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Johannes Krüger

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Marcus Aurelius Antoninus Augustus

Meditationen

(Tôn eis heauton biblia)


Impressum


Digitalisierung: Gunter Pirntke

Covergestaltung: Erhard Koch


2017 andersseitig.de

ISBN

9783961184897 (ePub)

9783961184903 (mobi)


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Inhalt

Impressum

Vorwort

Erstes Buch

Zweites Buch

Drittes Buch

Viertes Buch

Fünftes Buch

Sechstes Buch

Siebentes Buch

Achtes Buch

Neuntes Buch

Zehntes Buch

Elftes Buch

Zwölftes Buch

Fazit


Vorwort

 

Mark Aurel (* 26. April 121 in Rom; † 17. März 180 in Vindobona oder eventuell Sirmium), auch Marc Aurel oder Marcus Aurelius, war von 161 bis 180 römischer Kaiser und als Philosoph der letzte bedeutende Vertreter der jüngeren Stoa. Als Princeps und Nachfolger seines Adoptivvaters Antoninus Pius nannte er sich selbst Marcus Aurelius Antoninus Augustus. Mit seiner Regierungszeit endete in mancherlei Hinsicht eine Phase innerer und äußerer Stabilität und Prosperität für das Römische Reich, die Ära der sogenannten Adoptivkaiser. Mark Aurel war der letzte von ihnen, denn in seinem Sohn Commodus stand ein leiblicher Erbe der Herrscherfunktion bereit.

Innenpolitische Akzente setzte Mark Aurel in Gesetzgebung und Rechtsprechung bei der Erleichterung des Loses von Benachteiligten der damaligen römischen Gesellschaft, vor allem der Sklaven und Frauen. Außergewöhnlichen Herausforderungen hatte er sich hinsichtlich einer katastrophalen Tiberüberschwemmung zu stellen sowie in der Konfrontation mit der Antoninischen Pest und angesichts spontaner Christenverfolgungen innerhalb des Römischen Reiches. An den Reichsgrenzen musste er nach einer längeren Friedenszeit wieder an mehreren Fronten gegen eindringende Feinde vorgehen. Insbesondere waren der Osten des Reiches durch die Parther, über die Mark Aurels Mitkaiser Lucius Verus triumphierte, und der Donauraum durch diverse Germanen-Stämme bedroht. Sein letztes Lebensjahrzehnt verbrachte Mark Aurel daher vorwiegend im Feldlager. Hier verfasste er die Selbstbetrachtungen, die ihn der Nachwelt als Philosophenkaiser präsentieren und die mitunter zur Weltliteratur gezählt werden.

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Mark Aurel als Knabe (Rom, Kapitolinische Museen)

Der spätere Kaiser Mark Aurel wurde als Marcus Annius Catilius Severus in Rom geboren. Sein Urgroßvater war aus den hispanischen Provinzen nach Rom gekommen. Unter Kaiser Vespasian hatte er es bis zum Praetor gebracht. Marcus Annius Verus, der Großvater Mark Aurels, bekleidete bereits dreimal das Amt des Konsuls. Er verheiratete seinen Sohn, der ebenfalls Annius Verus hieß – Mark Aurels Vater also –, mit Domitia Lucilla, einer Verwandten Kaiser Hadrians, deren Familie durch den Besitz von Ziegeleien reich geworden war. Nach dem frühen Tod des Vaters (128) wuchs Marcus im Haus seines Großvaters auf. Am 17. März 136 nahm er anlässlich seiner Verlobung mit Ceionia, der Tochter des im selben Jahr zum Nachfolger Hadrians bestimmten Lucius Aelius Caesar, den Namen Marcus Annius Verus an. Marcus wurde so in die Familie des voraussichtlichen Thronfolgers eingebunden.

