Vorwort

Es geht mir weniger um die „große“ Geschichte, die man bei Historikern nachlesen kann, als um die „kleine“ Geschichte, um das Schicksal der unzähligen Einzelnen, von denen ich einer war, kurz, es geht mir um meine Geschichte auf dem Hintergrunde der „großen“ Geschichte. Sollte beim Leser der Eindruck entstehen, dass ich die schweren Dinge zu leicht genommen habe, soll er wissen, dass ich, auch in den schwersten Situationen, meine mir vom Schicksal zugedachte Natur nicht habe verleugnen können.

Baden-Baden, im Februar 2013
Günther F. Klümper

Impressum

Günther F. Klümper:

Nach Ostland wollen wir reiten ... – Erinnerungen eines Soldaten 1941 – 1946

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Alle Fotos: Privat-Archiv Günther F. Klümper

Lektorat: Gereon Wiesehöfer

ISBN 9783954570805

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Günther F. Klümper

Nach Ostland wollen wir reiten ...

Erinnerungen eines Soldaten 1941 - 1946

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Günther F. Klümper

Nach Ostland wollen
wir reiten ...

Erinnerungen eines Soldaten 1941 - 1946

AQUENSIS
Menschen

Inhaltsverzeichnis

Titel

Impressum

Zum Autor und Buch

Vorwort

Truppenübungsplatz Döberitz – Grundausbildung

Hansestadt Lübeck

Munsterlager

Gasmaskenappell

Köln

Wanzen

Übungsschießen

Es wird ernst

Abschleppseilklau

Stuka

Lausige Zeiten

Die Feldküche

Der 2-cm-Flakvierling 38 (Waffenkunde)

Dikanka

Führerschein

Unteroffizierslehrgang

Heimaturlaub

Die Schlacht am Kursker Bogen

Weihnachten

Jassy

Stille vor dem Sturm

Schaulen

Völkerwanderung

Offiziersanwärter

Das Ende

Heimkehr

Auf nach Westen

Wieder daheim

Sommer 1945

Sommer 1946

Truppenübungsplatz Döberitz – Grundausbildung

Endlich kam auch für mich die lang ersehnte Zeit, da man mir eine Erkennungsmarke um den Hals hing. Ich bekam einen Gestellungsbefehl mit der Aufforderung, mich zu einem allgemein bekannten Truppenübungsplatz in Marsch zu setzen. Von Jugend auf an das Marschieren in einer gleichgeschalteten Kolonne gewöhnt, nahm ich leichten, ja beschwingten Herzens Abschied von meinen Eltern und jüngeren Geschwistern, die nicht einmal sonderlich traurig waren, sondern eher stolz auf ihren zukünftigen Helden. Bevor ich jedoch zu Heldentaten zugelassen wurde, gab man mir zu bedenken, dass ich zunächst eine militärische Grundausbildung durchlaufen müsse. Dumm und schwer von Begriff, wie ich nun einmal noch auf dem Gebiet der Wehrertüchtigung war, musste ich mehrmals am Tage auf Geheiß eines Ausbilders im Range eines Unteroffiziers oder Feldwebels etwa hundert Meter weit laufen, mich umdrehen und laut und für schwerhörige Befehlshaberohren vernehmlich rufen: „Ich bin eine Leuchte der Wissenschaft und ein Stern am militärischen Himmel.“

Wohl wissend, dass ich ein Abiturient war und somit schon mein Licht für die Wissenschaft auf Sekundarschulniveau hatte leuchten lassen, schien mir die erste Hälfte des Auftrags gerechtfertigt. Mir aber zu prophezeien, dass mein Stern einmal am militärischen Himmel aufgehen würde, bereitete mir ein gewisses Unbehagen, das ich mir in diesem frühen Stadium meiner militärischen Laufbahn noch nicht zu erklären wusste. Da der oberste Feldherr und Urheber dieses Spektakels einen Blitzkrieg angesagt hatte, würde ich wohl kaum noch zum Zuge kommen.

Nach einem mit Drill ausgefüllten Tag, der im entsprechenden Outfit, einem ausgewaschenen, schmutzig weißen Drillichzeug mannhaft zu durchstehen war, ließ ich mich nach einem frugalen Mahl erschöpft in meine Koje fallen, um neue Kräfte – na wofür wohl? – für neue Schikanen zu sammeln.

