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THOMAS FUCHS

Amsterdam

ABSEITS DER PFADE

Eine etwas andere Reise durch die Stadt, die viel mehr zu bieten hat als Spaß, Spliffs und Spinoza

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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1. Auflage 2017

Fotos: © Thomas Fuchs

ISBN E-Book: 978-3-99100-212-3

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Inhalt

Annäherung

Centrum

Oost

West

Noord

Zuid

Abschied

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Ein Bild von Amsterdam, wie es viele kennen. Aber es gibt viel mehr zu entdecken.

Annäherung

Wer ein Buch über Amsterdam schreibt, muss sich Fragen gefallen lassen. Als da wären:

Warum noch ein Buch über Amsterdam?

Was ist das Besondere an diesem Buch?

Und: Was hast du mitgebracht?

Fragen wie diese sind nur allzu berechtigt. Und ich denke, es ist am besten, wenn ich sie in ihrer Reihenfolge beantworte.

Egal, ob in Buchhandlungen, an Bahnhöfen oder Flughäfen, es lässt sich schwerlich übersehen, dass es schon einige Bücher über Amsterdam gibt. Und wenn man kein Zyniker ist, kann man davon ausgehen, dass die meisten geschrieben wurden, weil den Autoren das Thema am Herzen lag und sie der Meinung waren, sie hätten etwas dazu zu sagen. Aus Erfahrung kann ich sagen, dass es viele Bücher zum Thema Amsterdam gibt, die brauchbare Informationen enthalten. Es wird die eine oder andere Publikation geben, die aus Trittbrettfahrerei oder Wichtigtuerei verfasst wurde, aber viele sind völlig okay.

Insofern ist die erste Frage berechtigt. Man könnte sie sogar noch weiter zuspitzen. Braucht man überhaupt ein Buch über Amsterdam? Findet man heutzutage nicht alle Informationen im Internet? Lässt sich Amsterdam nicht einfach durch seine statistischen Kerndaten beschreiben?

Versuchen wir’s:

Amsterdam hat 834.713 Einwohner. In der Stadt leben mehr als 180 Nationalitäten. Es gibt 881.000 Fahrräder. 220.000 Bäume. Neun Fähren, 165 Grachten. 1.281 Brücken. 2.500 Wohnboote. 302 Denkmäler. Acht Windmühlen. 18 Kinos. 8.863 Baudenkmäler und 38 Märkte.

Ich könnte noch stundenlang so weitermachen. Und genauso wie es Männer gibt, die glauben, alles über eine Frau zu wissen, wenn sie 90-60-90 hören, gibt es vielleicht sogar Leute, denen dieser Zahlensalat reicht. Und Zahlenmystiker werden bemerken, dass in den Statistiken über Amsterdam erstaunlich oft die Zahl Acht vorkommt und daraus ihre wie auch immer gearteten Schlüsse ziehen.

Daten sind einfach nur Daten, Rohmaterial. Nichts wert ohne Einordnung und Wertung und das ist der Job der Bücher zum Thema. Sie alle helfen, sich ein Bild zu machen.

Aber was für ein Bild?

Geschichtlich gesehen kann man Amsterdam in groben Zügen so beschreiben. Die Stadt erhielt 1306 das Stadtrecht. Am Anfang war sie nicht viel mehr als ein Damm über den Fluss Amstel (daher der Name) und eine Zollschranke für Hamburger Bier. Der Aufstieg begann im 16. Jahrhundert, als die Spanier den Hafen von Antwerpen schlossen und die Diamantschleifer vertrieben. Die Vertreibung geschah aus religiösen Gründen, worum man sich in Amsterdam einen feuchten Kehricht scherte, was die Stadt zur Boomtown machte und ihr im 17. Jahrhundert einen einzigarten Aufschwung bescherte.