Das in der Ämterlaufbahn erworbene Ansehen der Familie und das ernsthafte Naturell des jungen Marcus hatten ihm angeblich schon früh die Beachtung Kaiser Hadrians eingebracht, der ihn wegen seiner Wahrheitsliebe scherzhaft mit dem Spitznamen Verissimus („der Wahrhaftigste“, der Superlativ von verus) belegt haben soll und ihn wohl bereits als Achtjährigen in das Priesterkollegium der Salier aufnehmen ließ. Im Zuge seiner durch den plötzlichen Tod des Lucius Aelius Caesar nötig gewordenen zweiten Nachfolgeregelung adoptierte der todkranke Hadrian dann am 25. Februar 138 den Senator Antoninus Pius mit der Maßgabe, dass dieser wiederum Lucius Verus, den Sohn des Verstorbenen, und Mark Aurel, Antoninus’ angeheirateten Neffen und nächsten männlichen Verwandten, zu adoptieren hatte. Dieser hieß nach der Adoption durch Antoninus nun Marcus Aelius Aurelius Verus. Lucius Verus wurde zugleich mit Faustina, der einzigen Tochter des Antoninus, verlobt und dadurch sichtbar herausgehoben. Andererseits sprachen der Altersvorsprung und die Nähe zu Antoninus für Mark Aurel als künftigen Thronerben.

Nach dem Tode Hadrians im Juli desselben Jahres zog der nun siebzehnjährige Mark Aurel zu Antoninus Pius, seinem Adoptivvater und neuem Kaiser, in den Regierungspalast. Antoninus veränderte sofort die Regelungen Hadrians: Er löste sogleich die Verlobung zwischen Lucius Verus und Faustina und verlobte diese stattdessen mit Mark Aurel (die Verbindung mit Ceionia wurde zuvor gelöst), der damit eindeutig an die erste Stelle rückte. Schwerpunkte der Ausbildung waren zunächst Studien zur griechischen und lateinischen Rhetorik bei den Lehrern Herodes Atticus und Marcus Cornelius Fronto. Mit letzterem führte er einen regen Briefwechsel, der in Teilen erhalten ist. 139 wurde Mark Aurel zum Caesar erhoben und damit formell zum Thronfolger designiert. Erneut weit vorfristig, nämlich schon mit 18 Jahren, bekleidete er im folgenden Jahr sein erstes Konsulat. Anscheinend ging es Antoninus Pius darum, Mark Aurel so früh wie möglich in eine unangreifbare Position zu bringen. Dies war auch deshalb notwendig, weil die Nachfolge im Prinzipat grundsätzlich zu Lebzeiten des Vorgängers geregelt werden musste, um reibungslos verlaufen zu können, denn eine Vererbung der kaiserlichen Macht war formal nicht vorgesehen. Es war daher üblich, den gewünschten Nachfolger im Vorfeld durch Ehrungen und die Verleihung wichtiger Titel und Vollmachten eindeutig zu kennzeichnen.

Die stoischen Philosophen unter Mark Aurels Lehrern mögen eine Neigung nachhaltig unterstützt haben, die er bereits als Zwölfjähriger an den Tag gelegt haben soll, als er sich in den Mantel der Philosophen kleidete und fortan auf unbequemer Bretterunterlage nächtigte, nur durch ein von der Mutter noch mit Mühe verordnetes Tierfell gepolstert. Hier hat offenbar eine Lebenshaltung ihren Anfang genommen, die in den auf Altgriechisch verfassten Selbstbetrachtungen der späten Jahre festgehalten wurde. Dabei dürften die Grundlagen der dort formulierten Überzeugungen bereits frühzeitig gegolten haben, denn sie fußten auf einer bald 500-jährigen und gleichwohl lebendigen Tradition stoischen Philosophierens. Qualifizierungsprozess und Herrschaftspraxis sind gerade darum in engem Zusammenhang mit seinen Selbstbetrachtungen zu sehen, weil die Einheit von Denken und Handeln, von Wort und Tat für seine Daseinsauffassung vorrangig war:

„Es kommt nicht darauf an, über die notwendigen Eigenschaften eines guten Mannes dich zu besprechen – vielmehr ein solcher zu sein.“

„Du kannst nicht im Schreiben und Lesen unterrichten, wenn du es nicht selber kannst; viel weniger lehren, wie man recht leben soll, wenn du es nicht selber tust.“

Ebenso deutlich akzentuiert hat Mark Aurel das Bewusstsein für Wahrheit und Wirklichkeit, das schon Hadrian an ihm geschätzt haben soll:

„Kann mir jemand überzeugend dartun, dass ich nicht richtig urteile oder verfahre, so will ich’s mit Freuden anders machen. Suche ich ja nur die Wahrheit, sie, von der niemand je Schaden erlitten hat. Wohl aber erleidet derjenige Schaden, der auf seinem Irrtum und auf seiner Unwissenheit beharrt.“

„So oft du an der Unverschämtheit jemandes Anstoß nimmst, frage dich sogleich: Ist es auch möglich, dass es in der Welt keine unverschämten Leute gibt? Das ist nicht möglich. Verlange also nicht das Unmögliche.“

Der Stellenwert dieser Notate für die Lebenspraxis Mark Aurels erschließt sich aus dem Entstehungszusammenhang der Selbstbetrachtungen. Es handelte sich um eine Form geistiger Übungen, die darauf zielten, eine mit den Grundsätzen der Stoa übereinstimmende Lebensführung im Bewusstsein wachzuhalten und zu aktualisieren sowie abweichende Emotionen zu kontrollieren. Darum ging es u. a. auch in der Einstellung zu den Mitmenschen:

„Die Menschen sind füreinander da. Also belehre oder dulde sie.“

„Willst du dir ein Vergnügen machen, so betrachte die Vorzüge deiner Zeitgenossen, so die Tatkraft des einen, die Bescheidenheit des andern, die Freigebigkeit eines Dritten und so an einem Vierten wieder eine andere Tugend. Denn nichts erfreut so sehr wie die Muster der Tugenden, die aus den Handlungen unserer Zeitgenossen uns in reicher Fülle in die Augen fallen. Darum habe sie auch stets vor Augen.“

Vielerlei Unangenehmes zu verarbeiten, Schicksalsschläge durchzustehen und mit der eigenen Unvollkommenheit auszukommen, auch dazu qualifizierten den Thronanwärter und späteren Kaiser Reflexionen im Geiste der Stoa in besonderem Maße:

„Rührt ein Übel von dir selbst her, warum tust du’s? Kommt es von einem andern, wem machst du Vorwürfe? Etwa den Atomen oder den Göttern? Beides ist unsinnig. Hier ist niemand anzuklagen. Denn, kannst du, so bessere den Urheber; kannst du das aber nicht, so bessere wenigstens die Sache selbst; kannst du aber auch das nicht, wozu frommt dir das Anklagen? Denn ohne Zweck soll man nichts tun.“

„Empfinde keinen Ekel, lass deinen Eifer und Mut nicht sinken, wenn es dir nicht vollständig gelingt, alles nach richtigen Grundsätzen auszuführen; fange vielmehr, wenn dir etwas misslungen ist, von neuem an und sei zufrieden, wenn die Mehrzahl deiner Handlungen der Menschennatur gemäß ist, und behalte das lieb, worauf du zurückkommst.“