Als Rekrut

Mit einem herablassenden, mitleidigen Lächeln quittierten zwei Mitbewohner, die die spartanische Behausung mit uns Rekruten teilten, unser Gehabe. Sie gehörten als Kraftfahrer zum Stammpersonal, während ich und meinesgleichen gewissermaßen nur auf der Durchreise waren. Sie gaben uns gut gemeinte Ratschläge, wie man sich vor dem Drill drücken, wie man an eine zusätzliche Verpflegungsration herankommen, wo man kontaktfreudige Frauen treffen, wo man seine Freizeit angenehm verbringen könne usf. Während sie ihr Wissen an uns unerfahrene Spunde austeilten, gingen sie nackt vor uns auf und ab, damit wir uns an ihren gestählten, braun gebrannten Körpern weiden konnten. Auf meine Frage: „Wo kann man hier in der Nähe schwimmen und sonnenbaden?“, nannten sie uns einen See, an dem es schöne Sandstrände gäbe. Auf dem Weg dorthin käme man an Gartenlokalen vorbei, wo man sich mit einem kühlen Hellen vom Fass erfrischen könne.

Es begab sich im Wonnemonat Mai – der große vaterländische Blitzkrieg ging bereits in sein zweites Lebensjahr –, dass ich mich mit zwei ebenfalls sonnenhungrigen Kameraden auf den Weg zum Wannsee machte. Mit Schwimmen und Ausruhen im warmen Sand vergingen die Stunden wie im Fluge. Übermüdet vom Exerzieren und den Gefechtsübungen, die von der Front zurückgekehrte Veteranen uns vorgeführt hatten, überkam uns schließlich ein wohltuender Schlummer, aus dem wir erst erwachten, als die kühle Abendluft uns daran mahnte, dass es Zeit sei, in die Geborgenheit der Kaserne zurückzukehren. Rot wie Krebse schlichen wir uns Hilfe heischend zum Krankenrevier, wo ein entsetzter Sanitäter uns dick eincremte und in Windeln verpackte. Dann wurden wir ins Lazarett verfrachtet, wo die Verpackung behutsam abgenommen wurde. Stellenweise trat das blanke Fleisch zutage. Als die Schmerzen schier unerträglich wurden, konnten wir nur noch mit Morphium beruhigt werden. Schlimmer noch war, dass der Lagerkommandant uns damit drohte, er wolle uns wegen Selbstverstümmelung vor ein Kriegsgericht stellen lassen. Welch ein Missverständnis! Wir hatten uns doch nicht freiwillig zum Wehrdienst gemeldet, um uns durch einen Sonnenbrand vor dem Fronteinsatz zu drücken! Unsere Argumente wurden schließlich als glaubhaft anerkannt, sodass wir dieses Mal noch mit dem Leben davonkamen.

Nach der Entlassung aus dem Lazarett, wieder hellhäutig und ausbildungsfähig, gab man mir erneut Gelegenheit, jede Bodenvertiefung des Truppenübungsplatzes mit meinem Körper auszumessen, um zu testen, welchen Schutz sie vor den Blicken eines imaginären Feindes gewährten.

Damals bekam ich eine vage Vorstellung davon, wie unermesslich groß so ein Truppenübungsplatz ist. Inzwischen habe ich mich bei zuverlässigen Medien sachkundig gemacht und erfahren, dass das am Stadtrand unserer Reichshauptstadt gelegene Gebiet 3.442 ha groß war. Als mir so recht bewusst wurde, was es heißt, mit einer Körpergröße von nur 1,78 Metern als Längenmaß ein solch riesiges Gelände in nur knapp sechs Monaten abzüglich der Sonnenbrandphase vermessen zu haben, wurde mir hoch zumute.

Hansestadt Lübeck

Nachdem ich außer hinlegen und wieder aufstehen noch andere Fähigkeiten wie das Zerlegen des Karabiners 98k in seine unzähligen Einzelteile, die jeden Tag gereinigt und danach eingeölt sein wollten, verinnerlicht hatte, sodass ich alle Teile auf Verlangen eines Ausbilders beim Namen nennen konnte, wurde ich an einer Fliegerabwehrkanone ausgebildet, die, um die Treffsicherheit zu erhöhen, mit vier Rohren ausgestattet war, weshalb man sie auch kurz einen „Vierling“ nannte.

