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Nr. 2970

 

Der Gondu und die Neue Gilde

 

Thoogondu gegen Terraner – Patt am Hooris-Stern

 

Oliver Fröhlich

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog

1. Besuch von außerhalb

2. Ein Ruf, dem man sich nicht widersetzt

3. Eine Bitte und ein Angebot

4. Die Sorgen eines Gondus

5. Behauptungen und Tatsachen – oder umgekehrt

6. Zweifel, Erinnerungen und die Folgen

Epilog

Journal

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Gut dreitausend Jahre in der Zukunft: Perry Rhodan hat nach wie vor die Vision, die Milchstraße in eine Sterneninsel ohne Kriege zu verwandeln. Der Mann von der Erde, der einst die Menschen zu den Sternen führte, möchte endlich Frieden in der Galaxis haben.

Unterschwellig herrschen zwar Konflikte zwischen den großen Sternenreichen, aber man arbeitet zusammen. Das gilt nicht nur für die von Menschen bewohnten Planeten und Monde. Tausende von Welten haben sich zur Liga Freier Galaktiker zusammengeschlossen, Besucher aus anderen Galaxien suchen Kontakt zu den Menschen und ihren Verbündeten.

Nicht immer erfolgt dieser Kontakt zur Freude aller: So versteht kaum jemand die Beweggründe der Gemeni, die angeblich den Frieden im Auftrag einer Superintelligenz namens GESHOD wahren wollen, aber dabei Dinge tun, die von den meisten bestenfalls als ungewöhnlich oder undiplomatisch bezeichnet würden. Andere sehen darin fast den Grund für eine Kriegserklärung. Was bewegt GESHOD und seine Gesandten tatsächlich?

Jüngsten Erkenntnissen zufolge arbeiten diese mit den Thoogondu zusammen, die einst als Lieblingsvolk von ES galten, von diesem aber wegen eines schwerwiegenden Verrats verbannt wurden. Plötzlich aber tauchen ihre mächtigen Raumschiffe überall in der Milchstraße auf. Wollen sie wirklich die Invasion der Milchstraße? Antworten liefern DER GONDU UND DIE NEUE GILDE ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Narashim – Der Gondu sorgt sich um die Zukunft der Vertriebenen.

Puoshoor – Der Sohn des Gondus zeigt kein Interesse an dessen Amt.

Puorengir – Die Tochter des Gondus engagiert sich in der Resozialisierung von Verbrechern.

Perry Rhodan – Der Terraner empfängt unerwarteten Besuch.

Prolog

 

Ah, sieh dich nur an. Versuchst du etwa, deine Gefühle und den inneren Aufruhr vor mir zu verbergen. Ja? Nun, es gelingt dir nicht besonders gut. Deine Augen verraten dich.

Du fragst dich, was du von mir halten sollst, richtig? Du würdest zu gerne herausfinden, was mich wirklich zu euch führt. Darfst du mir vertrauen? Oder auch nur ein Wort von dem glauben, was ich bereits erzählt habe – ganz zu schweigen von dem, was ich noch erzählen will?

Ich verstehe das. Mir ginge es in deiner Lage nicht anders. Zumal dich die Erfahrung gelehrt hat, dass wir unser Verhältnis zur Wahrheit ... nun, eher großzügig auslegen. Um ehrlich zu sein: Ich an deiner Stelle würde mir nicht weiter trauen, als ein Stein springen kann.

Andererseits, wann folgte der Einleitung »um ehrlich zu sein« jemals etwas anderes als eine dicke Lüge?

Du fragst dich, was ich im Schilde führe. Ob ich versuche, euch auf eine Weise zu schaden, die du bisher bloß nicht erkennst. Ob ich wirklich helfen kann. Und falls ja, ob ich Versprochenes tatsächlich umsetze.