Eine bessere Vorbereitung auf politische Verantwortungsübernahme, als sie Mark Aurel durchlaufen hat, ist in Hinblick auf die Innenpolitik kaum vorstellbar. Bis zum Antritt der eigenen Herrschaft hatte er 23 Jahre lang (138–161) die umfassend genutzte Gelegenheit, sich auf die Anforderungen des Amtes einzustellen, sich in die Verwaltungsstrukturen des Römischen Reiches einzuarbeiten und alle wichtigen Bewerber und Inhaber einflussreicher Ämter kennenzulernen. Er erlangte dabei angeblich einen so sicheren Blick für die menschliche und aufgabenbezogene Eignung der Amtsträger und Postenkandidaten, dass Antoninus Pius sich schließlich in allen Stellenbesetzungsfragen auf das Urteil des Marcus gestützt haben soll. Die von Hadrian aufeinander Verwiesenen harmonierten laut den Quellen auch von ihrem Naturell her. Die Charakterisierung des Antoninus, die Mark Aurel im Ersten Buch der Selbstbetrachtungen gibt, dürfte sowohl die Vorbildfunktion wie auch die Wesensverwandtschaft zum Ausdruck bringen, die den Jüngeren mit seinem Adoptivvater verbunden hat:

„An meinem Vater bemerkte ich Sanftmut, verbunden mit einer strengen Unbeugsamkeit in seinen nach reiflicher Erwägung gewonnenen Urteilen. Er verachtete den eitlen Ruhm, den beanspruchte Ehrenbezeigungen verleihen, liebte die Arbeit und die Ausdauer, hörte bereitwilligst gemeinnützige Vorschläge anderer, behandelte stets jeden nach Verdienst, hatte das richtige Gefühl, wo Strenge oder Nachgiebigkeit angebracht ist, verzichtete auf unnatürliche Liebe und lebte nur dem Staatswohl. […] Niemand konnte sagen, er sei ein Sophist, ein Einfältiger, ein Pedant, sondern jeder erkannte in ihm einen reifen und vollkommenen Mann, erhaben über Schmeicheleien, fähig, sowohl seine eigenen Angelegenheiten als die der andern zu besorgen. Dazu ehrte er die wahren Philosophen und zeigte sich nichtsdestoweniger nachsichtig gegen diejenigen, die es nur zum Scheine waren. Im Umgang war er höchst angenehm, er scherzte gern, jedoch ohne Übertreibung.“

Zusätzliche verwandtschaftliche Bande wurden dadurch hergestellt, dass Mark Aurel eine bestehende Verlobung zu lösen hatte, um Faustina, die Tochter des Antoninus, zu heiraten, die von Hadrian, wie gesagt, als Frau des Lucius Verus vorgesehen gewesen war. Aus dieser Ehe gingen insgesamt 13 Kinder hervor, die in der Mehrzahl allerdings noch im Kindesalter starben.

Auffällig ist, dass Antoninus entgegen der Tradition des Prinzipats darauf verzichtete, den Nachfolger auch militärisch auszubilden und den an den Grenzen des Imperiums stationierten Truppen vorzustellen. Die Gründe, warum Antoninus seinen Adoptivsohn in 23 Jahren niemals von seiner Seite weichen ließ, sind umstritten. Glaubt man nicht der offiziellen Lesart, dass der Kaiser Mark Aurel zu sehr geliebt habe, um ihn auch nur einen Tag aus den Augen zu lassen, so kommt im Gegenteil auch Misstrauen als Erklärung in Frage: Möglicherweise wünschte Antoninus nicht, dass Mark Aurel sich zu früh eine eigene Machtbasis bei den Soldaten schaffen könnte. Die militärische Unerfahrenheit, die die Konsequenz aus diesem Verhalten war, sollte sich später durchaus rächen, da Mark Aurel (im Unterschied zu Lucius Verus) als Feldherr stets eher unglücklich agierte.

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Kameo mit Marc Aurel und Faustina minor als Iuppiter und Iuno.