Als man mich für ausgebildet genug hielt, um das von allen Seiten bedrohte Vaterland zu verteidigen, schickte man mich in eine schöne altdeutsche Stadt, in der es außer Marzipan noch mittelalterliche Tore und Kirchen gab, um selbige gegen Luftangriffe aus dem perfiden Albion zu verteidigen. Dieses hatte es weniger auf die Stadt abgesehen als auf eine Munitionsfabrik, die am Stadtrand und Ufer eines Flüsschens lag, das sich unweit davon in einer Meeresbucht verlor. Mein Bedürfnis nach Geselligkeit wurde reichlich durch meine Zugehörigkeit zu einer Geschützmannschaft von etwa zehn Individuen befriedigt. Mein Bedürfnis nach einem meditativen Alleinsein befriedigte ich einmal dadurch, dass ich meinen „Ausgang“, so nannte man einen Urlaub von wenigen Stunden, am sandigen Ufer der Trave verbrachte. Der Länge nach ausgestreckt, stützte ich mich auf dem rechten Ellenbogen ab, um das abwechslungsreiche Schauspiel der Abenddämmerung zu genießen. Bevor es dunkel wurde, der Mond aber noch nicht aufgegangen war, zogen ein paar Wolkenfetzen langsam an meinem Blick vorüber. Wie beruhigend es doch war, dem leichten Plätschern der flach aufrollenden Wellen zu lauschen! Da war plötzlich ein anderes Geräusch, ein kaum vernehmbares Klipp-Klapp. Es kam von der belaubten Böschung oberhalb meines Lagerplatzes. Die Vorsicht, oder mehr noch die Neugier trieb mich, der Ursache des Geklappers nachzugehen. Ein schwacher Lichtschein lenkte meine durch das Gestrüpp tastenden Schritte zu einem Bretterverschlag. Durch einen dünnen Spalt sah ich eine Gestalt an einem Tisch sitzen und essen. „Darf man?“, fragte ich mit ruhiger Stimme, um den Bewohner dieser offensichtlich als Notunterkunft gedachten Behausung nicht zu erschrecken. „Was wollen Sie?“, war die barsche Gegenfrage. Ich sagte, dass ich rein zufällig hierher gekommen und Angehöriger der Flakbatterie sei, die zum Schutze der Munitionsfabrik in der Nähe Stellung bezogen habe. Ich durfte eintreten und mich auf einen Schemel setzen. Mein Gegenüber war Hilfsarbeiter in der Munitionsfabrik, alleinstehend und schien mir ein rechter Sonderling zu sein. Er hatte eine von ihm gebastelte Wassermühle in das Rinnsal gestellt, um so den Strom für eine herabhängende, trübe Glühbirne zu erzeugen. Er zog, wie er meinte, diese romantische Behausung einer Gemeinschaftsunterkunft in der Fabrik vor. Eine Fischgräte neben einem Brotrest war ein Indiz dafür, dass er die einseitige Kantinenkost durch Angeln zu bereichern versuchte.

Ich konnte ihn nur zu gut verstehen, denn wir Flaksoldaten kannten das Essen der Werkküche nur zu gut. Wir wurden nämlich in der Kantine der Munitionsfabrik verpflegt und konnten uns ein Urteil über den dürftigen Nährgehalt der dort verabreichten Kost erlauben. Wir gingen trotzdem gerne rüber, um nicht immer in unserer Flakstellung hocken zu müssen, und um zur Abwechslung einmal andere Gesichter zu sehen. Besonders hatte die Schar hübscher Baltinnen, die dort als Werkangehörige beköstigt wurden, unsere Aufmerksamkeit erregt. Wir meinten sogar, noch nie so viele hübsche Mädchen beisammen gesehen zu haben. Den Mädchen schien es in der Verbannung nicht schlecht zu gehen, denn sie plauderten beim Essen laut und munter drauflos. Wie gerne wären wir mit ihnen ins Gespräch gekommen! Es war aber der Befehl ergangen, dass wir uns von diesen in der Rüstungsindustrie zwangsverpflichteten Schönen aus hygienischen und aus Gründen der militärischen Geheimhaltung fernzuhalten hätten. Nur mit Blicken konnten wir mit ihnen hin und her flirten. Unser Batteriechef, Leutnant und ehemaliger Pfarrer, pflegte uns mit dem Hinweis, dass es „ausgefahrene Schlitten“ seien, zu warnen.

Bei Lübeck-Schlutup

Die polnischen Kriegsgefangenen, die in einem mit Stacheldraht umzäunten Lager und unter strenger Aufsicht Munition produzierten, bekamen nur eine wässrige Suppe mit ein paar Kohlblättern darin, womit nur wenige von ihnen überleben sollten.