Aus diesen Ereignissen leitet sich das Selbstbild ab, das viele eingefleischte Amsterdamer von sich haben. Wach, pfiffig, immer ein offenes Auge für gute Gelegenheiten und bei der Lösung von Problemen auf Nüchternheit und Pragmatismus bedacht, eine leichte Neigung zur Anarchie nicht ausgeschlossen.

Außerdem sieht man sich als frei und unabhängig. Amsterdam hatte nie einen König oder Bischof, der über die Stadt bestimmen konnte. Als es vor Jahrhunderten mal einer versuchte, holte er sich eine blutige Nase. In den 1990er-Jahren wurden bei Bauarbeiten Mauern entdeckt, die auf den ersten Blick wie Teile eines Schlosses aussahen. Da war ganz schön was los. Denn wenn es in Amsterdam ein Schloss gab, dann muss es auch irgendwann mal einen Schlossherren gegeben haben. Zum Glück mehrten sich dann die Anzeichen, dass es sich bei den alten Steinen um Teile der Befestigungsmauer handelte.

Der durchschnittliche Amsterdamer ist nicht nur insgeheim der Meinung, in der coolsten Stadt der Welt zu leben, was ihn aber nicht davon abhält, bei jeder Gelegenheit herumzunörgeln. Und wieder andere verlassen die Stadt, sobald sie es sich leisten können und machen dadurch den Platz frei für Glückssucher, für die Amsterdam immer noch der große Sehnsuchtsort ist.

Die Landsleute im Rest der Niederlande sehen mit einer Mischung aus Bewunderung und Skepsis auf die Stadt. Einerseits verkörpert Amsterdam pars pro toto geradezu mustergültig, wofür das Land steht, andererseits würden viele Niederländer in diesem Wirbelsturm aus Lärm und Wichtigtuerei nicht tot überm Zaun hängen wollen.

Auch bei den Besuchern gibt es unterschiedliche Sichtweisen. Für die einen ist Amsterdam ein Freilichtmuseum, eine große Puppenstube mit immer neuen Verästelungen und ganz viel Zierrat. Für andere wiederum ist die Stadt eine einzige Partymeile, in der man alles machen kann, was man sich zu Hause nicht traut.

Wieder andere sehen in Amsterdam eine Art alternatives Universum, wo alles anders ist und völlig andere Regeln gelten.

Wer hat recht?

Worauf es in einem weiteren Buch über Amsterdam ankommt, wurde mir deutlich, als ich nach langen Jahren mal wieder in Berlin war. Der Arm-aber-sexy-Boom hatte seinen Höhepunkt zwar bereits überschritten, aber immer noch sah man in der Öffentlichkeit diverse Neu-Hauptstädter, die mit allerlei Berlin-Bedrucktem ihren aktuellen Wohnsitz deutlich machen wollten. Es spricht ziemlich viel dafür, dass die meisten dieser Neubürger nur zwischen Kreuzkölln, Friedrichshain und meinethalben immer noch Prenzlauer Berg pendelten, also von der eigentlichen Stadt so gut wie nichts mitbekamen, aber dennoch dem Glauben anhingen, sie wären irgendwie einheimisch und kenntnisreich.

Genau vor demselben Problem steht Amsterdam auch. Jedes Jahr kommen Tausende Touristen in die Stadt, klappern die üblichen Sehenswürdigkeiten ab (Rotlichtviertel, Coffee-shop und vielleicht noch Rembrandt im Reichsmuseum) und glauben dann nach dem Erwerb eines T-Shirts mit irgendeinem dämlichen Amsterdam-Aufdruck, sie hätten begriffen, was die Stadt wirklich ausmacht.

Nun ist dagegen gar nichts einzuwenden, wenn man davon ausgeht, dass doch jeder nach seiner Façon selig werden soll. Die Besucher sind froh, die Einheimischen verdienen Geld, können aber in ihren Wohnquartieren so weiterleben wie bisher. Zudem gibt es Destinationen – da fiele einem zum Beispiel Las Vegas ein – wo es vermutlich ziemlich ernüchternd wäre, wenn man tatsächlich den Versuch unternähme, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen.

