denn je braucht sie die Hilfe ihrer Freunde …

Die Autorin

Christina Kunz wurde 1972 in Hanau geboren. Sie hat Germanistik und Mathematik auf Lehramt in Frankfurt studiert und arbeitet in Seligenstadt, wo sie mit ihren Söhnen auch lebt, und ist Mitglied in der Autorenvereinigung „Scriptorium Seligenstadt“. Neben dem Schreiben gilt ihre große Leidenschaft der Musik, unter anderem spielt sie Querflöte im Orchester.

Copyright © 2018 mainbook Verlag, mainebook Gerd Fischer

Alle Rechte vorbehalten

eISBN 978-3-947612-21-5

Lektorat: Gerd Fischer

Covergestaltung: Olaf Tischer

Bildrechte: © Christina Kunz

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They can tear us apart
I‘ll still live in your heart
If your spirit gives up
Don‘t surrender our love
.

Billy Talent, Dead Silence

Inhalt

Vorhersehungen

Training

Ablenkungen

Vertrauen

Gastfreundschaft

Gespräche

Ein langweiliges Abendessen

Schwierige Entscheidungen

Reisepläne

Seltsame Begebenheiten

Neue Erkenntnisse

Ein kleiner Kampf

Hoffnung

Dunkelheit

Ruh dich aus!

Aufbruch

Vorhersehungen

Keiran Lasalle ritt schweigend vor sich hin, in Gedanken bei Natalie und dem, was ihm bevorstehen würde. Seufzend schaute er nach oben, zu den sich verzweigenden Ästen, die sich irgendwo außerhalb seiner Sicht zu einer Baumkrone vereinten. Das Gewirr von Blättern spiegelte seinen Gemütszustand wider.

Er wusste nicht, was ihn erwartete. Er, der Stratege, war nicht in der Lage, einen Plan zu entwickeln, hilflos musste er sich seinem Schicksal ergeben. Einzig der Gedanke an Natalie machte ihm Mut.

Immer wieder wanderten seine Gedanken zu seiner Geliebten. Er konnte es noch immer kaum fassen. Sie hatte ihn von Anfang an fasziniert, und er hatte es sich nicht eingestehen wollen. Wieder wunderte er sich über seine eigene Blindheit, die ihn fast ihre Liebe gekostet hätte. Noch immer spürte er ihre Lippen auf seinen, ihre Haut unter seinen Händen. Versonnen streichelte er seinen Hengst Perseus. War es wirklich erst gestern Abend gewesen, als sie sich nach dem Fest ihre Liebe gestanden hatten? Nun saß er hier auf Perseus‘ Rücken und fühlte sich einsam inmitten seiner Männer. Früher hatte ihm das Alleinsein nichts ausgemacht, aber jetzt fehlte ihm außer Natalie auch die Gesellschaft seiner neu gewonnenen Freunde.

Den geschwätzigen Mallister hatte er nie besonders leiden mögen, und doch war er jetzt einer seiner besten Freunde geworden. Gerade weil Mallister das genaue Gegenteil von Keiran war, nie um ein Wort verlegen, gesellig, nicht in der Lage, ein Schwert zu führen und deshalb auch nicht besonders kampfwillig, konnte er von dessen positiven Eigenschaften, allen voran einem unbändigen Optimismus und einem hohen Maß an Empathie, profitieren und lernen.

Es war ein herrlicher Frühlingstag, die Sonne schien warm und ließ alles besonders farbenfroh erscheinen. Keiran kamen die Wiesen grüner, die Äcker gelber und die Blumen bunter als sonst vor. Vielleicht war sein Blick heute deshalb intensiver, weil ihm so sehr wie noch nie bewusst war, dass es das letzte Mal sein konnte, dass er das alles sah. Er betrachtete das friedlich vor ihm liegende Land. Den Weg kannte er gut, aber auch ihn sah er mit anderen Augen. Die Straße führte zunächst über frische grüne Wiesen, auf denen das Vieh weidete. Keiran beobachtete ein Lämmchen, welches fröhlich hinter den anderen Schafen hersprang, die gemächlich über die Weide trotteten. Ein paar Kühe sahen ihn ausdruckslos mit großen Augen an, während sie mit dem Schwanz die Fliegen verscheuchten. Schließlich kam der Trupp durch ein kleines Dorf, dessen Bewohner in ihren Tätigkeiten innehielten und die Soldaten neugierig anstarrten. Zwei kleine Jungen mit Holzschwertern rannten ein kurzes Stück neben den Männern her, bevor sie von einer Frau vertrieben wurden. Keiran seufzte. Wenn doch alles nur ein Spiel oder ein Traum wäre, aus dem er plötzlich aufwachen könnte …

Nachdem die Straße das Dorf durchquert hatte, machte sie einen Rechtsknick und folgte mit einem Linksschwenk ein Stück dem Lauf des Milain, bevor sie in einen Wald mündete.

