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Erdmann Graeser

Berlin WW

SAGA Egmont




Die feine Gegend

Frau Lemke hatte ihren Schwiegersohn „ein bißchen für verrückt“ gehalten, als er damals darauf bestanden, daß seine Wohnung „draußen am Kurfürstendamm“ liegen müsse.

„Mir brächten keene zehn Ferde dahin“, hatte sie gesagt, „nich bejraben möchte ick da sind, wenn die modernen Häusakins ooch noch so scheen sind, und der sojenannte Komfohr — det is doch man bloß Falle. In een, zwee Jahre, wenn erst noch ’n paar Mieta drinnen sind, steijert eich der Wirt — denn könnt ihr det Zehnfache for det bisken Warmwassa und die Zentralheizung berappen.“

Frau Lemke hatte tauben Ohren gepredigt, weder Hans Zillmann noch Lieschen gaben etwas auf diese Prophezeiungen, ja — die Tochter hatte ihre Mutter sogar für „rückständig“ erklärt.

„Allet, wat ’n bißken wat is, zieht doch jetz da ’raus“, hatte Lieschen gesagt, „Hans versteht das besser — die Jejend, det is die Zukunftsjejend!“

„Keen Bäcka — keen Schlächta — nischt is da!“

„Det schicken eenen doch die Liefranten allet in’t Haus!“

„Na — wie ihr wollt, wenn ihr man jlicklich seid“, hatte Frau Lemke schließlich gesagt. — — —

„Wild-West“, wie damals noch das neue Viertel genannt worden war, hatte sich dann überraschend schnell in „Berlin WW“ verwandelt. Da und dort zwischen den Prachtpalästen des Kurfürstendammes gab es ja noch immer freies Terrain, auf dem die gelben Butterblumen und die „Käsenäppchen“ wucherten, die Haubenlerchen auf Besuch kamen, nachts verzweifelte Hunde heulten — die Nebenstraßen waren noch immer erst zwei, drei Häuser lang, führten auf freies Feld, wo in Laubenkolonien Kürbisse und Petersilie gezogen wurden, aber die Gegend hatte ihr Renommée, daran war nicht mehr zu rütteln.

Und — eines Tages — las man da und dort über den Ladentüren die Namen alter, angesehener Firmen, die hier Filialen eröffnet hatten, auf den Loggien und Balkonen, hinter der grellroten Pracht der Pelargonien wurden Menschen sichtbar, in den Abendstunden flammte elektrisches Licht auf, hörte man — statt der heulenden Hunde — Chopin und Beethoven spielen. Diener in Khakiuniformen und junge Dienstmädchen mit weißen Häubchen lauschten, vor dem „Nebeneingang“ stehend, dem Spiel ihrer Gebieterinnen und beaufsichtigten dabei hämorrhoidalisch gewordene Hunde — Hunde, die ihrer ganzen Beschaffenheit nach lieber Flöhe hätten werden sollen.

Wie seine Schwester mit ihrem Mann, so war — freilich erst ein paar Jahre später — auch Edwin Lemke mit seiner jungen Frau nach Berlin WW gezogen und schließlich siedelten auch die alten Lemkes in das neue Viertel über, nachdem sie ihr Haus in der Potsdamer Straße vermietet hatten. Daß dieses Geschäft rasch und glatt zustande gekommen, war das Verdienst Onkel Karls gewesen. Natürlich hatten ihn Lemkes bei dem Umzuge mitgenommen und man konnte ihn nun täglich auf dem Reitwege des Kurfürstendammes bewundern, wo er — in braunen Lederhosen, Stulpenstiefeln mit Sporen, den Zylinder etwas im Genick — den Apfelschimmel der Lemkeschen Gummiequipage als Reitpferd zu benutzen versuchte.