So leid es mir tut, die Antworten darauf musst du selbst finden. Horch in dich hinein! Vertrau deiner Menschenkenntnis! Vielleicht hilft sie dir weiter, obwohl ich kein Mensch bin.

Ich kann nur zwei Dinge tun, um dich bei der Entscheidungsfindung zu unterstützen: dir erstens meine Aufrichtigkeit versichern und dir zweitens eine Geschichte erzählen, die sich tatsächlich so zugetragen hat.

Bist du bereit?

Na schön, dann hör zu.

1.

Besuch von außerhalb

 

Das Weltall. Ein riesiges, unwirtliches Gebilde. Überwiegend leer und lebensfeindlich mit seiner Kälte und dem Fehlen einer Atmosphäre. Ein Raum, so gewaltig, dass selbst das Licht für den Weg von einem beobachtbaren Ende zum anderen mehr als neunzig Milliarden Jahre benötigte, länger also, als das All alt war.

Das hieß jedoch keineswegs, dass sich der Weltraum an den vergleichsweise seltenen materiereicheren Orten lebensfreundlicher zeigte. Sonnen verbrannten mit Jahrmillionen altem Feuer alles, was ihnen zu nahe kam, und bombardierten die Umgebung mit Winden aus tödlicher Strahlung. Schwarze Löcher verzehrten wie hungrige Bestien alles in ihrer Nähe. Und sogar bei den Planeten handelte es sich in der Regel um Gasmonster oder triste Brocken, zu heiß, zu kalt, zu groß, zu klein, zu nah an einem Stern oder zu weit entfernt, als dass sie Leben hervorbrächten.

O nein, das Weltall war kein Ort, der allzu rücksichtsvoll mit jenem wertvollen Gut namens Leben umging. Hätte man also nicht annehmen dürfen, dass diejenigen, die es sämtlicher Widrigkeiten zum Trotz in sich trugen, alles dafür gäben, es zu erhalten? Zu Perry Rhodans Verdruss war das leider nicht der Fall. Immer wieder führten die Bewohner dieses kalten, leeren Ortes Kriege. Sie bedrohten einander, brachten sich gegenseitig um, warfen achtlos oder mutwillig das Leben anderer weg.

Eines der grundlegenden Gesetze der Schöpfung schien zu lauten: Wenn dich das Universum schon nicht erwischt, freu dich nicht zu früh, denn dort draußen lauern genügend Wesen, die es ebenfalls versuchen wollen.

Wesen wie die Thoogondu beispielsweise, die offenbar nichts Geringeres planten, als die Milchstraße zurückzuerobern – die alte Heimat, aus der sie die Superintelligenz ES, von ihnen Wanderer genannt, vor über dreißigtausend Jahren vertrieben hatte.

In der Zentrale der RAS TSCHUBAI kehrte für einen Augenblick angespannte Stille ein. Sie währte nicht einmal eine Sekunde lang, und doch fühlte sie sich so greifbar, so ewig während an, als bräuchte man nur die Hand auszustrecken, und Fasern geronnener Zeit würden sich zwischen den Fingern verfangen.

Niemand streckte tatsächlich die Hand aus. Stattdessen starrte die komplette Zentralebesatzung auf das Hauptholo, gefangen in einem Kampf gegen die Fassungslosigkeit. Nicht etwa – oder nicht nur – wegen der Übermacht aus 15.000 gondischen Robotschiffen, die sich im Verlauf der letzten Tage in diesem Doppelsternsystem, über 19.000 Lichtjahre von der Erde entfernt, gesammelt hatten.

Es war ein vier Kilometer durchmessender, silbrig strahlender Energiering, der die Fassungslosigkeit hervorrief. Wie das weit aufgerissene Maul eines Raubtiers stand er über dem Nordpol des Hooris-Sterns. Eines Raubtiers, das nicht darauf versessen war zu verschlingen. Stattdessen spie es etwas aus.