Keiran atmete tief die kühle Waldluft ein und lauschte dem Gezwitscher der Vögel. Er hörte viele verschiedene Stimmen, die sich fröhlich pfeifend unterhielten, fast so, als würden sie sich über ihn und seine Sorgen lustig machen. Sein Blick wanderte nach oben in die Baumwipfel, die sich majestätisch gegen den blauen Himmel abhoben, und verspürte den Wunsch, nach oben zu klettern und das Land zu betrachten. Gerne wäre er wieder ein kleiner Junge, der sich vor nichts fürchtete und in dem Glauben, der Größte zu sein, auf Bäume kletterte und dort oben der König der Welt war.

Nach einer Tagesreise waren Keiran und seine Begleiter an der Abzweigung zum Tor angekommen. Sie suchten sich einen Rastplatz auf einer Lichtung nahe des Weges und schlugen ihr Lager auf.

In Erinnerungen versunken rollte Keiran seinen Schlafsack aus und legte sich auf den Rücken, den Blick dem Sternenhimmel zugewandt.

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Keiran Lasalle war verschwunden. Gerade erst hatten wir uns unsere Liebe gestanden, und jetzt war er weg.

Ich starrte auf das Burgtor, das bei meiner Ankunft so einladend gewirkt hatte und das jetzt dem aufgerissenen Rachen eines Raubtieres glich, welches gerade gierig sein Opfer verschlungen hatte. Ich wusste, dass meine irre Hoffnung, Keiran würde umkehren und zurückkommen, sich nicht erfüllen würde. Trotzdem war ich unfähig, mich zu bewegen. Wenn ich hier wegginge, würde ich es akzeptieren. Dann müsste ich mich damit abfinden, dass er weg war. Solange ich hier stand, blieb die Zeit mit mir stehen.

Er war ganz plötzlich in mein Leben getreten, hatte einfach so im Verhörraum des BKA gesessen wie so viele zuvor. Und doch war alles anders gewesen. Er hatte mich verwirrt und aus der Fassung gebracht, was selten jemand vermochte. Ich glaube, schon damals hatte ich mich in ihn verliebt, dies jedoch nicht zulassen wollen. Und jetzt war ich hier, in dieser wunderbaren Welt, dem grünen Land, in dem Magie so selbstverständlich war. Keine Sekunde lang hatte ich mein altes Leben bisher vermisst. Nun sollte ich hier an meines Vaters Seite die Rolle der Königin übernehmen. Ich hatte keine Ahnung, was auf mich zukommen würde, aber ich war zuversichtlich, dass ich es schaffen konnte. Mein Vater würde mich unterstützen. Und Keiran … Mein Paladin.

Dieser war – für mich – in einen aussichtslosen Kampf gezogen und ich war mir nicht sicher, ob ich ihn jemals wiedersehen würde.

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Mina, einst meine Zofe und inzwischen meine Freundin, fasste mich am Arm.

„Komm! Du kannst nicht ewig hier stehenbleiben.“

Sie hatte recht. Trotz allem. Ich sah sie an.

„Nein, das bringt nichts. Weißt du, wo Gernot ist? Ich muss trainieren!“

„Natalie – gönn dir mal einen Tag Ruhe!“

„Und was soll ich anfangen mit dieser Ruhe? An Keiran denken und an das, was ihm bevorstehen könnte? Nein. Ich muss etwas tun. Ich muss mich ablenken!“

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Gernot, der junge Kriegsmagier und mein Trainingspartner, hatte heute keinen Spaß mit mir. Ich drosch auf den armen Kerl ein und hätte ihn bestimmt mehrfach erschlagen, wenn der Kampf echt gewesen wäre. Aber es half.