„Frieha, als ick noch bei die Injaners uff die nordamerikanischen Prärien war, bin ick uff die wildesten Mustangs ohne Sattel und Zaumzeich jeritten und hab’ se mit eenen Schenkeldruck rejiert — aba man is ja heite ooch nick mehr der Jingste und sonne Luders, wie det Biest hier, waren die Mustangs ooch nich.“

Und dann pflegte er das Pferd persönlich anzureden: „Willste oder willste nich?“ Aber der Apfelschimmel, der Demonstrationen liebte, blieb unbeweglich quer in der Mitte des Reitwegs stehen, wie ein Pferd, das ein für allemal sagen will: „Ich bin zum Ziehen da und nicht zum Reiten und gehe keinen Schritt weiter — basta!“

„Denn akläre ick mir sollidarisch — steh dir meenswegen die Beene in’n Bauch — wollen mal sehen, wer’t am längsten aushält!“

Und zu den Kindern, die sich ansammelten, sagte er: „Macht, det ihr wechkommt — der schlächt hinten aus — und wenn denn eier Kopp ab is, kann ick ihn nich ankitten!“

Gewöhnlich pflegte dann irgendein Kutscher helfend einzugreifen: „Der will wohl nich?“ lautete die Anfrage, während die Peitsche auf den Schimmel wies.

„Wat will er nich — stehen bleiben will er hier“, erklärte Onkel Karl.

Der eine hinten, der andere vorn, suchten sie dann mit vereinten Kräften dem Schimmel erst einmal die richtige Stellung zu geben.

„Nu steich ma’ uff“, hieß es dann zu Onkel Karl, der nach solch gemeinsamen Bemühungen von den Kutschern stets geduzt wurde. Und wenn er dann im Sattel saß und das Pferd noch immer nicht weiter wollte, wurde es mit der Peitsche „gekitzelt“.

So unterhaltsam das auch für alle Zuschauer sein mochte — Onkel Karl hatte nur wenig Freude an diesem plötzlichen Aufbocken des Tieres.

„Laß det Jestekere — mit Jüte areiche ick mehr“, lehnte er deswegen alle weiteren Dienste ab, und wenn dann der Schimmel auf freundliches Zureden und Beklopfen des Halses weiterging, war er ihm dankbar: „Wat, det können wir alle beede nich vatrajen, wenn sich fremde Leute mangmischen — denn jehen wir lieberst wo anders hin, wo uns keener zuseht!“

Hatte dann der Schimmel ein solches ungestörtes Plätzchen gefunden, begann er auch sofort von neuem mit seinen Demonstrationen, manchmal aber erwachte auch der Ehrgeiz in ihm und er ging willig bis zum Hippodrom im Tiergarten.

Dort, wo sich die Reiter unter Führung von Stallmeistern einzufinden pflegten, schloß er sich dann wohl den anderen Gäulen an. Und es war erfreulich zu sehen, wie er nun den Kopf hochwarf und feurig wurde. Willig trabte er wie ein Karusselpferd in der Runde, seufzte zwar ab und zu ein bißchen ironisch, schwenkte aber, wenn es weiterging, mit der Gesellschaft geduldig ab — kurzum, bewies, daß sich Onkel Karl keineswegs getäuscht, wenn er ihm edle Eigenschaften zugetraut hatte.

Hochbeglückt — völlig einig — kehrten sie beide an solchen Tagen zurück und die Ankunft vor dem Hause am Kurfürstendamm wurde stets ein Ereignis, weil der Schimmel — gewohnt, den Wagen hineinzuziehen — nicht eher ins Haus zu bringen war, als bis der Portier beide Türflügel geöffnet hatte.

„Ick weeß nich, Karrel“, pflegte dann, wenn Onkel nachher beim Essen seine Erlebnisse berichtete, Herr Lemke zu sagen — „ick weeß nich, det du dir noch imma so abrakkerst. Ick könnte det janich mehr!“

„Na“, meinte Onkel Karl, „’n bißken Bewegung muß man sich doch machen — ihr seid cchon wieda alle beede for Karlsbad reif, ick treib mir meen ibaflissijet Fett billja ab“.

„Sei nich so kommune, Karrel“, ermahnte Frau Lemke — „du weeßt doch, ick nehm’ rejelmäßig meene Troppen!“ — — —

Heute saß man nach dem Mittagessen in einem der Vorderzimmer und wartete, daß der Kaffee serviert werde.

„Wo bleebt denn nu wieda der Mokka“, sagte Herr Lemke.

„Die Schlachsahne wird noch jedroschen“, tröstete Onkel Karl.

„Jott, dauert det aba lange“, meinte nun auch Frau Lemke, stand auf und besah sich verdrießlich ihren Stuhl.