Bereits im Dezember 147 war Mark Aurel durch die Verleihung der tribunicia potestas und des imperium proconsulare zum Mitregenten avanciert. Mit dem Tode des Antoninus Pius 161 ging das Kaisertum dann auf Mark Aurel über, der fast unverzüglich seinen Adoptivbruder Lucius Verus zum formal (fast) gleichberechtigten Mitkaiser erhob. An auctoritas freilich war Marcus überlegen, zumal er auch das Amt des Pontifex maximus für sich behielt. Verus, der ja einst von Hadrian als Hauptkaiser vorgesehen gewesen war, hat sich offenbar zeitlebens in dieses Arrangement gefügt; 164 heiratete er die Tochter Mark Aurels, Lucilla. Über die Ernennung des Lucius Verus zum Mit- bzw. Unterkaiser ist oft gerätselt worden, aber letztlich hatte Mark Aurel eigentlich nur die Wahl, ihn entweder zum Mitherrscher zu machen oder zu beseitigen; anderenfalls wäre Verus notwendigerweise eine Gefahr für das Regime geworden. Da Mark Aurel offenbar nicht wie Hadrian oder Tiberius einen politischen Mord einen Schatten auf seinen Herrschaftsbeginn werfen lassen wollte, entschied er sich dafür, Lucius Verus stattdessen in das System zu integrieren.

Beide Kaiser standen binnen kurzem einer im Vergleich zu den vorhergehenden Jahrzehnten des äußeren Friedens veränderten Situation gegenüber, als ab 161 die Parther die Ostgrenze des Römischen Reiches in Frage stellten und die Germanen im Donauraum von 168 an ernsthaft die Nordgrenze bedrängten. Die Aufgabenteilung der beiden Kaiser ergab, dass Mark Aurel faktisch das Reich regierte, während seinem Adoptivbruder Lucius Verus bis zu seinem Tode die Durchführung wichtiger Militäroperationen oblag.

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Mark Aurel in militärischer Rüstung (Paris, Louvre)

Das über alle geschichtlichen Epochen hinweg fortwirkende Charisma Mark Aurels liegt nicht zuletzt begründet in dem mit ihm verbundenen Bild des „Philosophen auf dem Thron“ und in der als beispielhaft angesehenen Verknüpfung von politischer Philosophie und Herrschaftspraxis. Die Belege für das politische Denken Mark Aurels und für seine Selbstdarstellung sind den Selbstbetrachtungen zu entnehmen. Manches davon erscheint wie zeitlos und in der Gegenwart nicht überholt. In welchem Maße die Aussagen des Kaisers als authentische Selbstzeugnisse seiner Regierungspraxis zu gelten haben, bleibt offen; die historische Quellenkritik stößt hier an ihre Grenzen. Von Bedeutung ist, dass das Ideal eines Philosophenherrschers zu allen Zeiten die Phantasie der Menschen bewegt hat und dass Mark Aurel für viele zur Verkörperung dieses Leitbilds wurde. Sein politisches Denken spiegeln unter anderem folgende Auszüge aus den Selbstbetrachtungen:

„Severus war mir ein Beispiel in der Liebe zu unseren Verwandten wie auch in der Wahrheits- und Gerechtigkeitsliebe […], durch ihn bekam ich einen Begriff, was zu einem freien Staate gehört, wo vollkommene Rechtsgleichheit für alle ohne Unterschied herrscht und nichts höher geachtet wird als die Freiheit der Bürger.“

Freiheit und Gerechtigkeit, vor allem im Sinne gleichen Rechts für alle, gehörten demnach zu den früh angeeigneten und stets propagierten politischen Leitvorstellungen Mark Aurels. Gegen die Versuchungen absolutistischen Machtmissbrauchs, denen er in seiner Stellung unvermeidlich ausgesetzt war, schützten ihn nach eigenem Bekunden sein philosophischer Reflexionshintergrund und Selbstermahnungen wie die folgende:

„Hüte dich, dass du nicht ein tyrannischer Kaiser wirst! Nimm einen solchen Anstrich nicht an, denn es geschieht so leicht. […] Ringe danach, dass du der Mann bleibest, zu dem dich die Philosophie bilden wollte.

