Chefarzt Dr. Norden – 1116 – Nicht so forsch,  Kollegin!

Chefarzt Dr. Norden
– 1116–

Nicht so forsch, Kollegin!

Eine junge Ärztin wagt sich sehr weit vor

Patricia Vandenberg

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74093-048-6

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»Wenn ich überlege, wie schwer die Platten früher waren.« Dr. Daniel Norden stand am Operationstisch und wog das Stück Metall in der Hand. »Heute sind sie aus Titan.« Er beugte sich über das Operationsfeld und setzte den Eingriff fort. »Schauen Sie gut zu, Sophie, sonst lernen Sie nichts.«

Die neue Assistenzärztin Sophie Petzold stand ihm gegenüber und nickte.

Sie hatte Glück gehabt. Obwohl an der Behnisch-Klinik einige Assistenzarztstellen gekürzt worden waren, hatte sie einen der begehrten Plätze ergattert. Das war nur Dr. Sandra Neubeck zu verdanken. Die Freundin von Felicitas Norden war auf eigenen Wunsch ausgeschieden. Nun schlug die große Stunde der ehrgeizigen Sophie. Auf keinen Fall würde sie in die Fußstapfen ihrer Vorgängerin treten und schon nach ein paar Monaten das Handtuch werfen. Ganz im Gegenteil schwebte ihr eine große Karriere vor, wie ihr Eifer jetzt schon erahnen ließ.

Daniel Norden zögerte.

»Gibt es Probleme?«, erkundigte sich der Anästhesist Arnold Klaiber.

»Die Patientin ist Bluterin. Da habe ich nicht so ein gutes Gefühl, die Platte einzusetzen.«

»Dann lassen Sie es doch!«, sagte Sophie Petzold.

Aller Augen richteten sich auf sie. Der Klinikchef runzelte die Stirn.

»Wie bitte?«

»Bohren Sie einfach drei kleine Löcher und setzen Spickdrähte ein.«

»Meine liebe Frau Petzold, diese Entscheidung überlassen Sie bitte mir«, wies er die neue Kollegin zurecht. »Ich denke, ich verfüge über genügend Erfahrung, um zu wissen, was ich tue.«

Sophie zuckte mit den Schultern.

»Ich meinte ja nur. Wenn Sie wegen der Hämophilie Bedenken haben, ist das doch genau die richtige Maßnahme. Ohne tiefe Schnitte gibt es keine Blutung. Das ist doch ganz einfach.«

Dr. Klaibers Grinsen war an den Fältchen um seine Augen zu erkennen.

Der Klinikchef holte tief Luft und ließ sich den Schweiß von der Stirn tupfen.

»Ob Sie es glauben oder nicht: Diese Methode ist mir geläufig. Aber Spickdrähte sind nicht so stabil.«

»Ich würde ja lieber dieses Risiko eingehen, statt einen toten Patienten mit bombenfester Platte im Ellbogen in die Kühlkammer zu schieben.«

Bisher hatte sich Matthias Weigand – er assistierte Dr. Norden – vornehm aus der Diskussion rausgehalten. Doch nun konnte auch er sich das Lachen nicht länger verkneifen.

Daniels strafender Blick traf ihn.

»Was sagst du dazu?«, fragte er streng.

Matthias räusperte sich.

»Nichts für ungut. Einen Versuch wäre es zumindest wert. Wenn wir die drähte richtig platzieren, dann hält es auch.«

»Na schön. Dann folgen wir dem Vorschlag unserer jungen Kollegin.« Daniel gab sich geschlagen und setzte den Eingriff fort.

Eine halbe Stunde später war alles vorbei. Dr. Norden bedankte sich bei seinen Mitarbeitern und verließ den Operationsbereich. Am Telefon verabredete er

sich mit seiner Frau Felicitas im Kiosk ›Allerlei‹, wo man unter Palmen köstliche Kaffeespezialitäten und Backwaren aus der besten ­Bäckerei der Stadt genießen konnte.

»Sieh mal einer an, du hast also schon zugeschlagen.« Er entdeckte sie an ihrem Lieblingstisch und begrüßte sie mit einem Kuss.

»Stell dir vor: Diese arme Schokoladentorte war gefangen in einem Glaskasten. Sie hat mich so flehentlich angesehen, dass ich sie einfach befreien musste«, erwiderte Fee mit einem mitfühlenden Blick auf ihren Teller.