Drei Pentasphären schoben sich durch den Transmitter. In der Darstellung des Holos wirkte die Bewegung langsam, majestätisch und bedrohlich. Gewaltige Raumschiffe, die direkt aus Sevcooris kamen, dem Imperium der Thoogondu. Eine Strecke von 111 Millionen Lichtjahren, für die die RAS TSCHUBAI trotz ihres neuartigen Hypertrans-Progressor-Antriebs zuletzt mehr als drei Monate benötigt hatte, überwanden die Neuankömmlinge innerhalb von Sekunden. Das konnte nur eines bedeuten, und vermutlich dachte jeder in der Zentrale in diesem winzigen Augenblick der Stille das Gleiche: Die Invasion hatte begonnen.

Oder?

Mit einem Mal lief die Zeit wieder normal ab. Die Professionalität kehrte zurück. Stimmen hallten durch die Zentrale, Fragen nach dem weiteren Vorgehen ertönten über die Komverbindung zwischen den eigenen Einheiten. Berechtigte Fragen, denn mit knapp 3000 Schiffen der LFG, den 1000 Schiffes des olympischen Kaiserpaars und etwa ebenso vielen Schiffen anderer Galaktiker waren die heimischen Verteidiger deutlich in der Unterzahl.

»Wir erwarten Befehle!«

»Was sollen wir tun?«

»Sollen wir die Formation auflösen und umgruppieren?«

»Wir müssen angreifen, ehe weitere Pentasphären durch den Transmitter kommen!«

»Funkanfrage von der ARUN JOSCHANNAN«, mischte sich Oberstleutnant Lit Olwars Stimme in das Gewirr. »Es ist Admiralin Dunjana.«

»Aufs Holo!«, sagte Rhodan.

Die Kommandantin der galaktischen Flotte erschien in einem kleinen Ausschnitt direkt neben der Darstellung der gondischen Neuankömmlinge. Die Terranerin wirkte gefasst, beherrscht, selbstbewusst. Lediglich der Zeigefinger, der unablässig eine Strähne ihres weißen Haares zu einer Spirale drehte, verriet, wie es tatsächlich in ihr aussah. »Mir ist klar, Perry, dass das eher in meine Zuständigkeit fällt als in deine. Dennoch würde ich gerne deine Meinung hören, ehe ich etwas befehle.«

Rhodan dachte nur kurz über die Ereignisse der letzten Tage nach. Da war die Mobilisierung der gondischen Geisterflotte aus den Schweigsamen Werften; die robotisch gesteuerten Angriffe auf galaktische Schiffe, die sich nicht als Feind des Wanderers erklärten; das Sammeln der Übermacht innerhalb des Doppelsternsystems aus einem Pulsar und einem Roten Zwerg; die Entdeckung einer Sendestation als gondische Hinterlassenschaft in der Korona des Zwergsterns – und selbstverständlich die Aktivierung des Transmitters. All diese Ereignisse hatten ihren vorläufigen Höhepunkt im Eintreffen der drei Pentasphären aus Sevcooris gefunden.

Ein impulsiver Kriegsherr kannte darauf nur eine Antwort: Feuer frei!

Doch Rhodan verstand sich nicht als Kriegsherr. Er sah sich dem Frieden verpflichtet. Gewiss war dieser ein Ideal, das sich nur erreichen ließ, wenn der Kontrahent ihm ebenfalls nacheiferte. Und die Thoogondu machten nicht den Eindruck, als wäre ihnen allzu viel an einer friedlichen Lösung gelegen.

Und dennoch: Sein Bauchgefühl und die jahrtausendelange Erfahrung schrien im Chor, dass er nichts überstürzen durfte. Dass etwas an dieser Sache nicht stimmte. Dass der Eindruck täuschen mochte.