„Wat is denn?“

„Ick kann nich länga uff den Jugendstilstuhl sitzen, mir schläft allet in — mach dir nitzlich, Karrel, hol’ mir eenen Klubsessel rin!“

„Wat kooft ihr eich ooch son Zeich —“ sagte Onkel, „det is doch man bloß for die Hautewolleh!“

„Det sind wir —“ sagte Frau Lemke.

„So — na, denn derfste dir ooch nich beklajen, die echte Hautewolleh sitzt sojar uff Sehzeßjonsstilstühle.“

„Wie sind denn die?“ erkundigte sich Herr Lemke neugierig.

„Die —“ sagte Onkel, den Klubsessel hereinschleppend — „sind noch kleena und jrien lackiert“.

„Also man bloß een Stitzpunkt —“ meinte Herr Lemke.

„Janz recht“, sagte Onkel, „man piekt ihn sich hinten in und denn blangsiert man!“

„Nu vasteh ick ooch, wa’m det imma Stiehl heeßt —“ sagte Frau Lemke.

„Sehste, man muß sich det nur allens mal klar machen —“ bedeutete ihr Onkel mit einer eleganten Handbewegung — „und nu zähl’ ick bis drei, und wenn denn der Kaffee nich hier uff’n Tisch steht, läute ick den Jong!“

In diesem Augenblick schrillte draußen die elektrische Klingel.

„Jott — wer kann denn det jetz sind“, sagte Frau Lemke.

„Wahrscheinlich wieda eene von deene neie Freindinnen“, sagte Herr Lemke.

„Nee —“ rief Onkel Karl, der auf den Balkon getreten war und hinuntergesehen hatte — „vor die Türe hält ja Zillmann seen Automoppel — et wird Liesken sind!“

Gleich darauf trat sie ein — in schickem Tenniskostüm, das in einer eleganten Schutzhülle steckende Racket unter den Arm geklemmt.

„Tach —“, sagte sie.

„Tach —“ sagten alle, und Onkel setzte freundlich hinzu: „Wo is’n deen Jatterich?“

Die junge Frau beantwortete diese teilnahmsvolle Frage nur durch einen verächtlichen Blick.

„Ich jeh jleich wieder“, sagte sie, sich in den Klubsessel werfend, „ich wollte bloß fragen, Mama, ob du heute abend mit in die Kammerspiele kommst?“

„Nee — die Sticke sind mir da zu jemein —“ sagte Frau Lemke.

„Denn muß ick se mir ooch mal ansehen“, mischte sich Onkel Karl ein, „welchet is det jemeinste?“

„Wa’m jehsten nich mit deen’n Mann?“ warf Herr Lemke dazwischen.

„Hans kann heute nich — er muß in’n Klub“, sagte die junge Frau — „aber ich versteh dich nicht, Mama, mit solchen Ansichten kannste dich doch gräßlich blamieren. Na — adje“ — setzte sie hinzu, während sie aufstand und sich den Rock glatt klopfte.

„Wo wi’sten nu schon wieda hin — bleeb doch noch und trink ’ne Tasse Kaffee mit!“

„Ich muß zu’n five o’clock tea, muß mich doch noch umziehen!“

„Ach so — na denn adje, amüsier dir scheen!“

Und als sie hinaus war, sagte Frau Lemke mit einem nachdenklichen Kopfschütteln: „Sehr jlicklich scheinen die beeden och nich zu sind — da zieht jeda seen’n eijenen Strang!“

„Det konnt’ ick dir vorhersajen“ — bemerkte Onkel Karl, der am Fenster stehend die Abfahrt des Automobils beobachtet hatte. „Det wußte ick schon an’n Hochzeitsabend. Wenn sich eene Braut an ihr Kleid ooch nur een’n Stich selber näht, is se schon varratzt!“

„Se konnte doch nich mit de abjejangene Rüsche loofen, wat hätten der Superndente zu jesagt —“ verteidigte Frau Lemke ihre Tochter.

„Und denn hat se sich ooch keen Jeld in die Schleppe jemacht!“

„Na ja, det is in den Trara dunnemal vajessen worden“ — sagte Frau Lemke.

„Det Schlimmste aba war, det die Kutsche mit det Brautpaar umschwenken mußte, als et nach die Kirche jing —“ sagte Onkel Karl.