„Tut mir leid“, sagte ich. „Danke, dass Ihr mit mir trainiert! Trotzdem …“

„Schon gut. Ich bin ja froh, wenn Ihr mich fordert. Ihr habt mich heute wirklich an meine Grenzen und darüber hinaus gebracht! Eigentlich sollte ich Euch dankbar sein! Morgen wieder?“

„Gerne!“

Ich war ihm wirklich dankbar.

Später fand ich mich bei Gunhild ein. Die gütige Spiritistin und Zweite Magierin von Grüenlant schaffte es wie keine andere, Zuversicht und Hoffnung zu verbreiten.

„Ach, Kind! Es tut mir so leid für Euch!“ Gunhild zeigte echte Anteilnahme und in ihren sanften blauen Augen spiegelte sich meine Verzweiflung wider, die ich so tapfer zu verbergen versuchte.

„Das muss es nicht. Er tut nur seine Pflicht. Er wird zurückkommen, ganz sicher!“

Plötzlich fiel die ganze Anspannung von mir ab und die Tränen rollten mir über das Gesicht, ich konnte überhaupt nichts dagegen tun. Gunhild nahm mich in die Arme und tröstete mich, während ich weinte. So kannte ich mich nicht, aber danach ging es mir besser.

„Ihr könnt ihm helfen!“ Gunhild klang sehr zuversichtlich.

„Wie denn?“

„Wisst Ihr noch, was ich Euch über die Magie der Liebe gesagt habe? Sie ist stärker, als Ihr denkt!“

„Wie meint Ihr das?“

„Keiran und Euch verbindet ein starkes Band, das kann die Magie um ein Beträchtliches verstärken, und zwar in vielen Bereichen. Ihr habt doch …?“

„Ja, haben wir.“ Mir war schon klar, was sie meinte. Das klang interessant, auch wenn ich nicht so recht daran glauben konnte. Wie sollte das möglich sein? „Inwiefern?“

„Es ist in seltenen Fällen schon vorgekommen, dass die Kommunikation über große Entfernungen – weit über eine Tagesreise hinaus – funktioniert hat! Wenn ihr beide in Gedanken beieinander seid, trägt das Band der Liebe eure Gedanken zum anderen. Die wenigsten wissen davon, aber es wäre einen Versuch wert, meint Ihr nicht?“

Das konnte ich nun gar nicht glauben. Aber warum sollte ich es nicht versuchen? Mehr als fehlschlagen konnte es ja nicht …

„Es könnte noch mehr gehen. Wenn ihr beide die Krieger-Magie wirkt, funktioniert eure Liebe wie ein Verstärker. Gemeinsam werdet ihr in der Lage sein, eine Magie zu wirken, der sich niemand entgegenstellen kann. So könnte es möglich sein, Magna zu besiegen. Ich kann gerne einen Blick in die Zukunft für Euch werfen …“

„Ich weiß nicht …“

Eigentlich wollte ich es gar nicht wissen. Es würde kommen, wie es kommen musste. Aber eine andere Frage drängte sich mir auf und beunruhigte mich:

„Hat Gerbin deshalb Keiran geschickt, um mich zu holen – damit genau das geschieht? Damit wir beide eine Magie schaffen, die Gerbins übersteigt?“

Gunhild wirkte betreten.

„Nun ja – das könnte er dabei im Sinn gehabt haben … Die Vorhersehung hat es gezeigt …“

„Das heißt, er hat uns beide nur benutzt?“

„Das würde ich so nicht sagen. Ihr liebt Keiran doch wirklich, oder? Dazu hat er doch nicht beigetragen! Nur, indem er Euch bekanntgemacht hat …“

Im Grunde hatte sie recht. Gerbin hatte mich jedenfalls nie dazu gedrängt, etwas mit Keiran anzufangen. Ich hoffte, dass dies auch bei Keiran nicht der Fall gewesen war …

„Ich weiß nicht – was mich betrifft, schon. Aber wie ist es mit Keiran?“

„Da könnt Ihr sicher sein, auch ihn hat er nicht beeinflusst. Sonst hätte die Magie der Liebe nie in Kraft treten können. Er durfte das gar nicht! Jede Art von Beeinflussung, selbst wenn sie zum Erfolg geführt hätte, wäre negativ für die Entwicklung der Magie gewesen! Habt Ihr denn Zweifel?“