»Unter Einsatz deines Lebens, versteht sich!«

»Unter Einsatz deines Gehalts«, korrigierte sie ihn und klopfte auf den freien Stuhl neben sich. »Komm, setz dich zu mir, damit ich euch bekannt machen kann.« Sie hielt ihm die Gabel vor den Mund.

Willig ließ sich Daniel ein Stück Torte verabreichen.

»Köstlich.« Genüsslich schloss er die Augen, um sich dem Genuss ganz hinzugeben. »Ich frage mich, wie Tatjana es schafft, bei diesem Beruf rank und schlank wie eine Tanne zu bleiben. Ich an ihrer Stelle würde wahrscheinlich einem schönen, dicken Hefezopf Konkurrenz machen.«

»Deshalb bist du auch Klinikchef geworden. In dieser Eigenschaft hast du kaum Zeit zu essen, geschweige denn, dich adäquat um deine Frau zu kümmern.«

»Höre ich da eine gewisse Kritik heraus?«, fragte er und bestellte Latte Macchiato und Apfelkuchen bei Lenni.

Fee schüttelte den Kopf. »Nein. Zumindest nicht, solange du daran denkst, dass wir heute Abend eine Verabredung mit unserer Familie haben.«

»Ich gebe mir Mühe«, versprach Daniel und löffelte Zucker in seinen Kaffee. Während er umrührte, hing er seinen Gedanken nach. »Habe ich dir eigentlich schon von unserer neuen Assistenzärztin erzählt?«

»Die Nachfolgerin von Sandra?«

Daniel nickte und trank einen Schluck Milchkaffee.

»Mit der werden wir noch unseren Spaß haben.«

»So viel Spaß wie ich mit Lammers?« Die Taktlosigkeit, mit der ihr Stellvertreter Kollegen und Patienten behandelte, war sprichwörtlich. Nur zu gern hätte Fee darauf verzichtet, ständig die Beschwerden der Eltern ihrer kleinen Patienten abzuwehren. Der einzige Grund, ihn zu halten, waren seine bestechenden Fähigkeiten in der Kinderchirurgie, die in der Stadt ihresgleichen suchten.

Daniel wusste, was seine Frau meinte, und schüttelte den Kopf.

»Zumindest nicht, was den Umgang mit den Patienten angeht. In dieser Hinsicht ist Sophie perfekt. In puncto Respektlosigkeit sieht es allerdings anders aus.«

»Eine Assistenzärztin darf nicht zu viel Respekt haben, sonst geht sie unter in dem Haifischbecken«, gab Fee zu bedenken. Sie kratzte den letzten Rest Schokocreme zusammen.

»Bevor du den Teller mitisst, bestelle ich dir lieber noch ein Stück. So viel gibt mein Gehalt als Chefarzt gerade noch her«, bot er an.

»Ah, der Herr hat die Spendierhosen an.« Lachend schüttelte Fee den Kopf. »Aber nein, danke. Erzähl mir lieber noch mehr von dieser ominösen Sophie.«

»Sie hatte heute im OP eine gute Idee, die sie vehement verteidigt hat.« Daniel wiegte den Kopf. »Allerdings ist es mir durchaus schwergefallen, mir von diesem jungen Gemüse etwas sagen zu lassen.« Dieses Geständnis fiel ihm nicht leicht.

Fee legte die Hand auf seinen Arm. Ihr Blick war voller Liebe.

»Diese jungen Menschen sind die Zukunft. Du solltest ihr eine Chance geben.«

»So wie du Lammers?« Schon blitzte wieder der Schalk aus Daniels Augen.

Fee versetzte ihm einen Knuff in die Seite.

»Du Satansbraten! Ich sollte der jungen Querulantin dankbar sein, dass sie dich in deine Schranken verweist.« Sie leerte ihre Tasse und stand auf. »Ich freue mich jetzt schon auf neue Geschichten von Sophie Petzold.« Sie beugte sich über ihren Mann und gab ihm einen Abschiedskuss, ehe sie sich wieder auf den Weg in ihre Abteilung machte.

Daniel sah ihr aus schmalen Augen nach.