Der Hausgeist

Während „Zillmanns“ — welche Kollektivbezeichnung selbst Frau Lemke gebrauchte, wenn sie Schwiegersohn und Tochter meinte — weit draußen, beinahe an der Halenseebrücke wohnten, hatte sich Edwin Lemke mit seiner jungen Frau ganz vorn am Kurfürstendamm niedergelassen.

„Ich muß in der Nähe der Hochbahn sein“, hatte er damals gesagt, „muß jeden Augenblick ins Zentrum flitzen können — für Autos hab’ ich kein Jeld!“

„Die sind sparsam“, pflegte der alte Lemke mit einer gewissen Genugtuung zu sagen: „Edwin hat wat von mir und ooch von Jroßmutta jeerbt!“

„Von mir ooch“ — sagte dann jedesmal Frau Lemke — „det liecht eben d’ran, det ick mit den Jungen zu eene Zeit jejangen bin, wo’t uns noch schlecht jing, wo wir noch in die untairdsche Tante in die Ackerstraße saßen und mit jeden Dreia rechnen mußten“.

„Weeßte — Anna — ob det nich dunnemals scheena war“, seufzte Herr Lemke bei solchen Erinnerungen. „Wenn ick noch mal sonne bequeme Hosen tragen und in Hemdsärmeln jehen könnte …“

Aber seine Frau lehnte diese Verhältnisse ab: „Jott sei Dank, det det hinta uns liecht — manchmal treime ick von: Denn seh ick dir Weißbierpullen uffmachen und mit die blaue Schirze die Bierringe von’n Tisch wischen — nee, danke, ick möchte nich nochmal zurück — wir haben uns redlich abjequält, und wer weeß, in wat for kimmaliche Vahältnisse wir trotzdem leben wirden — wenn uns Jroßvata nich unter die Arme jejriffen hätte!“

„Ja — ja — ja, det war schon ’n Leben, na, ick bin ja ooch froh, dettet allet hinta uns liecht. Aba ick freie mir imma wieda, wenn ick seh, det Edwin sich nu janz aus eijne Kraft wat jeschafft hat und det Jeld nich vapraßt!“ „Wo der Junge doch so’n schwachen Kopp hatte“ — betonte Frau Lemke — „und ihn det Jimnasium so schwer jeworden is …“

„Und wenn er dunnemals nich die Jrete kennen jelernt — wer weeß, wiet denn mit ihn jeworden wär!“ sagte Herr Lemke.

„Ick jlobe ja ooch, er wirde jänzlich vaschludern, uff’n besten Weje war er ja schon, wo er die vielen juten Freinde hatte und imma die Nächte lang wechblieb. Aba det Meechen hat ihn feste an’n Wickel jenommen!“

„Ja — det muß man sie lassen, wer hätte jedacht, wat in det schichtane junge Ding steckt, ’n Mann, der nischt is, will se nich haben, hat se jesacht“ — Herr Lemke lachte vergnügt vor sich hin.

„Na — und nu is er wat“ — sagte Frau Lemke — „und wat Feinet, wattet frieha noch janich jab — Reijongscheff! Ick jeh manchmal hin und seh ihn mir an, wie er in Lackschuhe und mit’n elejanten Rock wie son Jraf dasteht und man bloß mit die Finga winkt oda sich vabeugt!“

„Na dafor kriecht er det Jeld nich — det is bloß Zujabe — die Hauptsache sind doch seene Branschekenntnisse!“ meinte Herr Lemke.

„Wer bestreit’ denn det — will ja keen Mensch deenen Edwin wat rauben“ — sagte Frau Lemke — „eens untaschätzte aba doch, wat von jroße Bedeitung is, denn du wirst dir erinnern, dettet mit Edwin ooch nich so jlatt jejangen is, eh’ er die Stellung kriechte“.

Herr Lemke machte einen Versuch, sich den Zusammenhang zu erklären, gab es aber wieder auf, als er fehl riet: „Du meenst als ihn det kleene Kind starb?“

„Det war der Abschluß“ — sagte Frau Lemke, — „bis dahin jing sie allet vaquer, wat se ooch machten. Aba denn, als Maries Mann jestorben war und sie Tanten bei sich jenommen haben — denn hörtet uff eenmal uff!“

„So?“ sagte Herr Lemke verständnislos.