So abgenutzt und klischeehaft das Bild erschien, so zutreffend war es: Das Doppelsternsystem glich einem Pulverfass, bei dem ein einziger Funke ausreichte, es zu entzünden. In der anschließenden Explosion würden die Thoogondu mit den Robotschiffen größtenteils lediglich Material verlieren. Bei den Galaktikern hingegen standen Hunderttausende oder Millionen von Leben auf dem Spiel.

Keinesfalls wollte er derjenige sein, von dem der zerstörerische Funke ausging.

»Ich rate dringend von übereilten Entscheidungen ab«, sagte er. »Deshalb empfehle ich, vorerst nicht – ich wiederhole: nicht – anzugreifen.«

Ruth Dunjana nickte. Sie wirkte erleichtert, vermutlich weil sie es genauso sah. Dennoch fragte sie: »Was, wenn es sich nur um die Vorhut handelt?«

»Denkbar. Vielleicht haben wir es auch mit Kommandoschiffen über die Robotflotte zu tun. Oder es steckt etwas ganz anderes dahinter.«

»Meinst du? Was sollte das wohl sein?«

»Dass wir es im Augenblick nicht wissen, bedeutet nicht, dass es nicht so sein könnte. Uns fehlen die nötigen Informationen, um die Lage korrekt einzuschätzen. Ich schlage vor, in erhöhter Alarmbereitschaft zu bleiben, um jederzeit sofort auf einen Angriff reagieren zu können, aber vorerst selbst nichts zu unternehmen. – ANANSI, deine Einschätzung?«

Glücklicherweise hielt sich die Semitronik nicht – wie sonst üblich – damit auf, ihn zu fragen, wie es ihm gehe. »Ich stimme dir zu. Eine Attacke erscheint mir derzeit nicht ratsam. Die neu angekommenen Pentasphären sind beschädigt. Die zuerst eingetroffene noch am wenigsten.«

»Ursache der Schäden?«

»Nicht eindeutig bestimmbar. Manche deuten auf ein Gefecht hin, andere legen nahe, dass der Transmitterdurchgang sie verursacht hat.«

Kein Wunder bei dieser Distanz. 111 Millionen Lichtjahre! Und das in Zeiten erhöhter Hyperimpedanz. Eigentlich unmöglich. Allerdings hatte Rhodan diesen Begriff bereits vor geraumer Zeit auf seine private Liste überbewerteter Wörter gesetzt. »Könnte es sich um ein Täuschungsmanöver handeln, um uns in Sicherheit zu wiegen?«

»Nicht auszuschließen, aber unwahrscheinlich. Wozu sollte das gut sein? Die Thoogondu befinden sich ohnehin in der Überzahl. Wie könnte es da eine – wenn auch nur trügerische – Sicherheit geben?«

Rhodan wandte sich erneut der Flottenkommandantin zu. »Reicht dir das als Einschätzung?«

»Vollkommen.« Sofort gab sie den Befehl zur erhöhten Alarmbereitschaft an die Flottenschiffe weiter, und das Stimmengewirr im Funk verebbte.

»Allgemeinen Kommunikationskanal öffnen!«, ordnete Rhodan an. »Gleichzeitige Übersetzung ins Gondunin senden.« Bei ihrem Aufenthalt in Sevcooris hatten sie per Hypnoschulung die Sprache der Thoogondu zwar gelernt, dennoch formulierte er seine Botschaft an die Eindringlinge lieber in der Sprache, die auf den eigenen Schiffen verstanden wurde.

Eigentlich stand es nicht ihm zu, Kontakt mit den Pentasphären aufzunehmen, sondern Ruth Dunjana. Immerhin unterstand die im Doppelsternsystem versammelte Flotte der Galaktiker ihrem Kommando. Er hingegen trat von Bord der autonom agierenden RAS TSCHUBAI aus nur als Berater auf. Andererseits hatte er mit exakt diesem Raumer kürzlich in Sevcooris für einige Unruhe gesorgt. Gut möglich also, dass sein Name den Neuankömmlingen ein Begriff war.