Nun ist allerdings bei Amsterdam die Gefahr gering, dass sich die Stadt bei einem intensiveren Blick als eine Art aufgerüschte Provinzschönheit entpuppen würde. Nein, der Autor dieser Zeilen ist schon der Meinung, dass der tiefere Blick sich lohnt.

Denn letztendlich gibt es kein richtig oder falsch, sondern es geht darum, eine Perspektive zu finden, die zu einem passt. Und eine, die länger hält.

Dabei soll dieses Buch helfen. Amsterdam wird abseits der ausgetretenen Touristenpfade vorgestellt. Natürlich kommen wir um das Zentrum mit seinen bekannten Adressen nicht ganz herum, aber auch hier wird der Versuch unternommen, bei bekannten Sehenswürdigkeiten noch neue Aspekte hinzuzufügen.

Für die Schilderung der Stadt bieten sich die vier Himmelsrichtungen an. Es wird also entsprechende Kapitel über den Norden, Westen, Osten und Süden geben.

Das Buch versucht, so praktisch wie möglich zu sein. Die Reisenden können es vor ihrem Trip lesen, ebenso danach, um die Erinnerung noch einmal aufleben zu lassen, aber natürlich auch während sie dabei sind, die Stadt zu erkunden. Aber damit der Blick während der Rundgänge frei ist für das Ambiente der Stadt, verstehen sich die Texte vor allem als Orientierung und Anregung für eigene Exkursionen. Im Sinne der Lesbarkeit gibt es keine Fußnoten1 und bei der Beschreibung der Plätze in der Stadt gilt eine einfache Konvention: Bei der ersten Nennung wird ein Ort kursiv gesetzt und dann folgt in Klammern die Adresse. Ohne Postleitzahl, Telefon oder Internet, denn erstens ändern sich diese Daten öfter als man denkt und zweitens findet man diese Details sofort im Netz, wenn man Namen und Adresse eingibt.

Wenn Sie mithilfe des Werkes am Ende ein ganz individuell geprägtes Amsterdam in Ihrem Herzen tragen, das unverwechselbar ist, weil es eben ihr eigenes ist, dann haben sie etwas, was Ihnen niemand mehr wegnehmen kann.

Ich hoffe, die Fragen, warum es dieses Buch neben allen anderen gibt und was es vom Rest unterscheidet, sind jetzt beantwortet.

Aber, da war doch noch eine dritte, nicht wahr?

Ah ja, richtig.

Aber die habe ich vergessen. Ich beantworte lieber eine andere.

Wieso fühlt sich eine zugereiste Kartoffel berechtigt, ein Buch über Amsterdam zu schreiben, das einen Blick hinter die Kulissen bieten soll?

Das ist eine gute Frage und wenn ich darauf nicht eine ebenso gute Antwort wüsste, hätte ich mich vermutlich vor der Beantwortung gedrückt.

Vor ein paar Jahren verfasste ich das Buch „111 Orte in Amsterdam, die man gesehen haben muss“, welches sich bis heute anhaltender Beliebtheit erfreut. Das liegt sicherlich an der Reihe, aber vielleicht auch ein bisschen an mir. Auf jeden Fall gab es im Laufe der Jahre diverse Nachahmer, die auch Zahlen wie 111 oder eben 99 im Titel haben. Auf die deutsche Ausgabe folgte erst eine italienische Version, weitere europäische Nachbarländer zogen nach.