„Nein, nein. Schon bei unserer ersten Begegnung war da – etwas Besonderes. Hätte ich mich nicht mit Händen und Füßen gegen den Gedanken gewehrt, wäre mir gleich klar gewesen, dass wir beide – zusammengehören. Ich wollte mich bloß nicht verlieben. Aber jetzt ist es doch passiert. Als hätte ich schon immer auf ihn gewartet. Und ich glaube, Gleiches gilt für ihn.“

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Gunhild hatte Natalie erneut angeboten, einen Blick in die Zukunft zu werfen, wogegen diese sich heftig gewehrt hatte. Als Natalie weg war, entschied Gunhild, es trotzdem zu tun. Zu viel war passiert und sie musste Klarheit darüber bekommen, wie es weitergehen sollte.

Sie bereitete sich vor, suchte die entsprechenden getrockneten Kräuter zusammen, die ihren Geist erweitern würden, und zerstampfte sie. Anschließend füllte sie sie in eine Schale und zündete sie an. Den Rauch atmete sie tief ein und versetzte sich in Trance.

So saß sie eine Weile, öffnete ihren Geist und wartete auf die Bilder, die bald kommen würden.

Und dann trafen sie sie mit voller Wucht.

Sie sah Krieg, ein Heer in der Brandwüste. Tod, Vernichtung auf beiden Seiten. Gerbin war da und Magnas Soldaten, Natalie und Keiran. Sie sah nicht, wer auf welcher Seite stand und wer den Krieg gewinnen würde.

Sie sah Keiran. Aber sie konnte nicht deuten, was mit ihm geschehen würde. Magna war an seiner Seite. Aber was tat sie da? Würde Keiran sterben? Diese Möglichkeit war groß. Oder würde er sich mit Magna verbünden? Diese Möglichkeit eröffnete sich ihr mit einer Intensität, die sie schaudern ließ. War das die grausige Zukunft?

Sie sah Natalie. Auch hier blieb ihr der klare Blick versperrt. Es gab zwei Männer. Keiran und noch jemanden. Und dieser Jemand war gefährlich.

Gunhild versuchte, die Fäden zu verknüpfen. Aber es gelang ihr nicht.

Dann sah sie eine Frau mit himmelblauen Augen. War das Natalie? Die Frau sah sie flehend an. Was wollte sie von ihr? Wer war sie?

Die Vision erlosch. Wie immer nach solch heftigen Bildern sank Gunhild erschöpft zu Boden. Sie wirkten in ihr fort mit einer nie erlebten Intensität. Was sollte sie jetzt tun?

Im Grunde hatte sie nichts erfahren, bis auf die Tatsache, dass es Krieg geben würde. Das war ihr noch nie vorher passiert. Aber sie musste Natalie warnen, vor diesem anderen, der sie für sich gewinnen und von Keiran entfernen wollte. Und wie sollte sie ihr erklären, dass Keiran sie möglicherweise enttäuschen könnte? Und wer war diese Frau mit den himmelblauen Augen? Ihr Blick hatte sie tief berührt … Je mehr Gunhild darüber nachdachte, desto sicherer wurde sie, dass das nicht Natalie gewesen sein konnte. Der Blick war – zu weich gewesen. Das Kämpferische, das die junge Kriegsmagierin stets beherrschte, war nicht darin zu finden. Noch immer fühlte sie das Unbehagen, das diese Vision bei ihr hervorgerufen hatte.

Am besten war wohl, sie sagte gar nichts. Vielleicht hatte Natalie recht. Es würde kommen, wie es kommen musste. Sie würden ihr Schicksal selbst gestalten, und egal, wie es sein würde, es würde schwer sein, es aufzuhalten.

Ja, es war besser, sie behielt ihre Visionen für sich.

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Keiran streckte sich auf seinem Lager aus und starrte in den Sternenhimmel, der zwischen den Baumwipfeln deutlich zu sehen war. Wie schön die Sterne leuchteten! Sie strahlten ihn aufmunternd an, als wollten sie ihm die Gewissheit geben, dass sie immer über ihn wachen würden und ihm nichts geschehen könne. So träumte er vor sich hin, als Calvin abwartend mit seiner Decke neben ihm auftauchte.