Ich konnte mit meinem Vierling nicht verhindern, dass die Stadt vor meinen Augen in Flammen aufging und dann in Schutt und Asche versank. Von diesem Feuerschein muss ich so geblendet gewesen sein, dass ich vergaß, mir die Schuldfrage zu stellen. Stattdessen verschaffte ich meiner Wut und dem Verlangen nach Rache zähneknirschend Luft. Ich schoss, was das Zeug hielt, und jubelte, wann immer ein schwer beladener britischer Bomber in die Flammen stürzte.

Hatte ich bis dahin geglaubt, dass brennende Kirchtürme in sich zusammenbrechen würden, wurde ich durch den sich mir bietenden schaurig-schönen Anblick eines Besseren belehrt: Wie riesige, brennende Fackeln neigten sich die Türme des Doms und der Marienkirche zur Seite, bevor sie eins mit dem entsetzlichen Inferno ringsum wurden.

Mir blieb es erspart, zu den Aufräumarbeiten in den Trümmern abkommandiert zu werden. Die vom Räumdienst Zurückkehrenden hätten ohne den geistlichen Beistand unseres Batteriechefs von ihrem Trauma über kurz oder lang nicht genesen können. Ein an den Rändern verkohltes Foto, auf dem offensichtlich die Besatzung der Royal-Air-Force-Maschine, die wir meinten abgeschossen zu haben, die Runde machte, stimmte mich nachdenklich. War es nur der Brandgeruch, von dem die Luft in weitem Umkreis geschwängert war, oder die Ahnung eigener Verwundbarkeit, die bei mir einen bitteren Nachgeschmack hinterließ? Das Inferno ringsum ließ uns keine Zeit für philosophische Betrachtungen über Sinn und Unsinn dessen, was man unsere vaterländische Pflicht nannte.

Am Vierling bei Lübeck-Schlutup

Munsterlager

Geradezu erholsam war dagegen die Zeit, die ich auf dem Truppenübungsplatz Munsterlager in der Lüneburger Heide verbringen durfte. Wir waren nicht in einer Kaserne einzementiert, sondern kampierten zunächst mitten in der Heide in kleinen Zelten, aber nur so lange, bis hölzerne Elemente angeliefert wurden, aus welchen wir dann unsere wetterfesten Unterkünfte errichteten.

Es muss ein heißer Sommer gewesen sein. Leicht, nur mit Stiefeln und Badehose bekleidet, hielten wir vergeblich nach schützenswerten Objekten Ausschau. In unserer dienstfreien Zeit durften wir umherschweifen, was ich dazu nutzte, um Heidelbeeren, die es in Hülle und Fülle gab, zu sammeln. Erinnerungen aus der Vorkriegszeit stürmten dabei auf mich ein. Nicht ohne Wehmut dachte ich an meine niederrheinische Heimat und unsere Familienausflüge in ein Waldgelände, wo man Picknicken und gegen ein kleines, beim Förster zu zahlendes Entgelt so viele Heidelbeeren pflücken durfte, wie man wollte. Mit einer großen Familie und unseren jüdischen Freunden, Martin Seligmann und seiner hübschen Frau Sarah, kam da einiges zusammen. Ich erinnerte mich an meine verstohlenen Blicke, wenn Sarahs kurzer Rock immer hochrutschte, wenn sie sich beim Pflücken bückte oder beim Picknick auf die auf den Waldboden ausgebreitete Decke setzte.

Seine Koje auf dem Truppenübungsplatz Munsterlager

Wie damals flogen Myriaden von Stechmücken auf, sobald ich einen Beerenstrauch berührte. Jede auf der Haut zerquetschte Mücke hinterließ einen winzigen roten Punkt. Mir war schleierhaft, wie Hermann Löns dabei noch hat singen können: „Jetzt wolln wir Bickbeern pflücken gehen in den grünen, grünen Wald ...“

Munsterlager existierte schon seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Nachdem das frühere Königreich Hannover 1866 preußische Provinz geworden war, begann das zuständige Kriegsministerium damit, Heide und Moorflächen bei dem bis dahin verschlafenen, unbedeutenden Ort Munster anzukaufen. Im Januar 1917 erteilte dasselbe Ministerium den Befehl zum Aufbau einer Gasmunitionsanstalt auf einem rund 6.500 ha großen Gelände. Mein jetziger Arbeitgeber, die Wehrmacht, hatte 1935 beschlossen, dort Gasbzw. Kampfstoffmunition herstellen zu lassen. Was da unter unseren Füßen vor sich ging, wurde so geheim gehalten, dass selbst wir, die Beschützer des Geheimnisses, nie die Gelegenheit bekamen, einen Blick in diese bedrohliche Unterwelt zu werfen. Wie gerne hätten wir einmal hinter die Kulissen oder unter die Erde geschaut.