Dann stand eine Ausgabe für den niederländischen Markt an. Die dortigen Verleger sagten, sie wollten eine eigene Ausgabe machen, denn mit dem deutschen Blick könnten sie nichts anfangen. Als das niederländische Buch erschien, machte ich eine interessante Erfahrung. Der dortige Kollege hatte sich von meinem Werk – um es mal vorsichtig zu formulieren – an vielen Stellen anregen lassen, es gab eine erhebliche Schnittmenge sowohl bei den ausgewählten Orten als auch bei den Beschreibungen. Nun will ich darum kein großes Gewese machen. Ich nehme das eher als Kompliment. Wenn ein gebürtiger Amsterdamer in meinen Texten so viele „Anregungen“ findet, dann sollte mein Know-how auch für den interessierten auswärtigen Besucher reichen.

1Fußnoten bremsen den Lesefluss. Verstehen Sie, was ich meine?

Centrum

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1Centraal Station

2Grand Café Restaurant 1e klas

3Scheltema

4Waterstone's

5American Book Center

6Victoria Hotel

7Oudekerk

8Banana Bar

9Casa Rosso

10Beurs van Berlage

11Koninklijk Paleis

12Nationaal Monument

13De rode Leeuw

14Nieuwe Kerk

15Madame Tussaud's

16Amsterdam Dungeon

17Foto Heno

18Café Reijnders

19De Bazel

20Groenlandse Pakhuizen

21De groote Keizer

22Anne Frank Huis

Centraal Station (Stationsplein) heißt übersetzt Hauptbahnhof, aber in diesem Fall ist die holländische Bezeichnung treffender, denn es gibt wohl kaum einen Ort in Amsterdam, der zentraler liegt oder besser geeignet ist, um die Erkundung der Stadt zu beginnen. Von den vier Erkundungsreisen in die vier Himmelsrichtungen in diesem Buch beginnen drei am Bahnhof. Erbaut wurde das imposante, über dreihundert Meter lange Gebäude von Pierre J. H. Cuypers am Ende des 19. Jahrhunderts. Cuypers gehört zweifellos zu den Bauherren, die der Stadt ihren Stempel aufgedrückt haben. Wie einige andere Baumeister hierzulande scheint er beim Entwerfen nach dem Prinzip der Sonatenhauptsatzform (wer ein Buch für einen österreichischen Verlag schreibt, ist verpflichtet, auf den ersten Seiten eine Anspielung auf die Wiener Klassik unterzubringen, sonst gibt es Ärger) vorgegangen zu sein. Wird im ersten Satz (lies: Entwurf) das Motiv entwickelt, gibt es im zweiten die Variation und danach die Durchführung. Der erste Entwurf war das ebenfalls von Cuypers geschaffene Rijksmuseum (Museumstraat 1). Die Ähnlichkeit zwischen beiden Gebäuden ist unübersehbar, auch wenn man überhaupt keine Ahnung von Architektur hat.

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Blick auf den Bahnhof. Hier lag ganz früher der Hafen. Hier fing alles an.

Über die Qualität des Bahnhofsgebäudes gehen die Meinungen auseinander. Fans preisen es als Schluss-Stein, der das unten offene Hufeisen der Amsterdamer Innenstadt abschließt. Kritiker sagen, das auf einer künstlichen Insel errichtete Gebäude verstellt den Blick auf das Wasser und löscht somit im Herzen der Stadt optisch jegliche Erinnerung an die Zeit aus, als Amsterdam Welt- und Hafenstadt war. Manche Betrachter sagen, dass der Baustil an einen italienischen Renaissance-Palast erinnert; ein Vergleich, dem man umso mehr beipflichten kann, je weniger Renaissance-Paläste man gesehen hat.

Auffällig sind die Verzierungen und Schnörkel mit Bezug zu Bahn, Reisen und Fernweh. Am Hauptgiebel gibt es ein ausgiebig umrahmtes einstrophiges Gedicht von Joseph Alberdingk Thijm, in dem er die Freude und Erwartung schildert, die man beim Antritt einer Reise verspürt. Um die Ecke, dort wo früher der königliche Wartesaal war, gibt es noch ein weiteres Poem, in dem die Freude geschildert wird, wenn man wieder nach Haus zurückkehrt. Tja, so ist die Macht der Poesie. Wenn sie es vermag, so komplexe Gefühle in so kunstvolle Worte zu fassen, dann bleibt ihr der öffentliche Raum nicht verwehrt. Aber manchmal hilft es auch, wenn man – wie im Falle von Joseph Alberdingk Thijm – der Schwager des Architekten ist.