Admiralin Dunjana würde es verstehen. Wahrscheinlich. Hoffentlich.

Lit Olwar nickte ihm zu. Sein Signal.

»Hier spricht Perry Rhodan. Ich wende mich an die Kommandanten der Pentasphärenschiffe, die soeben durch den Transmitter gekommen sind. Euer unerwartetes Auftauchen irritiert mich. Wie euch vielleicht bekannt ist, hat mich der Gondu des Goldenen Reiches vor nicht allzu langer Zeit zu sich gebeten, um ein Bündnis zwischen unseren Sternenreichen vorzuschlagen. Eine Einladung, der ich gerne gefolgt bin, wenngleich es in der Folge leider zu einigen Misstönen kam.

Sollte es sich um einen Gegenbesuch handeln, freue ich mich sehr darüber, kann allerdings weder die Größe noch das aggressive Auftreten der Empfangs- oder Schutzflotte aus Robotschiffen gutheißen.«

Ihm war durchaus bewusst, dass nichts tatsächlich für eine diplomatische Mission der Thoogondu sprach, dennoch wollte Rhodan den Besuchern diese Möglichkeit zumindest anbieten.

Eine Antwort blieb aus. Stattdessen brachen die Neuankömmlinge aus der Dreiecksformation aus, die sie bisher eingenommen hatten, und reihten sich in voller Pracht nebeneinander mit nur wenigen Kilometern Abstand auf. Sie wirkten wie eine an zwei Stellen unterbrochene Perlenkette, präsentierten der Flotte der Galaktiker also die Breitseiten.

Cascard Holonder, der ertrusische Kommandant der RAS TSCHUBAI, stellte sich neben Perry Rhodan auf dem COMMAND-Podest und betrachtete die gondischen Schiffe in der Hauptholokugel. »Was tun sie da?«

Gucky, der wie Sichu Dorksteiger bisher geschwiegen und das Schauspiel beobachtet hatte, verschränkte die Arme vor der Brust. »Das kann ich dir sagen: Sie nerven mich!«

Rhodan achtete nicht auf den Zwischenruf. »Ich weiß es nicht. Sieht aus, als würden sie uns die größtmögliche Angriffsfläche darbieten. Vielleicht ein Zeichen der ... Unterwürfigkeit?«

Kein allzu treffender Begriff im Zusammenhang mit den Thoogondu, wie er sie bisher kennengelernt hatte. Dennoch erinnerte ihn die Formation an ein Tier, das dem Gegner freiwillig die ungeschützte Flanke zuwandte.

Merkwürdig.

Womöglich interpretierte er das Verhalten auch falsch, und in Wirklichkeit handelte es sich um ein Manöver wie bei Meeresschiffen aus den uralten Seefahrerfilmen. Piratenschiffen beispielsweise. Wenn nun über die kompletten Breitseiten Luken aufklappten und gusseiserne Kanonen erschienen ...

»Es kommt mir eher vor wie ein Belauern«, widersprach Holonder. »Oder eine Provokation, die uns zum ersten Schuss verleiten soll. Oder ein Zeichen der Überheblichkeit: Seht her, wir machen es euch besonders einfach. Trotzdem werdet ihr keine Chance gegen uns haben. Versteh einer diese Kerle.«

»Damit wäre uns in der Tat weitergeholfen.«

Der Ertruser hielt die Arme vor dem massiven Brustkorb verschränkt, doch die linke Hand zuckte leicht hin und her. Säße er gerade in einer Besprechung an einem Tisch, würde sie wohl eine Art Eigenleben entwickeln und wie von selbst rätselhafte Szenen oder Slapstick-Situationen auf ein Papier zeichnen. »Ehrlich gesagt leuchtet mir das alles kein bisschen ein.«