„Störe ich?“

„Hm? Nein … nein, Ihr stört nicht.“

Im Grunde war Keiran ganz froh, dass er nicht alleine war, denn das lenkte ihn ein bisschen ab. Er kannte Calvin. Gestern noch hatte er ihn zurechtgewiesen, weil er auf dem Fest eine Bemerkung über Natalie gemacht hatte …

Calvin breitete seine Decke neben Keiran aus, streckte sich darauf aus und starrte genauso gedankenverloren nach oben in die samtene Schwärze, die von strahlenden Tupfern durchsetzt war.

„Der Sternenhimmel ist so wunderschön.“

Keiran hätte derart schwärmerische Beobachtungen von Calvin gar nicht erwartet.

„Seht Ihr da oben den besonders hellen Stern? Das ist die Himmelsblüte. Manchmal leuchtet sie ganz besonders intensiv in allen möglichen Farben. Dann, sagt man, läge Magie in der Luft und es gingen alle Wünsche Liebender in Erfüllung.“

„Heute blüht sie wohl nicht … nicht für mich.“ Keiran seufzte.

„Aber morgen vielleicht. Ihr dürft die Hoffnung nicht aufgeben.“

„Das sagt sich so leicht.“

„Habt Ihr jemals aufgegeben? Das ist nicht Euer Ruf!“

„Nein. Aber es war auch noch nie so schwer.“ Keiran seufzte erneut.

„Ihr denkt an sie, richtig?“

„Ja.“

„Kann ich verstehen. Würde ich an Eurer Stelle auch.“

Keiran war verwundert. Calvin überraschte ihn immer mehr.

„Es war mir immer egal. Ich war nicht wichtig. Nichts war wichtig, nur der Sieg. Wenn ich nicht wiedergekommen wäre, hätte ein anderer für mich weitergemacht. Die Sache hätte überlebt. Und jetzt – habe ich zum ersten Mal Angst. Angst, nicht zurückzukommen. Angst, so vieles zu verpassen, Angst zu sterben.“ Keirans Stimme klang rau.

„Ich kann Euch verstehen“, wiederholte Calvin. „Ich hatte auch mal ein Mädchen. Plötzlich war nichts mehr wichtig, nur noch sie. Ich bin abgehauen – zu ihr. Aber sie wollte das nicht. Sie wollte keinen Feigling, keinen Verräter. Also bin ich zurückgegangen und wäre fast dabei draufgegangen. Aber Ihr – Ihr schafft das. Ihr werdet als Sieger zu ihr zurückkehren. Ihr seid stärker als ich.“

„Warum glaubt Ihr an mich?“ Keiran war verwundert, dass er diesen Eindruck auf Calvin machte.

„An irgendetwas oder irgendjemanden muss man glauben. Sonst kann man das, was wir tun, nicht machen.“

„Da habt Ihr wahrscheinlich recht. Danke, Calvin, für Euer Vertrauen!“

Keiran war sichtlich gerührt und er war froh, jemanden wie Calvin an seiner Seite zu haben. Gestern noch hätte er ihn am liebsten auf der Stelle umgebracht, und jetzt erwies er sich als treuer Begleiter und vielleicht auch als Freund.

In diesem Moment begann die Himmelsblüte bunt zu leuchten und Keiran hörte Natalies Stimme. Er spürte sie neben sich und hätte fast den Arm um sie gelegt.

Er hoffte, Calvin hatte recht und ihr Wunsch würde in Erfüllung gehen.

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Ich saß auf meinem Bett und konzentrierte mich auf Keiran. Immer wieder versuchte ich, ihn mit meiner magischen Stimme zu erreichen. Aber ich bekam keine Antwort. Bald fühlte ich mich, als hätte ich einen Knoten im Kopf. Es ging nicht. Gunhild hatte mir falsche Hoffnungen gemacht.

Irgendwann gab ich es auf. Was sollte ich machen? Der ganze Tag war angefüllt gewesen mit Aktivitäten verschiedenster Art, und jetzt saß ich alleine in meinem Zimmer und vermisste Keiran. Ich hätte nie geglaubt, dass dieses Gefühl so schmerzhaft sein konnte.

An Schlaf war nicht zu denken, obwohl ich unglaublich müde war.

Also flüchtete ich auf den Bergfried. Das war mein Zufluchtsort gewesen, dort hatten Keiran und ich zusammengefunden, das würde mir sicher helfen.