Sowohl der Hauptbahnhof als auch das Museum sind imposante Gebäude und dass die Centraal Station proportional nicht ganz so ausgewogen wirkt wie das Museum ist nicht Cuypers Schuld. Was das Gebäude betraf, hatte Cuypers das letzte Wort, nicht jedoch bei den Bahnsteigen, die sich eben nicht proportional einfügen und die Überdachungen der Steige schon gar nicht. Und wie um dem Architekten noch posthum eins reinzusemmeln, wurde Anfang des 20. Jahrhunderts eine Kuppel über die Bahnsteige hinzugefügt und im 21. Jahrhundert noch eine für den Busbahnhof am Nordausgang.

Im Inneren wirkte der Hauptbahnhof lange schmuddelig und wuselig, das wurde in den letzten Jahren im Zuge des U-Bahn-Neubaus geändert. Nun gibt es hier wie auf vielen anderen Bahnhöfen der Welt blitzende Shopping Malls, offenbar geben die Inneneinrichter der Bahnhöfe dieser Welt nicht eher Ruhe, bis auch der letzte wie eine Flughafen-Lounge aussieht.

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Der Glanz täuscht. Das wahre Amsterdam zeigt sich im Bahnhof nicht.

Bevor man die Bahnsteige verlässt, kommt man an Gattern mit grünen leuchtenden Lichtern vorbei, welche die auf die Tickets aufgedruckten QR-Codes lesen können. Die Kartenleser wurden vor ein paar Jahren eingeführt. Das sorgte für einigen Tumult, denn da viele Niederländer personengebundene Monatskarten haben, könnte die Obrigkeit anhand des Ein- und Aus-Checkens ein Bewegungsprofil ihrer Bürger erstellen. Eine Weile danach rauschte es nochmal im Blätterwald. Diesmal war der Anlass, dass sich niemand über das Überwachungspotenzial aufregte, und dann hatte sich das Thema erledigt. Aber auch aus dem Ausland kommenden Besuchern wird eingeschärft, beim Verlassen des Bahnsteigs unbedingt den Code vor den QR-Reader zu halten. Niemand konnte allerdings sagen, warum. Da ein Buch wie dieses davon lebt, dass sich der Autor im Interesse des Wohlbefindens seiner Leser unwägbaren Risiken und Gefahren aussetzt, machte ich mir die Mühe, einen niederländischen Schaffner zu fragen, was passiert, wenn man vergisst, seine Fahrkarte vor den Leser zu halten oder – schlimmer noch – mutwillig das Gatter ohne Kontrolle passiert. Würde dann von der Decke ein Gitter herunterfahren? Würde man dazu verdonnert, den Rest des Tickets im Bahnhofsrestaurant durch Tellerwaschen abzuarbeiten?

Die Antwort war ernüchternd. Der QR-Code habe keinen anderen Zweck, als das Gatter zu öffnen. Wenn es sowieso offen sei (was tagsüber meist der Fall ist), könne man einfach durchlaufen.