»Was genau?«

»Die Robotschiffe, der Transmitter, die gesamte Lage. Und vor allem die Zusammenhänge. Die Schweigsamen Werften und die Station im Doppelstern existieren seit Tausenden Jahren. Dieser eine Moment, die Rückkehr in die Milchstraße, ist von langer Hand vorbereitet, vielleicht sogar schon, seit ES die Kerle rausgeschmissen hat.«

Rhodan nickte. Er dachte daran zurück, wie Narashim, der Herrscher des Goldenen Reiches, ihn vor einigen Monaten als Erinnerungsgast in die Vergangenheit geführt hatte. Hin zu dem Augenblick der Verbannung aus der Milchstraße – Poshcooris, wie die Thoogondu die Galaxis nannten. Ihr Begriff für Unter Cooris, ein Name, der darauf anspielte, dass das Volk ursprünglich aus Cooris stammte, der Canis-Major-Kleingalaxis in Milchstraßennähe.

Die Ausweisung stellte eine Strafe der Superintelligenz dar, deren Lieblingsvolk die Thoogondu nach eigenem Bekunden bis zu diesem Moment gewesen waren: ES. Oder, um im gondischen Sprachgebrauch zu bleiben: der Wanderer.

Soweit Rhodan wusste, war das alles nur wegen eines verhältnismäßig geringen Vergehens geschehen: Weil die Thoogondu in dem von ES Untersagten Sternenkreis herumgeschnüffelt hatten, in dem nicht zuletzt das Solsystem lag.

Deswegen fühlten sich die Thoogondu ungerecht behandelt und entwickelten bei gleichzeitiger Furcht einen tiefen Hass auf ihren ehemaligen Schutzherrn. Und so schwor Tothoolar, dessen Erinnerungen der Gondu Rhodan hatte miterleben lassen, einen Eid: »Eines fernen Tages, sobald Cooris und Poshcooris frei vom Wanderer sind, werden wir zurückkehren! Dies wird mein, des Gondus, Auftrag sein ... und der Auftrag jedes kommenden Gondus fortan!«

Vermutlich erfolgte die Evakuierung nicht von einem Tag auf den anderen, sondern nahm eine enorme Zeitspanne in Anspruch. War den Thoogondu bei der Vertreibung etwa Zeit genug geblieben, um die spätere Rückkehr vorzubereiten, um Werften zu bauen und Transmitter zu konstruieren? Denkbar. Vielleicht hatten die Thoogondu sich aber auch in Geheimmissionen als kleine Grüppchen immer wieder in die Milchstraße gewagt, um an dem ersehnten Projekt weiterzuarbeiten. Womöglich weit bevor die Menschheit ins All aufgebrochen oder auch nur auf die Idee gekommen war, Ackerbau und Viehzucht zu betreiben.

Lange hatten die Thoogondu darauf warten müssen, dass ihr Feind Poshcooris verließ, vielleicht um ein Vielfaches länger als erhofft, doch nun, da es geschehen war, aktivierten sie die alten Anlagen und leiteten alles Nötige für die Rückkehr in die Wege.

Etwas, gegen das Perry Rhodan prinzipiell nichts einzuwenden hatte, solange es auf friedlichem Wege geschah, mit einer harmonischen Koexistenz in der Milchstraße endete und nicht mit der Vertreibung, Bekämpfung oder Auslöschung anderer Völker einherging. Denn dagegen würde er sich mit allen Mitteln – falls unumgänglich auch kriegerischen – zur Wehr setzen.