„Bejreifste noch immer nich? Jott, Willem, et wird ja imma schlimma mit deen’n Kopp. Manchmal denk ick, et liecht bloß dran, dette ’n bißken schwer hörst, aba det is’s nich!“

„Laß doch meenen Kopp zufrieden“, sagte Herr Lemke, „der reicht noch alle Tage forn Hausjebrauch aus. Also — wat meenste denn vorhin?“

„Seh ma’ — Tante Marie hat imma ’n bißken wat Ibasinnlichet jehabt — mit die Traumbiecha und det Kartenlejen …“

„Nu weeß ick schon“, unterbrach Herr Lemke, „du meenst die Selje?“

„Lemkes selje Witwe meene ick“, sagte Frau Lemke nachdrücklich. „Bei uns merken wir nischt mehr von sie — aber bei Edwin jeht sie in und aus!“

„Det is doch janz anners zu verstehen“ — sagte Herr Lemke.

„Woso?“ fragte seine Frau, ihn völlig fassungslos anstarrend.

„Seeh’ste, Anna“, sagte Herr Lemke, „du hast mir imma for dumm jehalten, ick bin’t aba nich. Ick hab mir die Sache jrindlich klar jemacht und nu weeß ick’s: Lemkens selje Witwe — meene Urjroßmutter — det is sozusagen der olle jute Jeist, der in uns Lemkes drinne jestochen hat und der in Edwin und seene Frau wieda uffjewacht is. Von uns is er jewichen und von Liesken will die Selje ooch nischt wissen, aba von Edwin. Und Tante Marie, die uns dunnemals uffjenommen, als wir noch nischt hatten und nischt waren — die hat die Selje beschworen!“

„Willem, sei bloß nich so fisjonehr“, sagte Frau Lemke, „ick ängstje mir denn imma so um dir!“


Am Nachmittag, als Herr Lemke wie gewöhnlich schlief, suchte seine Frau Tante Marie auf. Das alte Frauchen, das jetzt ein schwarzes Seidenkleid, einen falschen Scheitel und — statt der verstaubten Taftschleife — ein hübsches Spitzenhäubchen trug, saß wie gewöhnlich am Fenster im Sonnenschein und ließ ihr welkes, runzliches Gesichtchen bestrahlen.

„Ach Jott“ — sagte Frau Lemke — „nu ha’icks doch wieda vajessen, Tante, ick wollte dir ja meen’n Faltenjlätter mitbringen!“

„Häh?“ machte Tante, die zu ihrem alten Rheumatismus noch eine periodisch auftretende Schwerhörigkeit bekommen hatte. „Du mußt lauta sprechen ick hör’ heit wieda schwer!“

„Fal—ten—jlätta!“ schrie ihr Frau Lemke in die Ohren.

„Meen Jott, die is heit wieda janz taub“ — sagte Frau Lemke, laut vor sich hinsprechend. Und ihre Lungenkraft zusammennehmend, schrie sie ihr noch einmal in die Ohren:

„Ick meene meen’n Massierapparat, da knudelt man sich in’t Jesichte mit rum, wie mit son Plätteisen, denn jehen die Falten weg!“

Da Frau Lemke ihre Worte durch entsprechende Handbewegungen unterstützt und deutlicher zu machen versucht hatte, gelangte Tante Marie zu der Annahme, daß sie irgendwo im Gesicht etwas Schwarzes habe, wischte deshalb mit dem Taschentuch eifrig Backen, Nase und Stirn und besah sich dann das Tuch in der Erwartung, das Schwarze darauf wiederzufinden.

„Nee is ja nischt — laß man!“ schrie Frau Lemke.

„Jieb mir mal die Horchtute“ — sagte Tante Marie, auf das Höhrrohr weisend, das auf dem Nachttisch lag.

„Nu nimmt se wieda die vaflixte Trompete, wo se en’n imma mit an die Backen stößt, wenn man sie wat sagen will“, murrte Frau Lemke.

Wenn sich die Konversation nun auch etwas schmerzhaft gestaltete, so machte sie doch jetzt wenigstens Fortschritte. Der Besuch erfuhr, daß „Jrete“ — Edwins Frau — bald wiederkommen müsse, daß man Kalbsfilet mit Rührkartoffeln, gedämpfte Kirschen und Flammeri zu Mittag gehabt und daß das Dienstmädchen in der Nacht heimlich in die Speisekammer gegangen und eine halbe Leberwurst gegessen habe.

„Denn haltet ihr se zu knapp“ — sagte Frau Lemke.