Vermutlich werden die wenigsten Reisenden nach Ankunft ihres Zuges eine Lokalität im Bahnhof betreten, aber weil es sich hier anbietet, folgt ein Hinweis auf das Restaurant Eerste Klas, das sich am Gleis 1 befindet. Das Eerste Klas hat hohe Ledersessel und gemütliche Sitzecken, in denen man sich mit Geschäftspartnern treffen und über Projekte reden kann. Die Kellner sind professionell und freundlich, nur wenn auf den Stühlen vor dem Restaurant auf dem Bahnsteig Rucksacktouristen Platz nehmen und ihre eigenen Speisen und Getränke verzehren, werden sie böse. Doch der eigentliche Anlass, weshalb auf diese Restauration hingewiesen wird, ist ein ziemlich großer weißer Kakadu, der auf dem Tresen seinen Ehrenplatz hat. Soweit ich weiß, lebt er dort schon seit vielen Jahren (wenn er nicht ausgetauscht wird, aber für den Laien sieht ein Kakadu halt aus wie der andere). Er scheint mit seinem Dasein ganz zufrieden zu sein. Auf dem Tresen hat er eine kleine Leiter, die er hochklettern kann, und wenn ihm oben langweilig wird, dann klettert er auch wieder runter.

An seinem Klettergerüst steht ein kleines Schild mit nur einem Wort: „afblijven“, was bestimmt nicht das freundlichste aller holländischen Wörter ist, aber andererseits passt „Zurückbleiben“ zu einem Bahnhof ganz gut. Die Anweisung zurückzubleiben gilt übrigens nicht für den Papagei. Wenn ihm danach ist, macht er schon mal einen Ausflug zu den angrenzenden Tischen und wer nicht glaubt, wie viel Zugkraft ein Kakadu in seinem Schnabel hat, der kann es hier mit etwas Glück erleben. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie der Papagei sich das Tuch eines langen Tisches schnappte und die darauf stehenden Tassen, Teller und Terrinen in aller Gemütlichkeit in Richtung seines kleinen Klettergerüstes zog. Natürlich wurde sein Tun schnell vom Personal beendet, aber das heißt ja nicht, dass er es nicht noch einmal versuchen wird.

Die enge Symbiose zwischen Lokalitäten und Haustieren ist in Amsterdam keine Seltenheit. Allerdings sind es meistens Katzen, die in Cafés oder Bäckereien ihren Job als Maskottchen jahrelang gewissenhaft ausführen und dafür gut versorgt werden. Jedenfalls bis das Gesundheitsamt (NVWA, Nederlandse Voedsel en Waren Autoriteit) einschreitet oder der „Ladenhüter“ das Zeitliche segnet. In beiden Fällen ist die Anteilnahme der örtlichen Bevölkerung groß und auch in den Medien wird ausführlich berichtet.

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Viele Amsterdamer Lokalitäten haben ein Haustier, aber nur wenige einen Vogel.

Sowie man das Bahnhofsgebäude verlässt, ist man drin im Amsterdamer Gewusel. Und egal, ob man einer Klezmer-Kapelle lauschen will oder jenen merkwürdigen Gestalten, die offenbar einen direkten Draht zu Gott haben (denn sonst würden sie nicht so laut von ihm erzählen), man sollte dabei aufpassen. Zum einen, weil hier auch Straßenbahnen fahren und zum anderen, weil Taschendiebe durchaus ein Problem sind.

Vor Taschendieben (zakkenrollers) wird allüberall gewarnt, ebenso davor, die Umwelt vergessend, mit dem Handy telefonierend durch die Gegend zu laufen. Amsterdam zieht eben nicht nur Touristen an, sondern auch Glücksritter aus armen Teilen dieser Welt, in deren Augen jeder Westeuropäer so reich ist, dass er den Verlust von Mobiltelefon, Kreditkarte und Geldbörse sicherlich leicht verkraften kann.

Das ist kein Grund paranoid zu werden, nicht zuletzt weil Langfinger lieber in Geschäften klauen als bei Privatpersonen, aber den gesunden Menschenverstand sollte man auf Reisen immer dabei haben. Nicht jeder, der mit Ihnen ein Selfie machen will, führt Gutes im Schilde. Kekse (gleich welchen Inhalts) sollte man nur von Leuten entgegennehmen, denen man vertrauen kann. Und wer im Rotlichtviertel nach Mitternacht ScheltemaWaterstone’sAmerican Book Center„koffie verkeerd“