»Fragt sich, wer hier der Satansbraten ist«, murmelte er, als Lenni zu ihm an den Tisch trat und ihren ehemaligen Chef, der ihr wie ein Sohn ans Herz gewachsen war, in ein Gespräch verstrickte.

*

Der Weg in ihre Abteilung führte Dr. Felicitas Norden an einer langen Glasfront mit Blick auf den herrlichen Klinikgarten vorbei. Dieser Anblick genügte, um sie zumindest für einen kurzen Moment alles andere vergessen zu lassen. Mit den Händen in den Kitteltaschen blieb sie stehen und ließ den Blick über die Frühlingspracht schweifen. Ein bunter Blütenteppich breitete sich zu ihren Füßen aus. Frisches Grün, wohin das Auge reichte. Obwohl die Sonne um diese Uhrzeit noch nicht wärmte, saß ein Mädchen auf der Schaukel.

»Ganz schön kalt für einen Schlafanzug, findest du nicht?«

Die Stimme ihrer Freundin, der zukünftigen Pflegedienstleitung Elena, weckte Fee aus ihrer Verzauberung.

»Du hast recht. Ich hole sie rein.«

»Ich mach schon. Du musst gleich zur Visite.«

Felicitas warf einen erschrockenen Blick auf die Uhr.

»Schon so spät? Da wird Lammers wieder einen passenden Kommentar auf Lager haben.« Sie winkte der Schwester und machte sich im Laufschritt auf den Weg. Nicht, dass sie sich vor dem Kollegen fürchtete. Doch die ständigen Sticheleien zerrten an ihren Nerven. Schon deshalb hatte sie ihre Strategie geändert und versuchte, jeder Konfrontation aus dem Weg zu gehen.

Wie versprochen trat Elena hinaus in den Garten und gesellte sich zu der kleinen Romy, die tags zuvor in die Klinik gekommen war. Das Mädchen saß auf der Schaukel und schwang hin und her.

»Schöner Pullover!« Sie betrachtete das aufgedruckte Einhorn auf rosafarbenem Untergrund. »Den gleichen hat mir meine Tochter geschenkt.« Vorsichtshalber verriet sie nicht, dass dieses Geschenk ein Scherz der halbwüchsigen Lara gewesen war.

Romys Augen wurden kugelrund.

»Echt?« Sie holte neuen Schwung und schaukelte weiter.

»Ja, aber ich trage ihn nur zu Hause.« Sie fröstelte. »Es ist ein bisschen kalt. Wollen wir nicht reingehen?«

»Im Bett ist es aber langweilig.« Unverdrossen schwang Romy weiter auf und ab.

Elena dachte kurz nach.

»Also gut. Wir spielen Fli-Fla-Flu. Wenn ich gewinne, gehen wir rein.«

Tatsächlich sprang das Mädchen von der Schaukel. Vor Elena blieb sie stehen und ballte die Hand zur Faust.

»Fli-Fla-Flu! Papier wickelt Stein ein. Eins zu null für mich«, triumphierte sie im nächsten Augenblick.

»Na warte, den nächsten Punkt mache ich«, drohte Elena im Spaß. »Fli-Fla-Flu! Mist, Schere zerschneidet Papier.«

»Zwei zu null für mich.« Romy kicherte. »Fli-Fla-Flu!«

»Wenn Sie für’s Spielen bezahlt werden wollen, hätten Sie Kindergärtnerin werden sollen.« Volker Lammers Stimme dröhnte durch den Garten.

Ein paar Vögel im Gebüsch flatterten erschrocken auf. Romy legte den Kopf schief und musterte den stellvertretenden Chef der Kinderabteilung, der an der Tür zum Garten stand. Als jüngstes von vier Geschwistern hatte sie gelernt, sich zu behaupten.

»Das heißt Erzieherin und nicht Kindergärtnerin. Weißt du das nicht?«

Elena gluckste leise. Lammers Kopf wurde dagegen so rot, als wollte er gleich platzen.

»Unverschämtes Gör! Wenn du nicht sofort parierst, lege ich dich über’s Knie.«

Romy stemmte die Hände in die Hüften und starrte ihn feindselig an.

»Das darfst du nicht. Dann kommst du ins Gefängnis.«

Schwester Elena sah dem Arzt an, dass Gefahr in Verzug war. Noch ein freches Wort von der Kleinen, und es würde eine Katastrophe geben.

Sie beugte sich zu Romy hinunter.