Nur zu bewusst war Mark Aurel sich der Grenzen seiner politischen Gestaltungsmöglichkeiten und der Hinfälligkeit utopischer Gesellschaftsmodelle:

„Hoffe auch nicht auf einen platonischen Staat, sondern sei zufrieden, wenn es auch nur ein klein wenig vorwärts geht, und halte auch einen solchen kleinen Fortschritt nicht für unbedeutend. Denn wer kann die Grundsätze der Leute ändern? Was ist aber ohne eine Änderung der Grundsätze anders zu erwarten als ein Knechtsdienst unter Seufzen, ein erheuchelter Gehorsam?“

Dass Mentalitäten nicht ohne weiteres formbar und disponibel sind und daher im politischen Handeln berücksichtigt werden müssen, war für Mark Aurel klar, weil er der senatorischen Freiheit gerade auch in der Meinungsäußerung Priorität einräumte. Damit folgte er im Grunde der bereits unter Augustus und anderen Kaisern formulierten Idee, dass die aristokratische libertas unter einem guten princeps geachtet werden müsse. Gemeint war damit, wie gesagt, das Recht der freien Meinungsäußerung, nicht etwa politische Mitbestimmung, die auch Mark Aurel dem Senat oder dem Volk nicht eingeräumt hat.

Worauf es ihm nach eigener Aussage ankam, war in hellenistischer philosophischer Tradition ein vernunftgeleiteter und gemeinwohlorientierter Machtgebrauch, der mit den Grenzen der eigenen Kompetenz rechnete und dem größeren Sachverstand den Vortritt ließ bzw. die Problemlösung übertrug:

„Reicht mein Verstand zu diesem Geschäft hin oder nicht? Reicht er hin, so verwende ich ihn dazu als ein von der Allnatur mir verliehenes Werkzeug. Im entgegengesetzten Falle überlasse ich das Werk dem, der es besser ausrichten kann, wenn anders es nicht zu meinen Pflichten gehört, oder ich vollbringe es, so gut ich’s vermag, und nehme dabei einen andern zu Hilfe, der, von meiner Geisteskraft unterstützt, vollbringen kann, was dem Gemeinwohl gerade jetzt dienlich und zuträglich ist.“

In der Rechtspflege lag für Mark Aurel, wie für die principes vor ihm, der Kern der guten gesellschaftlichen Ordnung und der Bereich, für den er sich persönlich am meisten verantwortlich fühlte:

„Wenn du Scharfsinn besitzest, so zeige ihn in weisen Urteilen.“

Mark Aurel hat seinem Dasein auch eine kosmopolitische Komponente zugeordnet und sogar bereits ein ökologisches Bewusstsein aufscheinen lassen:

„Meine Natur aber ist eine vernünftige und für das Gemeinwesen bestimmte; meine Stadt und mein Vaterland aber ist, insofern ich Antonin heiße, Rom, insofern ich ein Mensch bin, die Welt. Nur das also, was diesen Staaten frommt, ist für mich ein Gut.“

„Die Allnatur aber hat außerhalb ihres eigenen Kreises nichts. Das ist gerade das Bewundernswerte an ihrer Kunstfertigkeit, dass sie in ihrer Selbstbegrenzung alles, was in ihr zu verderben, zu veralten und unbrauchbar zu werden droht, in ihr eigenes Wesen umwandelt und eben daraus wieder andere neue Gegenstände bildet. Sie bedarf zu diesem Zweck ebenso wenig eines außer ihr befindlichen Stoffes, als sie eine Stätte nötig hat, um das Morsche dorthin zu werfen. Sie hat vielmehr an ihrem eigenen Raum, ihrem eigenen Stoff und an ihrer eigenen Kunstfertigkeit genug.“

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Denar des Mark Aurel

Innere Belastungen für das Römische Reich ergaben sich bereits in der Anfangsphase der Regierungszeit Mark Aurels aus einer verheerenden Tiberüberschwemmung und vor allem aus einer Pestepidemie (so genannte Antoninische Pest)1, die 166/7 von den aus dem Osten zurückkehrenden Truppen eingeschleppt worden war und nahezu das ganze Römische Reich und auch die dicht besiedelte Hauptstadt Rom heimsuchte.