»Ich weiß nicht, worauf du hinauswillst«, sagte er. »Mir erscheint das Vorgehen der Thoogondu folgerichtig. Unschön, aber folgerichtig.«

Holonder nickte und deutete in Richtung des Holos. »O ja, das da sehe ich genauso. Aber wenn eine Invasion schon so lange vorbereitet und vorgesehen war, wieso haben sie dich überhaupt nach Sevcooris gebeten? Oder gelockt, um es treffender zu sagen. Weshalb hat dir der Gondu ein Bündnis vorgeschlagen, wenn sich mit der GORATSCHIN längst ein von Thoogondu beeinflusstes gäonisches Schiff in der Milchstraße aufhielt, um Quinto-Center anzugreifen? Weshalb sollte er dir erst die Möglichkeit geben, die Hintergründe über die Thoogondu herauszufinden, anstatt einfach überraschend loszuschlagen? Das ist es, was ich nicht verstehe.«

Rhodan dachte kurz nach, während sich die drei Pentasphären langsam auf die Robotflotte zuschoben. Was führten sie im Schilde?

Er musste sich eingestehen, dass er die Ereignisse der letzten Monate bisher nie auf Holonders Weise betrachtet hatte. »Dafür fallen mir eine ganze Reihe von Motiven ein. Vielleicht wollten sie die RAS TSCHUBAI und mich weit weg wissen, weil sie glaubten, dadurch leichteres Spiel zu haben. Erinnere dich an die Attacken der Schutzgeister oder an das Verbrechen, das man Vogel Ziellos und Ben Jello in die Schuhe geschoben hat. Oder an das Attentat auf das Double des Gondus, während zufälligerweise wir vor Ort waren. Womöglich hofften sie, uns auf eigenem Gebiet einfacher aus dem Weg schaffen zu können.

Zweite Möglichkeit: Der Garant wollte tatsächlich ein Bündnis mit uns eingehen, allerdings zu seinen Bedingungen und auf einem Weg, der in Sevcooris allzu oft eingeschlagen wurde: mit den Thoogondu als Schutzmacht, zu der wir voller Ehrfurcht aufschauen, weil sie die Geschichte und die Erinnerungen der verbündeten Völker verändert haben.

Und als der Gondu feststellte, dass das mit uns nicht zu machen ist und wir im Gegenteil sogar das Treiben seines Volkes in Sevcooris aufdeckten, schwenkte er um zum längst vorbereiteten Plan B und befahl den Angriff.

Oder drittens ...«

»Eine Nachricht von den Neuankömmlingen«, fiel ihm Lit Olwar vom Funk ins Wort.

Endlich! Sofort richtete Rhodan die Aufmerksamkeit erneut auf die drei Pentasphären.

»Allerdings nicht an uns gerichtet«, konkretisierte Olwar. »Also keine Antwort auf deinen Funkspruch.«

»Interkosmo oder Gondunin?«, fragte Rhodan.

»Gondunin.«

»Übersetzen und an unsere Schiffe übermitteln!«, befahl Holonder.

Gleich darauf erklang eine Stimme in der Zentrale, die Rhodan nicht auf Anhieb als männlich oder weiblich einordnen konnte.

»Hier spricht Puorengir von der TAYLITTIR«, sagte sie, offenbar an die Adresse der Robotschiffe gerichtet. »Gonda Puorengir, die Garantin des Gondunats, die Anführerin aller Thoogondu. Hiermit übernehme ich den Oberbefehl über die Flotte aus den Schweigsamen Werften.«

2.

Ein Ruf, dem man sich nicht widersetzt

 

Der Gondu über das Goldene Reich ist eine vielbeschäftigte Person. Er muss regieren, repräsentieren, beliebte wie unbeliebte Entscheidungen treffen, Urteile fällen, kluge Reden halten, von einer Paladischen Welt zur nächsten reisen, würdevoll in die Menge winken. Beinahe 80.000 Sonnensysteme unterstehen der Regentschaft des Garanten. Das ist nichts, was man mal so nebenbei erledigt. Da bleibt nicht viel Zeit für die Familie.

Obwohl die Vorgänger meines Vaters es ja womöglich anders gehalten haben. Vielleicht widmeten sie sich ihrem Ehepartner und ihren Kindern mit der gleichen Hingabe wie dem Reich. Oder sogar mit größerer. Ich weiß es nicht. Falls es so war, nahm sie sich mein Vater jedenfalls nicht zum Vorbild. Manchmal vergingen Jahre, in denen ihn mein Bruder und ich nicht zu Gesicht bekamen.