Unser Tages- und Nachtablauf war nicht besonders abwechslungsreich. Er erschöpfte sich in einem Einerlei von Schlafen, Wachen, Essen, Geschützreinigen, Exerzieren. Da war jede Abwechslung höchst willkommen! Als sich wieder einmal ein wunderschöner Sommertag ankündigte und ich mich schon auf meine nächste Blaubeerenernte freute, wurde meine Vorfreude jäh getrübt, als der Befehl erging, dass es ab sofort streng verboten sei, die uns umgebende Heide zu betreten. Es kam uns, da es nicht üblich war, einen Befehl infrage zu stellen, nicht in den Sinn, mehr wissen zu wollen.

Da trabte auch schon des Rätsels Lösung heran. Eine Kolonne in Feldgrau gekleideter Hundeführer schwärmte aus und bewegte sich schrittweise vorwärts. Mensch wie Tier, und das war das Verblüffende, trugen eine Gasmaske und Gummistiefel. Haben Sie schon einmal einen Schäferhund mit einer Gasmaske und grünen Stiefelchen an den Pfoten gesehen? Gewiss noch nicht! Ich bis dahin auch nicht. Wie auf ein Kommando blieben die Tiere plötzlich stehen und bellten die Heide an. Sie hatten, was das menschliche Auge für Tautropfen gehalten hatte, als mörderischen Kampfstoff erkannt, der in der Nacht von Flugzeugen abgesprüht worden war.

Gasmaskenappell

Noch eine halbe Stunde, und ich würde endlich abgelöst werden. Das „Wacheschieben“ – zwei Stunden an einem Stück waren das übliche Maß – war nichts als Stumpfsinn! Man konnte sich nicht seinen Gedanken überlassen, ging, um sich die Beine zu vertreten, ein paar Schritte auf und ab, und ... wartete auf Abwechslung, genauer gesagt, auf die Ablösung, die Erlösung.

Es braucht nicht betont zu werden, dass die Gasmaske in dieser Umgebung unser wichtigster Gebrauchsgegenstand war. Sie musste ständig auf ihren guten Sitz und die Zuverlässigkeit ihres wichtigsten Bestandteils, einem Filter, überprüft werden. Zu diesem Zweck marschierten wir in regelmäßigen Abständen in die etwa 300 Meter entfernte Kaserne, wo ein entsprechender Appell abgehalten wurde.

Es war bei einer solchen Zeremonie, dass der Lagerkommandant sich meiner höchstpersönlich annahm. Major C., den man wegen seiner für germanische Verhältnisse fremdartigen Erscheinung auch Hannibal nannte, hatte ein scharf geschnittenes Profil mit einer markanten Adlernase. Er hielt sich kerzengerade, kurz, er war der Prototyp eines Militärs, der keinen Widerspruch duldete.

Er schritt die Reihen ab, prüfte hier und da eigenhändig den Sitz der Masken, ihr blitzschnelles Auf- und Abnehmen, den Filterwechsel. Als ich schon glaubte, die Kontrolle hinter mich gebracht zu haben, stand Major C. wieder vor mir. Er befahl mir, die Maske abzunehmen. Dann fragte er mich nach meinem Namen, meiner Einheit, meinem Alter, fasste mich am Kinn und mein Gesicht prüfend stellte er fest, dass es zwei ungleiche Hälften habe, was mir bis dahin unbekannt war. Bei dieser seltsamen, fast väterlichen Zuwendung wurde mir eigenartig zumute.

Ich scheute mich, mit jemandem über diese für mich neuartige Erfahrung zu sprechen. Ob ich mit meinem Batteriechef, mit dem man vertrauensvoll über vieles reden konnte, darüber sprechen sollte? Worüber denn? Was war denn am Verhalten von Major C. so Besonderes gewesen?

Wenige Tage später schien sich Major C. meiner erinnert zu haben. „Ich soll dich jetzt schon ablösen. Du sollst sofort zum Leutnant kommen!“