Seiner Selbstdarstellung als Stoiker2 auf dem Kaiserthron entsprechend, konzentrierte Mark Aurel sein Regierungshandeln, solange ihm dies möglich war, auf die inneren Strukturen des Reiches. Das besondere Augenmerk galt dabei den Schwachen und Benachteiligten der römischen Gesellschaft, den Sklaven, Frauen und Kindern, deren Situation er zu erleichtern suchte. Mehr als die Hälfte der überlieferten Gesetzgebungsakte des „Philosophen auf dem Kaiserthron“ zielten auf Verbesserung der Rechtsstellung und Freiheitsfähigkeit dieser Bevölkerungsgruppen. In gleicher Richtung hat er auch als oberstes Rechtsprechungsorgan des Reiches gewirkt, ein Amt, das er mit mustergültiger Sorgfalt und beispielloser Hingabe ausgeübt hat.

Die Anzahl der Gerichtstage pro Jahr wurde auf seine Anordnung erhöht, so dass schließlich 230 Tage für Verhandlungen und Schlichtungstermine vorgesehen waren. Als er 168 selber gegen die Germanen ins Feld zog – mit Lucius Verus zunächst noch, nach dessen Tod 169 aber ganz auf sich gestellt –, hat er seine richterliche Tätigkeit vor Ort fortgesetzt. Die Prozessbeteiligten mussten ggf. zur Verhandlung im Feldlager anreisen. Der Historiker Cassius Dio berichtet darüber:

„Sooft ihm der Krieg etwas freie Zeit ließ, sprach er Recht. Den Rednern ließ er die Wasseruhren [wie sie bei Gericht gebräuchlich waren] reichlich füllen, und er beschäftigte sich sehr ausführlich mit den einleitenden Untersuchungen und Vernehmungen, um ein allseits gerechtes Urteil zu fällen. So verwandte er oft bis zu elf oder zwölf Tage auf die Verhandlung eines einzigen Falles, obwohl er manchmal sogar nachts Sitzungen abhielt. Denn er war fleißig und widmete sich den Aufgaben seines Amtes mit der größten Sorgfalt. Nie sprach, schrieb oder tat er etwas, als ob es sich um etwas Unwichtiges handle, sondern verbrachte bisweilen ganze Tage über irgend einer winzigen Kleinigkeit, weil er glaubte, es stehe einem Kaiser nicht an, etwas nur obenhin zu tun. Er war nämlich davon überzeugt, dass schon das geringste Versehen ein schlechtes Licht auch auf all seine übrigen Handlungen werfen werde.“

Tiberüberschwemmung, Pestepidemie, Kriegskosten: Es war in einer äußerst bedrängten Lage, dass Mark Aurel sich auch in der Führung des Staatshaushalts zu bewähren hatte. Eine mit der Verminderung des Edelmetallgehalts der Münzen verbundene verdeckte Inflation war unter solchen Umständen wohl kaum vermeidbar. Ansonsten aber trug der Kaiser durch vorbildliche Zurückhaltung in der eigenen Lebensführung dazu bei, dass Ausgabenbegrenzungen etwa im Bereich der Zirkusspiele dem Volk vermittelbar waren. Auch zur Kriegsfinanzierung leistete das Kaiserhaus seinen Beitrag, indem eine Vielzahl wertvoller Gegenstände aus kaiserlichen Besitzständen auf dem Forum zur Versteigerung gebracht wurden. Der Historiker Cassius Dio (Senator unter Commodus; unter Severus Alexander Statthalter der Provinzen Africa, Dalmatien und Oberpannonien) zeigte sich besonders beeindruckt von Mark Aurels Auftreten gegenüber den im Felde siegreichen Soldaten, die als Siegprämie eine Sonderzahlung verlangten. Der Kaiser lehnte dies strikt ab und verwies darauf, dass jede solche Zahlung u.a. den Eltern und Verwandten der Legionäre abgepresst werden müsste.