Du fragst nach unserer Mutter? Oh, sie spielt in dieser Geschichte keine Rolle. Sie starb, als Puoshoor und ich gerade einmal zehn Jahre alt waren. Das muss genügen. Oder nein, um dir ein besseres Verständnis für meine Herkunft zu geben, sollte ich womöglich doch eines erwähnen: Das Verhältnis zu ihr zeichnete sich dadurch aus, dass es nicht existierte. Zumindest kann ich mich nicht daran erinnern, denn die Zeit mit ihr endete bereits ein Jahr nach unserer Geburt.

Ein Jahr.

Mehr gestand ihr der Gondu nicht zu, obwohl er sich damit großzügiger zeigte als andere Herrscher vor ihm. Melasheema, so hieß sie, war nicht etwa die Frau oder Geliebte meines Vaters, sondern eine Pflichtgeehrte – was Puoshoor und mich wohl zu Produkten der Notwendigkeit macht anstatt zu Kindern der Zuneigung. Zu Sprösslingen von Narashims Verantwortung gegenüber dem Goldenen Reich.

Ormahaal, der damalige Ghuogondu und biologisch betrachtet unser Halbbruder, stand zwar in der Blüte des Lebens, allerdings war er zu diesem Zeitpunkt der einzige lebende Abkömmling des Gondus. Was, wenn er überraschend stürbe? Wer wollte dann das Amt des designierten Nachfolgers auf den Thron übernehmen? Jemand, der nicht Narashims Blut in sich trug?

Eine solche Vorstellung gefiel Vater offenbar nicht, also wählte er aus einer Reihe von immerhin freiwilligen Kandidatinnen Melasheema aus und ehrte sie mit der Pflicht, seine Kinder zu empfangen. Er entlohnte sie mit einem Landsitz auf einer der Paladischen Welten und billigte ihr ein Jahr echter Zeit mit uns zu.

Nicht dass sie etwas davon gehabt hätte, denn als nach Fristablauf die Tutoren kamen, um uns abzuholen und der höfischen Erziehung zuzuführen, nahmen sie nicht nur Puoshoor und mich mit, sondern auch sämtliche Erinnerungen an uns. Eine unumgängliche Sicherheitsvorkehrung. Zwar werden als Pflichtgeehrte seit jeher nur treue Anhängerinnen des Gondunats ausgewählt, die ihren Leib mit Freude und aus voller Überzeugung der Erhaltung der Erbfolge zur Verfügung stellen.

Doch wer kann voraussehen, welche Gefühle für ihre Kinder oder welchen Ehrgeiz eine Mutter plötzlich entwickelt? Beispielsweise könnte sie versuchen, ihrem Sohn auf den Thron zu verhelfen, indem sie das Ableben des Garanten eigenhändig um einige Hundert Jahre vorzieht. So war es mit dem fünft- oder sechstletzten Gondu geschehen. Seitdem wird dieses Risiko von vornherein ausgeschaltet.

Melasheema durfte lediglich wählen, ob sie uns ersatzlos vergessen wollte oder ob andere Kinder, andere Geschichten, unseren Platz einnehmen sollten. Als glühende Anhängerin meines Vaters entschied sie sich für Letzteres. Ihr war bewusst, dass ihre erfundene Lebensgeschichte keinen lebenden Abkömmling enthalten konnte, nach dem sie womöglich gesucht hätte. Also schenkten ihr die Mnemokonstrukteure einen Sohn, der acht Jahre zuvor angeblich im Kampf für das Gondunat und gegen die Terroristen der Vranoo ba'Drant ums Leben gekommen war. Weit genug in der Vergangenheit, dass sie nicht mehr um ihn trauerte, sondern mit Stolz an ihn zurückdachte.