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Denar des Marcus Aurelius – Rückseite mit der gefangenen Armenia

Schon zur Regierungszeit des Antoninus Pius hatte der Partherkönig Vologaeses IV. wohl einen Krieg gegen Rom vorbereitet, um den römischen Einfluss in Armenien zurückzudrängen. Ob die Aggressionen dabei von den Parthern ausgingen, oder ob ihr Angriff eher ein Präventivschlag gegen die Römer war, die bereits seit 158/159 vermehrt Truppen im Osten hatten aufmarschieren lassen, ist umstritten. Vielleicht haben der Thronwechsel und das noch unerprobte Doppelkaisertum von Mark Aurel und Lucius Verus die Parther ermutigt, unverzüglich loszuschlagen. Als der römische Statthalter von Kappadokien eine schwere Niederlage erlitt, wurde Lucius Verus mit einem Heer in den Osten entsandt. Verus, den noch vor der Einschiffung eine längere Erkrankung bei Canusium festhielt, gelangte erst Ende 162 nach Antiochia am Orontes und widmete sich dort zunächst der Reorganisation des demoralisierten Heeres und der Koordination des Nachschubs (siehe auch Partherkrieg des Lucius Verus)3.

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Reliefplatte des Partherdenkmals von Ephesos

Wie Mark Aurel hatte er persönlich keinerlei militärische Erfahrung. Die operative Führung der römischen Gegenoffensive, die 163 begann, oblag daher hauptsächlich erfahrenen Offizieren wie dem aus Syrien stammenden Avidius Cassius. Die Römer drangen schließlich nach Armenien vor, wo der prorömische Arsakidenprinz Sohaemus als König eingesetzt wurde. 164 begann die römische Hauptoffensive in Mesopotamien; die Osrhoene wurde besetzt, und schließlich fiel 165 sogar die parthische Doppelhauptstadt Seleukia-Ktesiphon in römische Hand, wobei die Königsburg zerstört wurde. Römische Truppen drangen sogar zeitweilig bis nach Medien vor. Der Krieg konnte im Jahr darauf siegreich beendet werden. Dies war ein gewaltiger Erfolg für Lucius Verus, der aber klug genug war, den anschließenden Triumph mit dem senior Augustus Mark Aurel zu teilen, damit die Rangordnung gewahrt blieb. Rom konnte aufgrund der Pestepidemie (siehe oben) aber wohl keinen dauerhaften Gewinn aus dem Sieg ziehen: Ob Nordmesopotamien in den folgenden Jahrzehnten von den Römern kontrolliert wurde, ist unklar.

War bis zum Sieg über die Parther die Lage im Donau-Grenzraum zwar auch bereits angespannt, aber doch im Wesentlichen beherrschbar geblieben, so änderte sich dies 167/168, als in Pannonien gegen die einfallenden Langobarden und Obier eine erste Schlacht geschlagen werden musste. Dies geschah auch im Zeichen einer Schwächung durch die Antoninische Pest, vermutlich eine Form der Pocken, die die vom östlichen Kriegsschauplatz zurückgekehrten Legionäre eingeschleppt hatten. Der Statthalter von Oberpannonien trat danach in Verhandlungen mit den Germanen, erreichte aber nur eine vorübergehende Beruhigung der Lage mit Hilfe des Markomannenkönigs Ballomar. Denn bereits 169 drangen Ballomars Markomannen gemeinsam mit den Quaden bis über die Alpen nach Norditalien vor und zerstörten die Stadt Opitergium. Noch auf Ammianus Marcellinus, den großen Historiker der Spätantike, verfehlte der Einbruch der Germanen nicht seine Wirkung.

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Lucius Verus, Metropolitan Museum of Art